: 14-Tage-Haft „völlig überzogen“
SPD-Hearing zur geplanten Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes im bayerischen Landtag / Rechtsexperten warnen vor Beschneidung der Freiheitsrechte der Bürger / Gesetze für den Atomstaat ■ Von W.Zimmermann-Hedewig
München (taz) - Auf schroffe Ablehnung stieß die von der Bayerischen Staatsregierung geplante Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) bei Staats- und Polizeirechtlern, die die bayerische SPD-Fraktion als Sachverständige zu einem Hearing in den Landtag geladen hatte.
Professor Dieter Suhr sprach stellvertretend für das Gros seiner Kollegen von einer geplanten Regelung, die eine diffuse Streuwirkung habe und erheblich über das Ziel hinausschieße. Die bisher gesetzlich zugelassenen 48 Stunden als Obergrenze des polizeilichen Gewahrsams sollen auf 14 Tage erweitert werden.
Der Unterbindungsgewahrsam soll auf alle „Straftaten“ oder „Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ ausgedehnt werden und nicht nur für „gewalttätige Störer“ gelten. Selbst Begleitpersonen werden von der geplanten Norm erfaßt.
Die politischen Eingriffsgrenzen sollen herab- und die Dauer des Eingriffs heraufgesetzt werden. Für Professor Dieter Suhr eine Konfiguration, die man in den anderen Bundesländern vergeblich sucht.
Zwar gebe es in Baden-Württemberg und Hamburg Regelungen, die die Ausdehnung des Gewahrsams über 48 Stunden hinaus auf richterliche Anordnung ermöglichen, doch gebe es keinen Bedarf, diese Möglichkeit zu nutzen, so der Hanseate Kay Croppenstedt.
Wolfgang Riotte vom nordrhein-westfälischen Innenministerium hält die bayernspezifische Vorbeugehaft für „völlig überzogen“. Die Freiheitsrechte des Bürgers dürften nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht derart beschnitten werden.
Dieter Suhr nannte die Absicht der Verfechter der erweiterten Vorbeugehaft: Im Namen der Demokratie und der Mehrheit setze die Staatsgewalt Projekte durch, so die WAA, gegen die Überzeugung und das Gewissen einer kritischen Minderheit. Daß Bayern dabei vorangehe und Schrittmacherdienste auf dem Gebiet des Polizeirechts leiste, dürfe man auch als symptomatisch ansehen, sozusagen als Zeichen an der Wand in jenem Bundesland, in dem eine der umstrittensten Anlagen durchgesetzt werde.
So zeichne sich schon weit im Vorfeld des eigentlichen Atomstaates jene allmähliche Erosion der Grundrechte ab, die die weitsichtigen Verfassungsdenker für den Staat der technischen Großrisiken bereits vorhersagen.
Den Abbau der Grundrechte bis zur Unkenntlichkeit zeichnete auch Rechtsanwalt Franz Schwinghammer. Den Nachweis in einer konkreten Gefahr abzulösen durch das gefundene Feindbild, sei Muster polizeilichen Handelns. Störer ist demnach, „der nach polizeilicher Vermutung die falsche politische Gesinnung hat“.
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