piwik no script img

Zur Ökonomie der Abfall-Welt

Das Sperrmüll-Buch von Golluch/Klötzer: Gute Aussichten für „Bordsteinschaffende“  ■  Von Bernd Müllender

Sperrmüll ist oft zwar wirklich sperrig, aber beileibe nicht immer Müll. Zwei Insider der Abfallwelt lebten jahrelang von der kostenlose Bürgersteig-Ware und haben, mittlerweile nicht nur reich an Erfahrung, darüber Zeugnis abgelegt. Reich durch Sperrmüll heißt das Buch, das Norbert Golluch und Eckard Klötzer im Semmel-Verlach, Kiel, veröffentlicht haben.

Ein „deutliches Kribbeln in den Fingerspitzen“ für die „Droge Sperrmüll“ habe die beiden Autoren vom ersten Tag an überkommen. Folglich erklärten sich Golluch und Klötzer für „süchtig“. Das anfängliche Arbeitsmotiv, dergestalt auf Müll abzufahren, war jedoch nicht einmal das Geld. Denn trotz fortschreitender technisch-wissenschaftlicher Zivilisation, behaupten sie, seien die Menschen doch im Herzen Jäger und Sammler geblieben. Die alternativen Müllmänner verbuchten schnell „Jagdfieber pur, Sammelerfolg sofort“, und bald auch einen wenn auch nicht näher bestimmten Reichtum. Dieser, ist bei der Lektüre zu erahnen, dürfte nicht in Pfennigen gerechnet werden - bei gefundenen Original-Ölbildern, nagelneuen Nerzpelzen, fabrikverpackten Elektrogeräten und bestens erhaltenem Biedermeier- oder Jugendstilmobiliar.

Gewinne anderer Art fallen für Leserin und Leser ab. In ihre umfänglichen Tips flechten sie Autoren ein Stück bundesdeutscher Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Jüngste Tendenz: Die Sperrmüller als „wahre Naturschützer“ mit wichtiger ökologischer Mission. Denn Wiederverwenden statt Weiterverschwenden bedeutet eine Verringerung des Rohstoffverbrauchs, einen reduzierten Schadstoff-Ausstoß und zudem lansamer wachsende Deponien. Dadurch seien zwar Arbeitsplätze bedroht - doch die, so die beiden Mülldenker, lassen sich im Zukunftsberuf der professionellen Sperrmüllers finden. Denn der Markt wächst, wenn auch vor einem neuen Hintergrund.

Immer mehr Neues wird nämlich weggeworfen, nur weil es das falsche Design hat. Zumindest als soziales Ersatznetz biete der Müll folglich einen „Gratis-Supermarkt der Mittellosen“. Und wer da nicht zugreife, ob als „User oder als Dealer“, sei selber schuld. Der verhaltene Zynismus vermag denn auch alle scheinbar widersprüchlichen Parameter einer spätkapitalistischen Industriegesellschaft zu versöhnen: angewandten Umweltschutz, persönlichen Gewinn und volkswirtschaftlichen Nutzen.

Der Handel mit Ausschuß scheint eine Mikro-Ökonomie zu sein wie andere Branchen auch. „Konjunkturelle Schwankungen“ machten die beiden in der Käuferszene aus. Sie lernten, Lagerkapazitäten zu kalkulieren, bevor sie in den profitablen Dreck abtauchten, und optimierten den Einsatz der Ressourcen Kapital und Zeit. Sie entwickelten ein eigenes Müll-Marketing und weiteten ihre Beschaffungsstrategien auf lukrative Nebenmärkte wie Entrümpelungscontainer und Müllkippen aus.

Doch da drohen branchenfremde Gefahren. Zwischen Friseurstühlen, Kacheln, Heiligenstatuen oder Plastik -Gartenmöbeln kann es durchaus abenteuerlich werden. Da liegt schon mal ein Satz funktionstüchtiger Handgranaten, daneben eine volle Zyankali-Flasche, die ausgereicht hätte, „eine kleinere Ortschaft zu vernichten“. Woanders fanden sich etwa Flüssignikotin oder Ätznatron.

Gefundene Blockflöten und Kesselpauken lieferten berufsspezifische Erkenntnisse: „Musiker werfen offenbar alles weg.“ Ein Set scharfer Skalpelle und Sammlungen von Zahnarztinstrumenten empfehlen die Autoren nicht als Handelsobjekte, da „Ärzte glücklicherweise keine Gebrauchsinstrumente auf dem Flohmarkt kaufen“ - jedenfalls bis zum Inkrafttreten der Gesundheitsreform.

Immer schneller werde alles „durch das In- und Out-Raster einer sich immer wilder gebärdenden Design- und Styling -Maschinerie fallen“. Gute Aussichten für die Bordsteinschaffenden. Andererseits, orakeln die beiden Ökonomen apokalyptisch, wenn den Konsumräuschen nicht eine generelle „Recycling-Kultur“ folge, werden wir bald alle da landen, „wo wir den Abfall unserer Maßlosigkeit selbst gelassen haben“ - dann geht es mit der gesamten Gesellschaft ab auf den Sperrmüll.

Bis es soweit ist, hat die pfiffige Kram-Schrift als Schriftkram einen Altpapierwert von fast einem Pfennig. Auf dem Flohmarkt könnte das Buch noch „0,50 bis 4,00 DM“ bringen. Im Handel kostet es 19 Mark 80.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen