: „Ich will grundsätzlich mit dem Beamtenmief aufräumen“
Am 1.Januar 1989 wird die niederländische Post eine Aktiengesellschaft / Industrie-Manager bilden das Direktorium und wollen fundamentale Denkmuster revidieren / Wichtigster Schritt auf dem Weg zur Privatisierung / Post wird zum größten niederländischen Arbeitgeber / Abschied von der Ergonomie-Forschung? ■ Von Henk Raijer
Silvester 1988 verlieren in den Niederlanden 90.000 Frauen und Männer ihren Arbeitsplatz. Bedeutet diese historische Massenentlassung das Ende eines jahrelangen, verzweifelten Kampfes gegen die Schließung eines krisengebeutelten Industrieunternehmens? Keineswegs! Den Arbeitsämtern drohen in der ersten Januarwoche mit Sicherheit keine Überstunden, denn die bisherigen Staatsdiener der PTT (Post - Telegraaf Telefoon) werden am Neujahrstag sofort wieder eingestellt in der freien Wirtschaft.
Die „Reorganisation des Jahrhunderts“, die Privatisierung der niederländischen Post, wurde seit vielen Jahren hinter den Kulissen des Staatsunternehmens von Unternehmensberatern und „Amtskommissionen“ (den amtlichen Varianten der Betriebsräte) ausgetüftelt. Nach Abschluß der Umwandlungsoperation soll sich das Unternehmen des staubigen Images, das jeder Verwaltung anhaftet, entledigen und zum dynamischen, flexiblen und marktorientierten Diensleistungsunternehmen des 21.Jahrhunderts avancieren.
Als Garanten für die Verwirklichung dieses ambitionierten Plans wurden hochkarätige Manager aus der Industrie rekrutiert. Ehemalige Führungskräfte aus den Chefetagen von Unilever, Urenco und IBM bilden das künftige Direktorium der Holding-Gesellschaft „PTT Nederland nv“. Das Programm der Zukunft trägt eindeutig ihre Handschrift: Effizienz in der Unternehmensführung, Qualitätsprodukte und -dienstleistungen, Kundenbetreuung und Marktorientiertheit, Kontinuität, eine übersichtliche Struktur und eine „Bündelung fähiger Kräfte unter inspirierender Führung“.
In einem Interview mit der Tageszeitung 'de Volkskrant‘ eröffnete der künftige Aufsichtsratsvorsitzende Wim Dik (49), ehemaliger Unilever-Direktor und zu Anfang der 80er Jahre Staatssekretär für Exportförderung, wie er die amtliche Behäbigkeit überwinden will: „Die Basiskultur beim Staatsunternehmen ist risikomeidend, der Schutz der amtlichen Sphäre wirkt hemmend. Daraus mache ich den Arbeitnehmern keinen Vorwurf; sie sind in diesem Klima aufgewachsen. Ich will jedoch grundsätzlich mit Beamtenmuff aufräumen.“ Er ist der festen Überzeugung, daß ein Erfolg der Privatisierung abhängt „von jedem einzelnen Fernmeldetechniker, von jedem Briefzusteller. Sie bilden das Rückgrat unseres Unternehmens. Wir möchten bei unseren Angestellten Resultatsverantwortlichkeit, ein Bewußtsein dafür herstellen, daß der Kunde ihre Gehälter zahlt. Im einzelnen bedeutet das, daß ein Monteur den Dreck wegräumt, die Blumenvase wieder auf ihren Platz stellt und sich bei der Dame des Hauses nach Erledigung seiner Aufgabe nach sonstigen Wünschen erkundigt.
„Resultatsverantwortlichkeit“ heißt das geflügelte Wort des dynamischen Managers. Ab 1. Januar wird der eiskalte Wind der Konkurrenz durch die behaglichen Amtsstuben der PTT -Verwaltungen ziehen und Ineffizienz und Beamtenmentalität den Garaus machen. Fünf Tochtergesellschaften bekommt die künftige Privatfirma: PTT Post, PTT Telecom, PTT RAC (Verwalterin des größten Fuhrparks der Niederlande), PTT Contest (Technische Dienstleistungen) und CASEMA (Zentrale Antennensysteme). Die Direktionen dieser Einheiten sind für die eigene Gewinn- und Verlustrechnung verantwortlich.
