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Zwei für Lateinamerika

■ Pablo Neruda und Fidel Castros Kuba im Fernsehen

Nicht erst seitdem Isabel Allende mit ihrem Geisterhaus und Gabriel Garcia Marquez mit seinem Buch Die Liebe in den Zeiten der Cholera in die bundesrepublikanischen Hitlisten aufstiegen, hat die lateinamerikanische Literatur den europäischen Kontinent erobert. Schon lange Zeit vorher hatten Marquez mit seinem Buch Hundert Jahre Einsamkeit und Neruda mit seinen Gedichten die Liebhaber südamerikanischer Literatur begeistert. Es sind die Phantasie, die Vitalität und der Erfindungsreichtum der lateinamerikanischen Erzählkunst, die den europäischen Leser faszinieren. Aber nicht nur die außerordentliche Sprachgewalt dieser Literatur ist beeindruckend, auch ihre Anteilnahme, das heißt die Parteilichkeit der Schriftsteller, die für die Armen und Unterdrückten sich einsetzen, für deren Ängste und Hoffnungen. Ihr Leid und ihre Sehnsüchte machen das Spezifische dieser Prosa aus. Und obgleich diese Autoren tief in die Geschichte ihrer Kultur und ihrer Mythen verwurzelt sind, sind sie doch gleichermaßen auch Weltbürger - Lateinamerikaner und Kosmopoliten.

Nachdem Garcia Marquez, Isabel Allende und Carlos Fuentes bereits vom ZDF vorgestellt wurden, werden an den nächsten Montagen drei weitere Porträts lateinamerikanischer Literaten gesendet (am 2., 9. und 16.Januar).

Heute abend steht die Biographie des chilenischen Dichters Pablo Neruda, der 1971 mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt wurde, auf dem Programm. Neruda, 1904 als Sohn eines Eisenbahners geboren, war bereits ein weltweit übersetzter Dichter, als er 1969 von der kommunistischen Partei Chiles aufgefordert wurde, für die anstehende Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Allerdings sollte er verzichten, wenn sich die Volksfront auf einen gemeinsamen Kandidaten würde einigen können. In seinen Lebenserinnerungen Ich bekenne ich, habe gelebt schreibt der Autor dazu: „Sobald meine Kandidatur an jenem Meermorgen von Isla Negra beschlossen war, schlug sie ein wie der Blitz. Es gab keinen Ort, wohin ich nicht gebeten wurde. Mich rührten die Hunderte oder Tausende von Männern und Frauen aus dem Volk, die mich fast erdrückten, mich küßten und weinten. Bewohner der Vorstädte von Santiago, Bergleute aus Coquimbo, Männer des Kupfers und der Wüste, Bäuerinnen, die mit ihren Säuglingen im Arm stundenlang auf mich warteten, schutzlose Leute, angefangen beim Fluß Bio Bio bis jenseits der Landenge von Magallanes, zu ihnen allen sprach ich, ihnen las ich meine Gedichte im strömenden Regen vor, im Kot der Straßen und Wege, im Astralwind, der die Menschen erschauern ließ. Ich wurde warm bei der Arbeit. Jedesmal kamen mehr Leute zu meinen Versammlungen, jedesmal mehr Frauen. Fasziniert und entsetzt dachte ich: Was werde ich tun, wenn ich tatsächlich zum Präsidenten der ungezähmtesten Republik gewählt werde?“ Seine Besorgnis erwies sich als unnötig, da die Volksfront den gemeinsamen Kandidaten Allende aufstellte. Als dieser siegte, schickte er Neruda als Botschafter der ersten demokratisch gewählten sozialistischen Regierung Chiles nach Paris. Aber Neruda erkrankte bald und kehrt nach Chile zurück.

