Kewenig auf der Flucht - nach vorn

■ Berliner Innensenator begrüßt ausdrücklich das Geständnis des V-Mannes Telschow / Telschow soll vor Untersuchungsausschuß aussagen / Auftrag zur Bespitzelung des SPD-Abgeordneten Pätzold nach wie vor bestritten / Diepgen bebt - Kewenig wackelt

Berlin (taz) - Das Geständnis des V-Manns Steffen Telschow, den SPD-Abgeordneten Pätzold für den Verfassungsschutz ausgehorcht zu haben, schlug in Senatskreisen ein wie eine Bombe. In einer ersten Stellungnahme probte gestern der skandalgebeutelte Innensenator Wilhelm A. Kewenig die Flucht nach vorn: Er begrüßte ausdrücklich die jüngsten Entwicklungen in der „Pätzold-Affäre“. In einer Erklärung räumte Kewenig indirekt die Arbeit des 24jährigen V-Mannes für das Berliner Landesamt ein.

Er erklärte: „Bisher waren mir die Hände gebunden, weil es seit je her ein ehernes Gesetz des Verfassungsschutzes ist, über Kontakte von Personen zum Verffassungsschutz grundsätzlich keinerlei Auskünfte zu geben, um deren persönliche Gefährdung zu vermeiden.“ Jetzt aber könne sich der Untersuchungsausschuß den Vorwürfen widmen.

Zum Wahrheitsgehalt der Berichte und des Interviews mit dem geständigen Verbindunsmann in der gestrigen Ausgabe der taz wollte der Senator jedoch keine Stellung beziehen. Ansonsten blieb Kewenig auch gestern seiner bekannten Verteidigungslinie treu: „Niemals ist ein Mitarbeiter des Berliner Verfasungsschutzes auf den Abgeordneten Pätzold angesetzt worden, um ihn zu bespitzeln“. Telschow hatte dagegen zugegeben, im Auftrag seine Führungsbeamte das PKK -Mitglied Pätzold nach möglichen Informationen über Interna des Berliner Verfassungsaschutzes ausgehorcht zu haben.

„Den Rücktritt von Kewenig - heute noch!“ forderte gestern die Berliner AL. Daß im Zusammenhang mit dem Verfasungsschutz gelogen wurde, ist beleibe nicht das erste Mal gewesen, aber „noch nie war die Unwahrheit dreister und an exponierterer Stelle ausgesprochen worden“.

Hohe Wellen schlug die Veröffentlichung auch in der Regierungsetage des Schöneberger Rathauses. Dem Vernehmen nachsoll der Regierende Bürgermeister Diepgen Mittwoch nacht einen Empfang in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin nach nur fünf Minuten überstürzt verlassen haben, als er von dem Geständnis des V-Mannes erfuhr. Anschließend soll er sich mit seinem wackelnden Innensenator noch in der Nacht mehrere Stunden über eine akzeptable Sprachregelung beraten haben. Aus Rathauskreisen wird weiter berichtet, daß die Akten zum „Fall Telschow“ seit Wochen den Schreibtisch Diepgens beschweren und dem regierenden Bürgermeister einige Kopfschmerzen bereiten.

Beim ausgehorchten SPD-Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, Erich Pätzold, hat der reuige Telschow inzwischen auch gebeichtet. Über das Gespräch verfaßte der SPD-Abgeordnete einen ausführlichen Vermerk, der dem Regierenden Bürgermeister und dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses mit der Aufforderung zugeleitet wurde, „sofort alles Gebotene zu veranlassen“. Der Inhalt dieses Gespräches soll sich im wesentlichen mit den Aussagen decken, die Telschow gegenüber der taz gemacht hat. Die SPD und die AL wollen in der heutigen Sitzung des Untersuchungsausschusses durchsetzten, daß der Komplex um die Bespitzelung Pätzols nun in der Tagesordnung vorgezogen wird.

Wolfgang Gast