Die beiden wichtigsten Gesellschaften, die Post und die Telekommunikation (Jahresgewinn: 1,2 Milliarden Gulden), werden von Grund auf reorganisiert. Die zwölf bestehenden Postzustelldistrikte, bisher nach den Provinzen geordnet, werden zu fünf Hauptregionen umgebildet. Die Post behält ihr Alleinrecht zur Beförderung von Briefen bis zu 500 Gramm sowie die Verpflichtung, diesen Service auch in unrentablen Gegenden zu gewährleisten.
Die Tochter Telecom verliert ihr Monopol auf die Ausgabe von Fernsprechanlagen, Autotelefonen, Telexgeräten und ähnlichen Produkten. Ab Januar dürfen auch andere Unternehmen Fernsprechanlagen verkaufen, montieren und warten, sofern sie über eine Lizenz des zuständigen Ministeriums verfügen. Um zu verhindern, daß die private PTT gleichzeitig als Anbieter und Schiedsrichter in einem agiert, übernimmt die „Hauptdirektion Telekommunikation und Post“ beim Verkehrsministerium die beiden letztgenannten Funktionen. Fünf neue „Business Areas“ auf zentraler Ebene bekommen für je ein Marktsegment Verantwortlichkeit zugeteilt. Über die Ergebnisse werden Verträge mit der Hauptdirektion abgeschlossen.
Behördliche Ineffizienz und Beamtenmentalität sind das Steckenpferd von Wim Dik: „Bei der PTT wurde Ineffizienz in der Vergangenheit geradezu prämiert. Während meiner Zeit bei Unilever hatten wir weltweit vielleicht drei Betriebspsychologen. In diesem Haus beschäftigen wir deren 19. Die PTT verfügt über die renommierteste sozialwissenschaftliche Forschungsabteilung der Niederlande und ist in der Ergonomieforschung in diesem Lande führend. Die Frage ist aber, ob ich mir ein solches Renommee überhaupt leisten will.“
Das neue Privatunternehmen wird auf einen Schlag zum größten Arbeitgeber des Landes und läßt damit selbst den Elektronikkonzern Philips mit seinen 70.000 Angestellten hinter sich. Das Aktienkapital bleibt vorerst zu 100 Prozent beim Staat. Innerhalb von fünf Jahren allerdings möchte die Unternehmensleitung den Betrieb an der Amsterdamer Aktienbörse notiert wissen. Die Privatisierung der Aktien soll auch den Mitarbeitern den Besitz am eigenen Unternehmen schmackhaft machen, zweifellos eine Betriebsverbundenheit, wie sie sich jeder Direktor wünscht.
Die neue Nummer eins hat sich vorgenommen, einen internen Kulturumschwung herbeizuführen, fundamentale Denkmuster zu revidieren. Die älteren Mitarbeiter signalisieren Unsicherheit ob der Veränderungen, die ihnen da ins Haus stehen. Die Überführung vom Beamten- ins Angestelltenverhältnis mit entsprechenden rentenrechtlichen Änderungen ist Gegenstand von Diskussionen allerorten. Auch machen sich viele um ihren Arbeitsplatz große Sorgen. „Es ist höchst unwahrscheinlich, daß die Belegschaft zahlenmäßig ansteigen wird. Der Trend zeigt eher in entgegengesetzte Richtung“, umschreibt die Generaldirektion feinfühlig die Tatsache, daß 1.300 Arbeitsplätze der Reorganisation zum Opfer fallen werden. Einer internen Prognose zufolge wird es nicht zu „unfreiwilligen Freisetzungen“ kommen. Die Unternehmensleitung „versucht Einsparungen soviel wie möglich ohne Entlassungen zu realisieren“.
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