: Zwei weitere Firmen im Atomsumpf
■ Staatsanwälte ermitteln jetzt auch gegen „Ortech“ in Alzenau und „Gutekunst“ in Schwenningen / Plutonium bei der NTG bestätigt / Krisenkarussell der Ausschüsse rotierte vier Stunden / Ministerien müssen Mitwisserschaft zugeben: Pakistengeschäfte lange bekannt
Frankfurt/Bonn (taz) - Zwei weitere bundesdeutsche Firmen sind in die illegalen Atomgeschäfte mit Pakistan, Südafrika und Indien verstrickt. Eine davon ist die „Ortech -Ingenieurberatung“ im unterfränkischen Alzenau. Alleiniger Geschäftsführer der in einem kleinen Wohnhaus untergebrachten „Ortech“ ist der ehemalige NTG-Chef und frühere Nukem-Mitarbeiter Rudolf Ortmayer. Erst im Mai dieses Jahres wurde „Ortech“ ins Handelsregister eingetragen. Laut Eintrag gehören zum Firmen-Repertoire Beratung, Handel und Fertigung sowie der Im- und Export von Hochtechnologie-Produkten. Einen Hinweis auf die Verwicklung von Ortmayers neuem Betrieb hatte der Geschäftsführer der „Physikalisch-Technischen-Beratung“ (PTB), Peter Finke, gegeben. Finke, der gestanden hat, sensitive Atomkomponenten durch Umdeklaration illegal ins Ausland geschafft zuhaben, ist zusammen mit Ortmayer Hauptbeschuldigter des Atomskandals. Gegenüber der taz bezeichnete sich Finke als „Pazifist“ und „Menschenfreund“.
Die Staatsanwaltschaft Hanau wollte gestern keine3 Einzelheiten zur Verwicklung der „Ortech“ mitteilen. Im Zusammenhang mit der Proliferationsaffaire wird aber auch gegen die in Villingen-Schwenningen ansässige Firma „Gutekunst“ ermittelt. Der „Ein-Mann-Betrieb handelt mit radioaktiven Leuchtstoff-Farben und radioaktiven Lichtquellen und besaß dafür auch zwei Umgangsgenehmigungen, die wir jetzt entzogen haben“, erklärte der Sprecher des baden-württembergischen Sozialministeriums, Harald Frank, gegenüber der taz. Gegen den Betrieb besteht ein „Anfangsverdacht“. Nach Meinung von Frank, sei es „theoretisch denkbar, praktisch aber auszuschliessen“, daß das in den Lichtquellen enthaltene Tritium für militärische Zwecke extrahiert wurde. Frank vermutet vielmehr, daß „der derzeit in Spanien weilende Gutekunst-Geschäftsführer“ als Kontaktmann für die NTG-Geschäfte gedient habe.
„Es gibt nur ein Tritium. Das wird sowohl für Leuchtstoffröhren wie auch für Spaltbomben benötigt“, berichtet Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut. Die Bombentauglichkeit hänge lediglich von der Reinheit des Stoffes ab.
Unterdessen hat der hessische Umweltminister Weimar bestätigt, daß die Hauptverdächtige Gelnhauser Firma NTG „Anfang der siebziger Jahre“ eine Umgangsgenehmigung für insgesamt sechs Gramm Plutoniumoxid hatte. Es sei nicht mehr feststellbar, wofür der Stoff verwendet wurde.
In Bonn räumten Wirtschaftsministerium und Auswärtiges Amt gestern vor der Presse ein, daß - wie die taz gestern berichtete - beide Behörden 1985 mit dem geplanten Export einer Tritium-Rückgewinnungsanlage durch die Hessische Firma NTG an Pakistan befaßt waren. Daß das Wirtschaftsministerium damals entgegen den Bedenken des Auswärtigen Amts grünes Licht für die Lieferung gab, rechtfertigte der Sprecher des Ministeriums damit, daß die Tritiumanlage 1985 noch nicht auf der Ausfuhrliste für genehmigungspflichtige Anlagen stand. Heute würde ein derartiger Export nach Pakistan „vermutlich nicht mehr genehmigt“.
Ob diese Anlage tatsächlich exportiert worden ist, wissen die Ministerien angeblich nicht. So wurde es jedenfalls den rund 70 Abgeordneten aus vier Bundestagsausschüssen mitgeteilt, die sich am Nachmittag mit drei Ministern und mehreren
Staatssekretären zur großen Krisensitzung trafen. Einer der Hauptbeschuldigten des Export-Skandals berichtete hingegen freimütig, die Anlage sei im Sommer diesen Jahres in Pakistan in Betrieb gegangen. Nach Angaben von Umweltminister Töpfer sind 8.000 Curie Tritium nach Pakistan ausgeführt worden, das wäre weniger als ein Gramm. Die Menge liege unterhalb der Genehmigungspflicht. Woher dieses Tritium kommt, wurde auf der Sondersitzung nicht mitgeteilt. Auch konnte nicht ausgeschlossen werden, daß größere Mengen nach Pakistan gelangten. Während der Sondersitzung sagte Wirtschaftsstaatssekretär von Würzen nach Berichten von Teilnehmern, daß einige der exportierten Materialien „wahrscheinlich“ auf dem Index für genehmigungspflichtige Ausfuhren gestanden hätten. Auf jeden Fall sei
aber deutlich geworden, so wurde berichtet, daß die fraglichen Anlagenbeschreibungen, wie sie der Staatsanwaltschaft vorliegen, nicht mit denen der offiziellen Ausfuhrliste übereinstimmen. Für Grüne und SPD steht fest, daß gegen das Außenwirtschaftsgesetz und vermutlich auch gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen wurde. Ohne Aussicht auf Erfolg forderten die Grünen eine Sondersitzung des Bundestags am 2.Januar. Als sicher gilt hingegen, daß sich der Atom-Untersuchungsausschuß bereits in der ersten Januar-Woche mit der Affäre befassen wird.
Der SPD-Politiker Karsten Voigt will vom US-Senat erfahren haben, daß die Export-Affäre den US-Kongreß beschäftigen wird. Voigt: „Im Ausland wächst das Mißtrauen gegen die Bundesrepublik.“
Michael Blum/Charlotte Wiedemann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen