: Kein Prozeß der Weißwäscher
Der Oliver North Prozeß soll am 31. Januar beginnen / Welche Geheimdokumente werden ans Licht der Öffentlich- keit gebracht? / Zeuge weiterer Waffengeschäfte mit dem Iran bei Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ■ Aus Washington Stefan Schaaf
Der Streit dauert schon acht Monate. Schauplatz ist der U.S. District Court in der US-Bundeshauptstadt Washington, die Streithähne sind „Irangate„-Sonderankläger Lawrence Walsh auf der einen und die Anwälte des einstigen Volkshelden und Marineleutnants Oliver North auf der anderen Seite. Gestritten wird um die Umstände, unter denen North und seinen drei mitangeklagten Komplizen im Iran-Contra-Skandal der Prozeß gemacht werden kann. Richter Gerhard Gesell hat am Montag klargemacht, daß er des Streits überdrüssig ist und hat North und seine Anwälte „willentlicher Mißachtung“ des Gerichts beschuldigt. Mit seiner Entscheidung, die Zahl von Geheimdokumenten, die North in den Prozeß einführen darf, drastisch zu beschränken, hat Gesell Norths Verteidigungsstrategie in Frage gestellt und den Weg für einen Prozeßbeginn freigemacht.
Den letzten Auslöser für die Entscheidung, den Prozeß am 31. Januar beginnen zu lassen, gab vorgestern Norths Mitverteidiger Barry Simon. Als dieser nach einem definitiven Termin verlangte, um Zeugen aus der Reagan -Administration laden zu können, bevor sie sich nach dem Amtswechsel in alle vier Winde zerstreuen, antwortete Richter Gesell prompt: „Na prima! Nehmen wir den 31. Januar.“
In den acht Monaten, seit Sonderankläger Walsch die Anklageschrift gegen North, den ehemaligen Sicherheitsberater John Poindexter und die beiden Waffenhändler Richard Secord und Albert Hakim eingereicht hatte, ist der Umfang des potentiell spektakulären Politprozesses immer weiter zusammengeschrumpft. Erst wurde aus einem Prozeß derer vier, da gegen jeden der Beschuldigten einzeln verhandelt werden muß, dann wurde auch die Anklage gegen North aus prozeßtaktischen Gründen scheibchenweise abgespeckt. North, einst Experte für Zentralamerika und „Terrorismus„-Bekämpfung in Reagans Nationalem Sicherheitsrat, wird sich nur noch wegen der Abzweigung von Geldern aus den geheimen Waffendeals mit dem Iran verantworten müssen, die dann an die Contra weitergeleitet wurden. Über all der hektischen Betriebsamkeit im Distriktsgericht hing die ganze Zeit die Möglichkeit, daß ein scheidender Präsident Reagan die fast zweijährige Kleinarbeit des Sonderanklägers mit einer Begnadigung des „Irangate„-Kleeblatts zunichte macht. Doch Reagan will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß in der Affäre, die sich zur schwersten politischen Krise seiner Amtszeit ausgewachsen hatte, die Schuldigen bestraft und damit die Unschuldigen - er selbst und sein Nachfolger George Bush - in ihrer Unschuld bestätigt werden. Die Gerechtigkeit müsse ihren Lauf nehmen, sagte Reagan noch vor kurzem. Ob Bush nach einem Urteil gegen North Gnade vor Recht gehen läßt und die Strafen erlassen wird, steht auf einem anderen Blatt.
Spannender Prozeß erwartet
Gesell hat versichert, daß er die Aussagen von Zeugen nicht einschränken wird und daß das Verfahren mit Sicherheit „Peinliches“ über die Schritte der Reagan-Administration zutage fördern wird. Vor allem wird der Prozeß eine Affäre wieder ins Rampenlicht rücken, die zwei Jahre nach ihrem Bekanntwerden bereits weitgehend aus dem Bewußtsein verdrängt worden ist. Der Administration verbleibt weiterhin ein großes Maß von Einfluß über den Verlauf des Prozesses. Es ist eine der großen Ironien des „Irangate„-Skandals, daß die geheimen und gesetz- wie verfassungswidrigen Aktionen Norths und Poindexters umso schwerer juristisch zu behandeln sind, je tiefer das Gericht sich in den sensitiven Bereich der sogenannten „Nationalen Sicherheit“ begeben muß. Das Weiße Haus beansprucht ein auch von Sonderankläger Walsh unbestrittenes Recht, ultrageheime CIA-Aktionen, wie ungesetzlich sie auch gewesen sein mögen, dem Zugriff des Gerichts und einer öffentlichen Erörterung vorzuenthalten. Norths Anwälte haben seit Monaten versucht, auf diesem Wege einen Prozeß zu verhindern. Sie legten immer neue Listen geheimer Regierungsdokumente vor, die als Beweismittel der Verteidigung dienen sollten. Ihr letzter Wunschzettel war 500 eng betippte Schreibmaschinenseiten lang, was einen Berg von 30.000 Blatt geheimer Dokumente vor dem Richter und der Geschworenen-Jury aufgetürmt hätte. Ziel des Manövers war, das Weiße Haus zu veranlassen, eine „Gefährdung der Nationalen Sicherheit“ vorzugeben und möglichst viele der Dokumente zurückzuhalten. Richter Gesell wäre nicht viel mehr übrig geblieben, als die Anklage gegen North fallenzulassen. „Eine Begnadigung mit anderem Namen“ nannte dies Senator William Cohen, ein Mitglied des „Irangate„ -Untersuchungsausschusses vom vergangenen Jahr. Gesell hat nun angeordnet, die Menge bis zum 3. Januar auf ein Zehntel zu reduzieren. Anschließend werden Norths Anwälte ihm hinter verschlossenen Türen darlegen müssen, warum die verbliebenen Dokumente für die Verteidigung wichtig sind. Der Prozeß gegen North wird sich auf die im wesentlichen bereits in den Kongreßanhörungen im vergangenen Jahr bekanntgewordenen Tatsachen konzentrieren. Einer von Norths internationalen Helfershelfern, der israelische „Terrorismus-Experte“ Amiram Nir, der vor zwei Wochen bei einem Flugzeugabsturz in Mexiko ums Leben kam, hat hingegen vor seinem Tod kundgetan, daß bisher nur die Hälfte oder noch weniger von der Geschichte der amerikanischen Waffentransfers in den Iran bekannt seien. In einem Interview, das Bob Woodward von der 'Washington Post‘ im Sommer mit Nir geführt hatte, berichtete der Israeli, daß mehrere antiterroristische Geheimaktionen, die er in Kooperation mit North durchgeführt hatte, durch ein geheimes Abkommen zwischen Israel und der Reagan-Administration gedeckt waren. Über ein derartiges Abkommen war bisher nichts bekannt, seine Existenz wird von offizieller amerikanischer Seite auch bestritten. Nir gab jedoch an, über umfangreiche Dokumentation seiner Behauptungenen zu verfügen. „Informierte Quellen“ haben Woodward gegenüber bestätigt, daß das Geheimabkommen von hochgestellten Beamten beider Regierungen unterzeichnet wurde. North wolle sich auf das Dokument berufen, heißt es außerdem, um sich vor Gericht zu verteidigen. Zu den bisher unbekannten Geheimaktionen des North-Nir-Teams gehört das Aufstellen einer Truppe von 40 bewaffneten libanesischen Drusen 1986, die vermutlich helfen sollten, die in Beirut festgehaltenen US-Geiseln zu befreien. In Erwägung gezogen wurde angeblich auch, Verwandte der Kidnapper zu entführen und gegen die US-Bürger auszutauschen. Nebenbei versuchte das tollkühne Duo noch, in Polen einen ultramodernen sowjetischen T-72-Panzer zu erwerben und in die USA zu schmuggeln, wo Pentagon-Experten liebend gern einen Blick unter die Haube werfen würden.
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