: Medizinischer Fortschritt oder Menschenversuch?
■ Die Implantation einer „künstlichen Nabelschnur“ in den Mutterleib durch den Geburtsmediziner Saling war der Anlaß für eine Debatte um die Einrichtung einer Ethikkommission / Trotz Bestehens von fünf Kommissionen werde keine dem Schutz des Patienten gerecht
Ob es „Menschenversuche“ waren, die der Geburtsmediziner Professor Erich Saling an schwangeren Frauen durchführte, oder ob er ungeborenen Kindern das Leben rettete - darüber war auf einer kontrovers geführten Diskussion, veranstaltet von der AL, am Freitag abend keine Einigkeit herzustellen.
Die Vorwürfe gegen den Chefarzt der Geburtsmedizinischen Abteilung der Frauenklinik Neukölln, von der AL-Fraktion im Abgeordnetenhaus Anfang Dezember erhoben, waren Anlaß für eine Debatte, in der Aufgaben und Aufbau einer Ethikkommission für die Berliner Ärzteschaft diskutiert werden sollten. Zwar gibt es bereits fünf Ethikkommissionen in Berlin, doch keine werde, so meinte Johannes Spatz, AL -Gesundheitsstadtrat in Wilmersdorf, ihrer wichtigtsten Aufgabe gerecht: dem Schutz des Patienten.
Eine „Plazentainsuffizienz“ - mangelnde Versorgung der Feten im Mutterleib - hatte Professor Saling dazu veranlaßt, drei Frauen eine „künstliche Nabelschnur“ einzupflanzen, so referierte Spatz die Methode des Geburtsmediziners am Klinikum Neukölln. Ein Katheder, das ins Fruchtwasser oder in die Bauchhöhle mangelversorgter Feten geführt werde und unter der Bauchhaut der werdenden Mutter in einer Kapsel ende, ermögliche die künstliche Ernährung mit Aminosäuren, Spurenelementen und Vitaminen. Das Verfahren sei jedoch, so Spatz, sehr „riskant“. Bei drei Anwendungen in den Jahren 1986 und 1987 wurde es zwar erfolgreich durchgeführt, doch erst Ende 1987 habe Saling von einer nachträglich befragten Ethikkommission an der FU die Zustimmung zu diesem Verfahren erhalten. Die Kommission habe Saling aber, so wußte Spatz, geheimgehaltene Auflagen für die Fortsetzung der Behandlungsmethode gemacht: Vermutlich müsse die Methode in Tierversuchen geklärt werden. Solange die Auflagen nicht bekannt würden, betreibe die Ethikkommission „Geheimpolitik“. Eine Ethikkommission im Dienst der Patienten müsse aber als „Kontrollinstanz“ funktionieren, in der auch die „Betroffenen“ selbst repräsentiert seien. Der Begriff „Menschenversuche“ sei gerechtfertigt.
Dem konnten zwei Ärzte des Krankenhauses Neukölln nicht zustimmen. Die Methode sei vor ihrer Anwendung kontrovers diskutiert worden, meinte einer, und ein Ergebnis der Kontroverse sei die Anfrage bei der Ethikkommission der FU gewesen. Es gehe doch weniger um Saling, so vermittelte Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, der müsse von seiner „rechthaberischen Attitüde“ abgebracht werden. Vielmehr gehe es in der Auseinandersetzung um eine Ethikkommission um „Gewaltenteilung“ auf dem Medizinersektor. Nicht nur Ärzte sollten über die ethische Zulässigkeit medizinischer Methoden urteilen.
Wie eine funktionsfähige Ethikkommission aussehen könnte, erläuterte H. Schule-Sasse, Mitarbeiter am Institut für Pharmakologie in Bremen und Geschäftsführer der Bremer Ethikkommission. Die dortige Kommission gebe nicht nur auf Anfrage die Gründe ihrer Beschlüsse an, sondern habe, weil sie mit der für die Zulassung von Arzneimitteln verantwortlichen Landesbehörde zusammenarbeite, auch die Möglichkeit, gegen Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz dienstrechtlich vorzugehen. Deshalb könne sie auch Ärzten, die einen Versuch zur Begutachtung vorlegen, die schriftliche Information versuchsbereiter Patienten zur Auflage machen. Einfluß und Bedeutung habe die Kommission, weil sie von der Mehrheit der Bremer Ärzte getragen werde. Zwar gebe es neben der des Bundesgesundheitsamtes und zweien an der Freien Universität auch eine Kommision an der Ärztekammer, doch keine verfüge, so Ellis Huber in seiner Auflistung der Berliner Kommissionen, über die Macht der Bremer Ethikkommission.
Die Berliner Ärzteschaft habe das Bremer Modell noch nicht akzeptiert. Dafür habe aber, um Hubers Aufstellung zu vervollständigen, der Pharmakonzern Schering seine eigene Ethikkommission.
Werner van Bebber
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