PORTRAIT
: Partnerschaft ist ihr Credo

■ Ursula Lehr tritt heute ihr Amt als Familienministerin an / Emanzipation erschöpft sich für sie in Gleichstellungspolitik

Partner – das ist eines ihrer Lieblingsworte. Für Ursula Lehr, die heute in Bonn zur neuen Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit gekürt wird, wäre die Welt fast schon in Ordnung, wenn es mehr Partnerschaft gäbe: zwischen Generationen wie zwischen den Geschlechtern.

Das Credo der 58jährigen Professorin für Psychologie und Gerontologie läßt sich in aller Kürze so umschreiben: Diskriminierung entsteht durch Vorurteile – alte Menschen leiden unter dem Stigma, nichts mehr wert zu sein, Frauen unter dem Stigma, von Natur aus für die Hausfrauen- und Mutterrolle dazusein.

Gegen diese gesellschaftlichen Zuschreibungen kämpft die neue Ministerin auf wissenschaftlichen Gebiet schon seit Jahrzehnten: Bereits in den frühen sechziger Jahren warnte sie vor einer „Glorifizierung der Mutterrolle“ und beschrieb Symptome der Midlife-crisis bei Frauen, denen die Kinder aus dem Haus gegen. Unter der von ihr oft analysierten „empty –nest-reaction“ hat sie selbst sicher nicht gelitten. Ihre zwei Söhne zog sie „nebenbei“ groß, ihre Karriere als Wissenschaftlerin verlief überaus erfolgreich.

Nach dem Studium der Psychologie, Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte promovierte sie 1954 in Bonn. Als außerordentliche Professorin leitete sie ab 1969 die Abteilung Entwicklungspsychologie. Nach einem Intermezzo an der Universität Köln kehrte sie 1976 nach Bonn zurück und übernahm 1986 schließlich den eigens für sie eingerichteten Lehrstuhl für Gerontologie an der Heidelberger Universität.

Frauenemanzipation erschöpft sich für Ursula Lehr in einer klassischen Gleichstellungspolitik. Politisch schlug sich dieses Konzept unter anderem darin nieder, daß sie als Beraterin des damaligen Familienministers Heiner Geißler für den Erziehungsurlaub für Frauen und Männer plädierte. Feministische Theorien der Geschlechterdifferenz dürften ihr ebenso ein Greuel sein wie das Müttermanifest der grünen Frauen. Zur Frauenbewegung hat Ursula Lehr keine Bezugspunkte: So distanzierte sie sich sogar in einem Beitrag über Emanzipation und Familie von „übertriebenen Emanzipationsbestrebungen ganz gewisser Frauengruppen“.

Sehr viel mehr als ihre Vorgängerin Rita Süssmuth verkörpert Ursula Lehr den Typus der Macherin. Dazu paßt ihr betont forsches Auftreten, dazu paßt die Einschätzung ihrer Heidelberger Mitarbeiter, die Chefin wolle, wenn es etwas durchzusetzen gilt, schon mal „mit dem Kopf durch die Wand“. Diese Überzeugtheit von der eigenen Position verleitete die Wissenschaftlerin bisweilen zu holzschnittartigen Argumentationen.

So verstieg sie sich bei ihrem Einsatz für eine flexible Altergrenze zu der Behauptung, für eine Vielzahl älterer Menschen würde „eine frühe Zwangspensionierung Siechtum oder gar eine spezifische Form der Euthanasie“ bedeuten.

Bei allen gesellschaftskritischen Tönen in puncto Frauen und alte Menschen wird das bestehende Wirtschaftssystem keinesfalls in Frage gestellt. Ihr politisches Profil trägt wirtschaftsliberale Züge, und es ist kein Zufall, daß der CDU-Modernisierer Lothar Späth ihr den Vorsitz der Kommission „Zukunftschancen eines Industrielandes: Altern als Chance und Herausforderung“ übertrug.

Ins Bild der Wirtschaftsliberalen paßt, daß Ursula Lehr keine Berührungsängste zur Pharma-Industrie hat. So ließ sie sich in Bonn ein Symposium von dem Schweizer Parmakonzern „Pharmaton“ sponsern. Peinlicherweise verschickte das Unternehmen neben der Tagungsdokumentation eine „wissenschaftliche“ Studie über die segensreichen Auswirkungen von Geriatrica – jenen Pillen und Tropfen, die „Alterserscheinungen“ bekämpfen sollen. Von ihren Studenten zur Rede gestellt, distanzierte sie sich zwar sofort von der Studie, aber ihren Spitznamen hatte sie weg: die Alterbremse hieß sie fortan, nach dem Werbeslogan der Schweizer Firma für eines ihrer Präparate.

Außer zu ihrem Schwerpunkt „Alter“ – zum Beispiel Einsatz für eine flexible Altergrenze nach oben – hat sich die neue Ministerin mit politischen Statements bislang sehr zurückgehalten. In einem Interview mit der 'Welt' wurde sie etwas konkreter: eine „Registrierung“ und „Isolierung“ von Aids-Erkrankten lehne sie strikt ab, gab sie zu Protokoll. Zum Beratungsgesetz blieben die Aussagen vage und vorsichtig: Da das Gesetz noch diskutiert werde, sei noch „viel sorgfältige Vorarbeit“ zu leisten.

Ob Ursula Lehr, die Resolute und Erfolgsgewohnte, sich in der Bonner Mühle besser durchsetzen wird als ihre Vorgängerin, bleibt abzuwarten. Die Probleme des Ministeriums – mangelnde Kompetenzen und harte Gegenspieler im Finanz- und Arbeitsministerium – werden ihr nicht weniger als Rita Süssmuth zu schaffen machen. Dazu kommt, daß sie als Kohls Darling eingeführt wurde. Die Fraktionsfrauen haben zwar alle beteuert, Ursula Lehr in der Sache zu schätzen, aber der Ärger über die Eigenmächtigkeit des Kanzlers ist noch nicht verraucht. Den Rückhalt in der Fraktion, ihre „Partner und Partnerinnen“, wird Ursula Lehr sich noch erobern müssen.

Helga Lukoschat