Nur um zwölf Tage überlebte der Dichter 1973 den Sturz seines Freundes Allende. Im Nachwort der bereits zitierten Memoiren schreibt Curt Meyer-Clason: „Am 11.September begann das Ende. Neruda hörte Allendes letzte Rede. Bald waren Pablo und Matilde (Nerudas Frau) isoliert, abgeschnitten von der Hauptstadt, das Haus überwacht, die Freunde geflohen, verhaftet. Der Arzt verbot dem Schriftsteller, Nachrichten zu hören, doch er, bereits fiebrig, klammerte sich an die Einzelheiten des Verhängnisses; über Radio Mendoza erfuhr er von Allendes Tod. Am 18. wurde er mit hohem Fieber ins Krankenhaus nach Santiago geschafft, behindert durch die 'carabineros‘, die Grenzpolizei, welche die Straßen abgesperrt hatte. Dort funktionierte nichts mehr, der Arzt in Todesangst - wie alle anderen, sagte Matilde -, es fehlte an Antibiotika, Krankenschwestern fielen aus. Endlich, am 20.September, überbrachte der mexikanische Botschafter das Angebot des Präsidenten Echeverria, Neruda mit einer Sondermaschine auszufliegen. Neruda weigerte sich, das Land zu verlassen - er, der nie einen Leibwächter nötig gehabt hatte: ganz Chile hatte ihn beschützt, das Volk war sein Freund. Um ihn zur Ausreise zu bewegen, mußte Matilde gestehen, daß sein Wagen beschlagnahmt, sein Fahrer verhaftet, sein Haus in Santiago verwüstet sei. Sie fuhr nach Isla Negra, packte zwei Koffer; als sie zurückkam, ging es ihm wesentlich schlechter; er delirierte 'Man mordet sie, man mordet sie‘. Er, der übermenschliche Kräfte besessen hatte, war durch den Tod des Freundes moralisch gebrochen. Nach einem leichten Beruhigungsmittel schlief er eine Nacht und einen Tag hindurch. Am 23. abends, gegen elf Uhr, setzte das Herz aus, und er glitt vom Schlaf hinüber in den Tod. General Pinochet ordnete dreitägige Staatstrauer an; eine Stunde später erfuhr Matilde Urrutia telefonisch, daß man ihr Haus in Valparaiso zerstört hatte.“ Der chilenische Schriftsteller Antonio Skarmeta, jahrelang mit Neruda befreundet, hat das Leben und die Wirkung seiner Literatur filmisch aufgearbeitet. Mein Land wird deines sein, um 22.10 Uhr im ZDF. ***

Als Fidel Castro zwei Wochen nach seinem siegreichen Einzug in Havanna zu einem kurzen Besuch nach Caracas kam, war Neruda einer der 200.000 Menschen, die stehend sich Castros vierstündige Rede anhörten. „Für mich wie für viele waren Fidels Reden eine Offenbarung. Als ich ihn vor jener Menschenmenge sprechen hörte, begriff ich, daß eine neue Zeit für Lateinamerika angebrochen war. (...) Seine Sprache war natürlich und didaktisch. Es schien, als lerne er selbst, während er sprach und lehrte.“ Das schrieb Neruda über seine erste Begegnung mit dem Revolutionsführer, später wurde er Castro persönlich vorgestellt. In seinen Lebenserinnerungen beschreibt er den maximo lider folgendermaßen: „Plötzlich ging die Tür auf und Fidel Castro füllte den Rahmen mit seiner massigen Gestalt. Er war einen Kopf größer als ich. Trat mit raschen Schritten auf mich zu. 'Hallo, Pablo!‘ sagte er, und ich versank in einer langen, festen Umarmung. Mich überraschte seine zarte, fast kindliche Stimme. Selbst sein Aussehen stimmte mit dem Ton seiner Stimme überein. Fidel machte mir nicht den Eindruck eines großen Mannes, sondern eines großen Kindes, dem man plötzlich die Beine langgezogen, aber sein Kindergesicht und seinen spärlichen Jünglingsbart gelassen hat.“ Heute, am Jahrestag der Revolution, ist sein Bartwuchs nicht mehr so spärlich, dafür aber sind seine Reden immer noch so lang wie damals. Jochen Nuhn und Immo Vogel haben die politische und wirtschaftliche Situation der Karibik-Insel in einer Reportage unter die Lupe genommen, sind doch die Revolution und sein Führer in die Jahre gekommen. Castros Kuba, um 21.05 Uhr, ARD.

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