: Der russische Weihnachtsmann in New York
■ Für seine heutige Rede vor der UNO hat Gorbatschow ein spezielles Weihnachtsgeschenk angekündigt
Wieder einmal geht ein Gespenst um: nicht in Europa, sondern in den USA. Es heißt nicht „Kommunismus“, sondern „Gorbatschowsche Abrüstungsmanie“. Reagan und Bush fühlen sich vom Kreml regelrecht überrollt. Diesmal haben sie den Sprecher des Weißen Hauses schon vorsorglich ankündigen lassen, daß sie nicht bereit seien, direkt auf neue Vorschläge Gorbatschows - vermutlich zur konventionellen Abrüstung - einzugehen. Geplant sei ja schließlich nur der zweistündige Lunch, an dem der künftige US-Präsident Bush in seiner Eigenschaft als derzeitiger Vize Reagans teilnehmen wird.
Die New Yorker Polizei hat höchste Alarmstufe ausgerufen. Nichts Schlimmeres kann dem Verkehr in der Hauptstadt des hemmungslosen Konsums widerfahren als der Besuch eines sowjetischen Staatsoberhauptes zur Weihnachtszeit. Wenn Gorbatschow sich durch die Stadt am Hudson River bewegt, dann heißt das für Hunderttausende von Shopping-Wütigen: Straßensperren, Verzögerungen, Hindernisse. Ein Alptraum für die an so manches gewöhnte New Yorker Polizei: Der auf vierzig Blechkarossen verteilte Hofstaat des Kreml-Chefs quält sich durch die Hochhausschluchten Manhattans; ein Horror, wie man ihn zuletzt 1985 erlebte, als gleich achtzig Staatsoberhäupter zum 40. UNO-Jubiläum anreisten und ihre Karawanen aus schwarzen Limousinen sich fortwährend ineinander verkeilten. New York erinnert sich auch noch an den letzten Besuch eines sowjetischen Parteiführers: 1959 weilte Nikita Chruschtschow ganze 26 Tage hier und bearbeitete das Rednerpult in der UNO mit dem Absatz seines groben russischen Schuhwerks.
Von Gorbatschow erwartet die Stadt da einen etwas weltmännischeren Stil, der Mann weiß bekanntlich, was in der Neuen Welt ankommt. Schließlich, so schrieb die 'Washington Post‘ am vergangenen Wochenende, „hätte Glasnost fast auf der Madison Avenue erfunden werden können“.
Weltmännisch werden Gorbatschow, Reagan und Bush denn auch auf der Governor's Island vor der Kulisse Manhattans speisen und über die Lage der Dinge parlieren. Zudem hat Gorbatschow noch ein Weihnachtsgeschenk angekündigt, das er abererst am heutigen Mittwoch auspacken und von der Rednertribüne der UNO herab der Welt überreichen will. Ronald Reagan hingegen hat schon wissen lassen, daß er mit leeren Händen kommen wird. Allenfalls seinen Nachfolger George Bush hat er anzubieten, darüber hinaus werde es keine politischen Neuigkeiten auf der amerikanischen Seite geben. Dies sei ja auch nur ein „informelles Zusammentreffen. Man erinnert sich: Gleiches hatte man auch 1986 vor dem legendären Treff in Reykjavik behauptet. So soll der Eindruck erweckt werden, als ob Gorbatschow sich in New York nur an das neue Gesicht im Weißen Haus gewöhnen solle.
Tatsächlich wird sich der sowjetische Parteichef erstmals einen persönlichen Eindruck davon verschaffen können, welche Prioritäten Bush in den Beziehungen zur UdSSR setzen will. Bislang hat Reagans Nachfolger nur einsilbig Auskunft gegeben. Während des Wahlkampfs hatte er einmal vor zu großem Optimismus über die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow gewarnt. Die 'New York Times‘ sieht schon eine Rückkehr zur traditionellen Machtpolitik voraus: Bush werde das Verhältnis zu Moskau als Konkurrenz zweier großer Mächte betrachten und nicht - wie Reagan zu Beginn seiner Präsidentschaft - als Kampf zwischen Gut und Böse. Eine deutlichere Sprache als derartige Spekulationen spricht vielleicht die Ernennung von Brent Scowcroft zum künftigen Nationalen Sicherheitsberater. Scowcroft hatte das gleiche Amt bereits unter Präsident Ford inne, unter Reagan leitete er eine Kommission über die Zukunft der strategischen Atomwaffen der USA. Er nannte damals das strategische Denken der Reagan-Berater „in hohem Maße konfus“. Von Anfang an war er gegen die Idee, alle Mittelstreckenraketen aus Europa zu entfernen („zu weitgehend“), und hat sich stark für die Beschaffung einer beweglichen, landgestützten Interkontinentalrakete ausgesprochen. Neben der Rüstungspolitik soll ein „breiter Bereich von Themen“ beim Lunch auf Governor's Island angesprochen werden, so hat George Bush bereits verlauten lassen. Die Einhaltung des sowjetischen Versprechens, alle Truppen bis zum 15. Februar aus Afghanistan abzuziehen, will er ebenso fordern wie eine zurückhaltendere Politik Moskaus in Zentralamerika. (Von der eigenen Intervention ist bei Bush natürlich nicht die Rede, d.Red.) Das Zusammentreffen zwischen Reagan, Bush und Gorbatschow wird die in den USA geführte Debatte über die Bedeutung und die Konsequenzen der neuen, dynamischeren Sowjetpolitik unter Gorbatschow schüren. Konservative Politiker warnen davor, den Druck auf die Sowjets „zu früh“ aufzugeben - außenpolitisch habe sich am sowjetischen Verhalten weniger geändert als im Innern. Heftig kritisiert man in diesen Kreisen die großzügige Vergabe von Krediten an die Sowjetunion durch die Westeuropäer. Der demokratische Senator Bill Bradley etwa hält es für einen „tragischen Fehler, wenn westliches Kapital den Sowjets ermöglicht, die harte Entscheidung zwischen Kanonen und Butter hinauszuzögern“. Der ehemalige Pentagon-Unterstaatssekretär Richard Perle forderte in einem Zeitungsbeitrag gar ein Junktim zwischen Krediten des Westens und Abrüstungszugeständnissen Moskaus.
Niemand hat hingegen vorgeschlagen, die Milliarden-Exporte amerikanischen Weizens in die Sowjetunion, an denen die Existenz der Farmer im Mittleren Westen hängt, an politischen Reformen der Sowjets zu binden. Im Gegenteil: Als Ende November ein neuer, mehrjähriger Getreidehandel abgeschlossen wurde, war man in den USA über den bescheidenen Umfang des Geschäfts enttäuscht.
Stefan Schaaf
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