: „Vorauseilende Hoffnungslosigkeit“
■ Eine Woche nach der „Betriebsversammlung der Gekürzten“: Robert Bücking zum mangelnden Selbstbewußtsein der Bremer ABM-Szene / „Die Leidenskoalition mit den Spardemokraten aufkündigen“
Heute vor einer Woche versammelten sich 500 Arbeitslose, ABMler, UmschülerInnen und deren LehrerInnen zur „Betriebsversammlung der Gekürzten“. Die taz fragte einen der Initiatoren, den Maschinenschlosser-Meister im Ausbildungsprojekt der Pfadfinder, Robert Bücking, warum der Bremer Protest gegen die Kürzungen der AfG-Novelle bisher so leise ist.
Ist das Motto „Betriebsversammlung der Gekürzten“ eigentlich richtig? Sitzt Ihr wirklich alle in einem Boot?
Robert Bücking: Es ist ein gut ausgebautes Boot mit vielen Decks. Da gibt es etliche, die unter Deck an den Rudern sitzen und andere, die das Sonnendeck bevölkern.
Wer zum Beispiel?
Es gibt ABM-Stellen, die sind nach BAT 2 dotiert, und dann gibts ehemals arbeitslose Jugendliche, die nur das Nötigste kriegen, wenn überhaupt.
Waren deshalb bei der Demonstration nur noch 80 dabei?
Das ist schwer zu spekulieren. Das Hauptproblem ist, überzeugend klarzumachen, daß es sich lohnt, sich zu wehren. Ich glaube, die Versammlung hat eine vorauseilende Hoffnungslosigkeit gespürt.
Und die ist berechtigt?
Wenn sie da ist, ist sie natürlich auch berechtigt. Ich denke aber schon, daß die Szene, die in Bremen rund ums AfG finanziert ist, einen gewissen Machtfaktor dar
stellt und eine Bedeutung für die Stadt hat. Aber, daß sie mit diesem Pfund überhaupt nicht zu wuchern versteht, das ist das Bittere.
Wir bestehen in allen öffentlichen
Erklärungen darauf, daß wir der kreativste, bunteste und einfallsreichste Sektor des Bremer Arbeitsmarktes sind. Aber wir organisieren Veranstaltungen, bei de
nen nach kürzester Zeit alle einschlafen oder dringend rauchen müssen oder sonstwie die Gelegenheit nutzen, um alte Bekannte wiederzutreffen. Das kann verbittern.
Macht Staatsknete also doch dumm?
Nein, das kann man nicht sagen. Die Leute machen zum Teil eindrucksvolle Arbeit in ihren Stadtteilen. Aber diese Fähigkeit hat nur noch ganz selten Verbindung zum Bewußtsein von gemeinsamen Interessen. Die verkaufen sich zu billig. Das Bewußtsein dafür, was für eine Rolle man in dieser Stadt spielt, ist verschüttet.
Aber ein Bewußtsein dafür, wieviel man verdient, scheint es noch zu geben. Das Plenum der selbstverwalteten Projekte hat eine 20-Mio-Forderung für 300 Stellen beschlossen. Das sind 2.800 Mark im Monat.
Es sind immernoch zwei Sachen was man verdient und was man kriegt. Verdient hätten wir natürlich alle 2.000 netto mindestens. Aber was man kriegt ist leider viel, viel weniger.
Fühlt Ihr Euch im Pfadfinder-Projekt trotzdem von der BAT-2a -Forderung vertreten?
Aber selbstverständlich.
Wieviel verdient Ihr denn jetzt?
Das ist Geschäftsgeheimnis. Die Regeln erlauben ja keinen Einheitslohn. Deshalb wäre uns statt der ABM-Finanzierung natürlich ein Personalfonds viel lieber. Dann können die Projekte selbst entscheiden, ob sie sich einen Manager für 2.500 Mark leisten oder ob sie dieses Geld lieber verwenden, um unverschämt niedrige Lehrlingslöhne aufzustocken.
Ganz oft ist es ja in den Projekten so, daß das Engagement für eine bestimmte Sache die Leute bereit macht, auf ganz viel von dem zu verzichten, was sie eigentlich verdienen.
Es gab den Vorschlag für einen Streik der Gekürzten. Würde die Stadt das merken?
Natürlich würde das nicht sofort zu einem sprunghaften Anstieg der Verelendung führen. Wir arbeiten mehr in einem atmosphärischen Sektor. Und der ist viel weniger druckempfindlich für klassische Arbeitskampfmaßnahmen.
Wenn man führende Sozialdemokraten von der bunten Bremer Szene schwärmen hört, dann heißt es: 'Wir haben fast 20 Prozent Arbeitslose und kein bißchen Rebellion.‘
Manchmal wünscht man sich, daß Dregger ins Weserstadion käme und eine Ansprache an Polizei und die Bediensteten des Sozialamts hielte. Dann könnten wir die Leidenskoalition mit den Spardemokraten im Rathaus kündigen und zeigen, zu welcher Politik unsere Arbeit die Alternative ist. Die Betonköpfe wissen genau, daß eine Schlacht am Osterdeich mit brennenden Polizeiautos unheimlich schädlich für die Stadt ist. Und damit das nicht vorkommt, sind sie bereit, unsereins einzukaufen.
Ist es der Minderwertigkeitskomplex, der die ABM-Szene behindert?
Ja. Natürlich berührt es jeden ABMler peinlich, daß er nicht fähig war, sich im offiziellen ersten Arbeitsmarkt zu behaupten. Die begreifen die Unständigkeit ihrer Arbeitsverhältnisse auch persönlich als Erfolglosigkeit. Dabei könnten sie ein Machtfaktor in der Stadt sein. Wie die bürgerlichen Kippenberg-Schüler gegen ihre Ausgrenzung vorgegangen sind, das könnte ein Vorbild werden. Am Schluß hatte Wedemeier Hausverbot im Schütting und unsereins ist immernoch stolz, wenn er mal zum Arbeitssenator darf.
Fragen: Dirk Asendorpf
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