: Rüstungskontrolle - von den USA blockiert
Sein erster Rüstungskontrollerfolg war auch sein letzter. Vor genau einem Jahr unterzeichnete Präsident Ronald Reagan mit seinem heutigen Abschiedsgast Michail Gorbatschow in Washington den Mittelstreckenvertrag (INF). Vom unerbittlichen Gegner des „Reichs des Bösen“ zum Friedenspräsidenten? Eine nüchterne Bilanz zeigt, daß die USA unter jedem Präsidenten seit John F. Kennedy mehr Rüstungskontrollverträge abschlossen als in den acht Reagan -Jahren. Zudem sind die drei Vereinbarungen, die Reagan neben INF unterzeichnete, eher bloße „vertrauensbildende Maßnahmen“: das Abkommen von 1987 über die Einrichtung zweier Krisenzentren in Washington und Moskau, um die Gefahr eines „Atomkriegs aus Versehen“ zu reduzieren, sowie 1988 die Absprache, die andere Seite mindestens 24 Stunden vor geplanten Starts von Interkontinental- oder ballistischen U -Boot-Raketen zu informieren. Schließlich unterzeichneten die USA 1986 das Schlußdokument in Stockholm über vertrauensbildende Maßnahmen in Europa (KVAE).
Das INF-Abkommen selbst ist zwar einerseits ein Zugeständnis an die nach dem „Nato-Doppelbeschluß“ entstandene kritische Öffentlichkeit - also auch ein Erfolg der Friedensbewegung. Zugleich aber sollte der Vertrag diese Öffentlichkeit auch ruhigstellen. Seine Message: „Die Rüstung ist bei den Regierenden wieder unter Kontrolle.“ Ein Kontrolle allerdings ohne Abrüstung. Vielmehr dient eine neue angebliche „Abschreckungslücke“ westlichen Militärs und Politikern als Vorwand zu weiterer Aufrüstung. Noch täuscht die erstmalige Verschrottung gerade erst aufgestellter Waffen über die auf Hochtouren laufenden Ersatzbemühungen hinweg. Die Funktionen der landgestützten PershingII und der Cruise Missile sollen dabei nicht etwa die neuen bodengestützten Kurzstreckenraketen übernehmen, auf die in der bundesdeutschen Debatte fälschlicherweise das Etikett „INF-Kompensation“ geklebt wird. Im Mittelpunkt stehen vielmehr sogenannte „Abstandswaffen“ mit bis zu 1.500 Kilometern Reichweite, die auf US-Kampfflugzeugen in der Bundesrepublik und in deren Nachbarländern stationiert werden sollen.
Verifikation ist nicht
das Hauptproblem
Der INF-Vertrag enthält weitreichende Verfahren zur Inspektion und Überprüfung (Verifikation), die künftige Abkommen erleichtern können. Doch daraus wird oft der falsche Schluß gezogen, das Hauptproblem bei den laufen den Rüstungskontrollverhandlungen liege in diesen Detailfragen. Tatsächlich mangelte und mangelt es der Reagan -Administration am politischen Willen. Das gilt vor allem für das START-Abkommen über eine rund 35prozentige Reduzierung der Langstreckenraketen über 5.500 Kilometer Reichweite. Und dabei hatten die USA dies in den letzten Jahren zum wichtigsten Rüstungskontrollziel erklärt.
Die drei zentralen Probleme: Die USA beharren auf einer „weiten“ Auslegung des Raketenabwehrvertrages (ABM) von 1972 und wollen die Möglichkeit haben, ihn jederzeit auch einseitig zu kündigen - aus Furcht, ihr SDI-Programm könnte behindert werden. Vor dem Hintergrund der angelaufenen Ausrüstung von US-und Nato-Flotten mit weit über 4.000 Cruise Missiles wehrt sich Washington zweitens - mit dem verhandlungstaktischen Argument „nicht verifizierbar“ gegen die zahlenmäßige Begrenzung der Cruise Missiles auf Schiffen und U-Booten. Seit Monaten liegt ein detaillierter Verifikationsvorschlag Moskaus auf dem Genfer Verhandlungstisch. Doch den sowjetischen Inspektoren darüber lassen Mitglieder der US-Delegation keinen Zweifel soll der Zugang zu US-Schiffen verwehrt bleiben. Außerdem sollen flugzeuggestützte Cruise Missiles und „Abstandswaffen“ nach Vorstellungen in Washington erst ab einer Reichweite von 1.500 Kilometern unter ein Abkommen fallen. Moskau dagegen fordert: bereits ab 600 Kilometern, und beruft sich dabei auch auf die Obergrenzen des SALT-II -Abkommens.
Gegen Chemiewaffenverbot
Für „nicht machbar, weil nicht zu verifizieren“ erklärte die Reagan-Administration inzwischen auch ein Abkommen über ein weltweites Chemiewaffenverbot. Noch 1984 ließ der Präsident seinen Vize George Bush in der UNO-Abrüstungskonferenz einen umfassenden Vertragsentwurf einbringen. Das Interesse Washingtons erlahmte plötzlich, als die UdSSR - nach jahrelangem Mauern - im August 87 diesen Vorschlag und alle westlichen Verifikations- und Inspektionsforderungen ganz überraschend akzeptierte. Im Dezember 87 begannen die USA mit ihrer Produktion von binären - „zweiteiligen“ Chemiewaffen und starteten ihre inzwischen auch von Diplomaten verbündeter Staaten konstatierte Blockade der Genfer Verhandlungen.
Von den 15 Jahren ergebnisloser Wiener Gespräche zwischen Nato und Warschauer Pakt über Truppenreduzierung in Europa (MBFR) fiel mehr als die Hälfte in Reagans zwei Amtszeiten. Die Nato-Position hierbei wurde wesentlich in Washington formuliert: vor einer Reduzierung erst auf dem Territorium des Gegners dessen genaue Truppenstärke festzustellen. Da Moskau seinerseits erst reduzieren und dann Daten verifizieren wollte, scheiterte bis zuletzt jeglicher MBFR -Fortschritt. Für die Wiener MBFR-Nachfolgerunde klopfte Washington im westlichen Lager ebenfalls Bedingungen fest: Diejenigen Waffen, bei denen der Westen überlegen ist, sollen ausgeklammert werden (Flugzeuge, atomar und konventionell nutzbare Systeme), die Verhandlungen sollen erst nach erfolgreichem Abschluß der Wiener Helsinki -Nachfolgekonferenz zu Menschenrechtsfragen beginnen.
Die im wesentlichen dadurch verzögerten Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle werden nun voraussichtlich erst nach Reagans Abtritt im Januar beginnen. Da Washington weitere Atomtests für notwendig hält - zwecks Instandhaltung des vorhandenen Arsenals genauso wie für die SDI-Entwicklung - lehnte die Reagan-Administration von Moskau vorgeschlagene Verhandlungen über einen Atomtest-Stopp ab. Die daraufhin begonnenen Genfer Gespräche über eine Begrenzung der Tests auf 1.500 Kilotonnen dauern noch an.
Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen