Das Unerklärliche, für das es lebenslänglich gibt

Ein Mordprozeß in Ansbach gegen drei Frauen, die den Ehemann der einen umgebracht haben sollen, endete mit der Höchststrafe für die Angeklagten / Weder die lesbische Beziehung noch die daraus erwachsenen sozialen Folgen waren Gegenstand des Prozesses / Existenz von weiblicher Homosexualität wurde bestritten  ■  Von Maria Neef-Uthoff

Zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen wurden die drei jungen Frauen im Ansbacher Mordprozeß am Mittwoch vergangener Woche verurteilt (siehe taz vom 4.11.). Sie sollen Wolfgang Köster, den Ehemann der einen Angeklagten, „gemeinschaftlich und aus Habgier“ getötet haben. Bis zuletzt war der genaue Hergang des Geschehens nicht vollständig zu rekonstruieren. Wer im einzelnen wo „Hand angelegt“ hatte, sei letztendlich egal, meinte das Gericht, weil es als erwiesen gelte, daß jede der drei Frauen einen „vollen Tatbeitrag“ geleistet habe.

In der Nacht zum 1.April 1987 sei die seit längerem geplante Tat ausgeführt worden. Das Opfer war in betrunkenem Zustand auf einem Parkplatz in der Nähe von Ansbach erdrosselt worden. „Unerklärlich“ hatte der Oberstaatsanwalt den Mord genannt, eine Tat, die „in ihrer Konstellation einmalig und kaum zu verstehen“ sei. Deswegen, so schloß er, sei sie „ein Schulbeispiel für heimtückischen Mord“. Verklemmte Moral, ein begrenztes richterliches Weltbild und Unerklärlichkeiten wegen Unaufgeklärtheit bestimmten sowohl Urteil wie Hauptverhandlung. Obwohl in den zehn Verhandlungstagen wenig Licht in das Dunkel der Tat und der Motive gebracht worden war, dagegen aber eine Reihe von Zweifeln auftauchten, was die „Schuldfähigkeit“ der Frauen betraf, wurde ihnen allen dennoch „volle Schuldfähigkeit“ bescheinigt.

Bei der Urteilsverkündung dieses reinen Männergerichts wurde deutlich, wie dünn die Begründungen ausgefallen sind. Jutta Köster, die Ehefrau des Ermordeten, habe ihren Mann loswerden wollen, weil er ihr „in ihrer freien Lebensentfaltung“ im Wege war, erklärte der Richter. Roselyn Bänsch, die in Jutta Köster verliebt war, habe es aus Mitleid getan, und Ursula Frey sei scharf auf die versprochenen 10.000 Mark aus der Versicherung des Ermordeten gewesen. So weit, so schlecht.

Gerechtigkeit, empört sich die Anwältin von Ursula Frey, Eike Wernecke, sei niemandem in diesem Prozeß widerfahren. Das Gericht hat es sich in der Hauptverhandlung ausgesprochen leicht gemacht. Daß es noch ganz andere Gründe geben könnte als Habgier, wenn drei Frauen einen Mann umbringen, damit wollte das Gericht nichts zu tun haben. Immerhin ist es doch merkwürdig, wenn zwei Frauen, die eine lesbische Beziehung miteinander haben, zusammen mit einer dritten Frau deren Mann umbringen, zumal die Beziehung zwischen den beiden Frauen Züge von Abhängigkeit trägt. All das wurde nebenbei zwar erwähnt, aber nicht zum Gegenstand gemacht.

Was Jutta Kösters Schuld angeht, so wurde ihre Aussage, der Mann habe sie gedemütigt, vergewaltigt und gequält, nicht ernst genommen. Umschreibungen wie „Meinungsverschiedenheiten“, „schlechte Ehe“, „ein bisserl hart anfassen“, wie sie bei der Befragung der Zeugen eingesetzt wurden, sind nicht geeignet, die mögliche Wahrheit von Brutalität zu belegen. Daß es Gründe geben muß, wenn eine Frau Monate vorher schon ihren Bekannten erzählt, daß sie am liebsten ihren Mann umbringen würde, daß es Gründe gibt, warum sie ihm abends Schlaftabletten in den Tee tut, all das wurde nicht hinter fragt.

Als „leichtsinnig und unreif“ bezeichnete Gutachter Koslowsky, der seit 20 Jahren für das Ansbacher Schwurgericht Gutachten macht, Jutta Köster. Daß sie in einem strengen Elternhaus großgeworden ist, daß ihre Eltern Zeugen Jehovas sind, daß sie - vielleicht - auf zuviel Enge mit Trotz reagiert, all das wurde unter den Tisch gefegt.

Noch empörender aber ist die völlige Ausgrenzung der lesbischen Beziehung. Als hätte es überhaupt nichts mit dem Mord zu tun, wie verstrickt die Frauen miteinander gewesen sind. Nur über das Verständnis der sozialen Bedingungen von Lesben, über das Verständnis von Isolation und Einsamkeit, über das Verständnis vom möglichen Festhalten an Beziehungen aus Angst, in einer Kleinstadt keine Freundin mehr zu finden, nur so sei Licht in das Dunkel zu bringen, meint Eike Wernecke. Der scheinbar faire Prozeß, der nicht zum „Lesbenprozeß“ hochgespielt wurde - man erinnere sich an den Mordprozeß gegen Marion Ihns und Judy Andersen 1974 in Itzehoe -, ist deswegen keinesfalls gerecht gewesen.

Nicht das Lesbischsein hätte Gegenstand des Prozesses werden müssen, sondern die daraus erwachsenen sozialen Folgen. Nichts von alledem. Statt dessen ein Gutachter der es ausdrücklich bestreitet, daß es weibliche Homosexualität überhaupt gibt. Er beruft sich auf die längst überholten Ausführungen von Herrn Freud, der lesbischen Frauen eine „unreife“ Sexualität unterstellte. Tiefenpsychologisch, so Koslowsky, sei weibliche Homosexualität nicht begründet. Eike Wernecke hatte den Beweisantrag für ein weiteres Gutachten des Sexualwissenschaftlers Eberhard Schorsch in Hamburg gestellt. Der Beweisantrag wurde abgelehnt.

Das insgesamt ungerechte Urteil trifft Ursula Frey ganz besonders. Sie ist die Kleinste, die Schmächtigste, die Jüngste. Sie wurde von ihrem Großvater mißhandelt und mit 13 Jahren vergewaltigt. Sie erscheint als das schwächste Glied in der Kette. Sie hatte ganz besondere Angst, ihre Freundin zu verlieren. Vor Jahren hat sie einen Selbstmordversuch gemacht, als ihre erste Freundin sie im Stich ließ. Bei der Tat hatte sie 3,3 Promille Alkohol im Blut. Ihr Geständnis widersprach sich mit dem von Jutta Köster.

Von „pathologischen“ Zuständen und Abhängigkeiten wollte das Gericht jedoch nichts wissen. Da die Liebe zwischen Frauen bestritten wird, bleibt die schlampige Ermittlung der Polizei, bleiben die Widersprüche, die Weigerung von Roselyn Bänsch, dabei gewesen zu sein, bleibt das „Unerklärliche“, für das es lebenslänglich gibt. Alle drei Anwälte werden in die Revision gehen.