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Der Krieg als Picknick

■ Eine Ausstellung im Pariser Centre Pompidou zeigt „30 Jahre Photojournalismus“

Der Name Phan Thi Kim Phuc wird niemandem etwas sagen. Das Bild der jungen Vietnamesin, das Anfang der siebziger Jahre um die Welt ging, hat sich jedoch ins photographische Gedächtnis eingeprägt. Beim Anblick dieses Mädchens, das sich die Kleider vom Leib gerissen hat und schreiend eine von Napalm verwüstete Straße entlangläuft, rückt das mediatisierte Grauen des Vietnam-Krieges von der Vergangenheit in die Gegenwart. Das Photo der jungen Vietnamesin ist nach der Definition des französischen Photographen Brassai ein gutes Photo, weil es nicht vergessen werden kann. Es hatte eine so nachhaltige Wirkung auf die schockierte amerikanische Bevölkerung, daß sich das Photomagazin 'Life‘ noch im selben Jahr veranlaßt sah, ein anderes Photo von Kim Phuc zu verbreiten, mit dem die fortschreitende Genesung bewiesen und der Schock der Amerikaner gedämpft werden sollte.

Dieses preisgekrönte Photo von Huynh Congs ist eines von 240 Pressebildern, die bis zum 6.Februar im Centre Pompidou im Rahmen des 100 Ausstellungen umfassenden Photofestivals Le Mois de la Photo zu sehen sind. Die Retrospektive 30 Jahre Photorealismus versammelt von 'World Press Photo‘ prämierte Schockdokumente, die 30 Jahre Geschichte, aber auch die veränderte Funktion und Bedeutung des Photojournalisten dokumentieren. Der Pressephotograph ist zwar nicht ausgestorben, aber mußte zum größten Teil seinen Platz an das Fernsehen abtreten. Das Bild vom rasenden Reporter, der mit unzähligen Teleobjektiven behängt die Länder bereist und den aktuellen Ereignissen hinterherhetzt, gehört schon der Vergangenheit an und wird ersetzt durch die überall präsenten Fernsehteams.

Seit den Anfängen des Pressejournalismus gilt, daß der photographierte Gegenstand wichtiger ist als die spezielle „Handschrift“ des Photographen. Sein Name verschwindet hinter dem Bild. Dieses Desinteresse am Photographen leitet sich ab aus seinem Auftrag. Seine Aufgabe ist es, Aktuelles, in Abhängigkeit von der Zeitung auch Sensationelles, mit möglichst großer Wirkung zu fixieren. So wie der Journalist Sklave des Tagesgeschehens ist und Aktualität profitsichernd verkaufen muß, ordnet sich auch der Photograph dem Marktgesetz der Presse unter. Er suchte die Orte des Grauens auf, er macht den Schrecken photogen. Nichts ist verkäuflicher als das photographierte Elend anderer.

Der größte Teil der im Centre Pompidou ausgestellten Photos zeigt daher nicht zufällig das Katastrophale und Grausige: Photos aus dem Korea- und Algerienkrieg, von den Auseinandersetzungen in Budapest (1956) und Prag (1968), von „berühmten“ Attentaten, Staatsstreichen in Südamerika, von Aufständen in Afrika, aber auch die Landung auf dem Mond. Die Photos ästhetisieren dabei keineswegs das Grauen, sondern zeigen sein nacktes Gesicht. Was denkt ein Photograph, der im rechten Augenblick am rechten Ort die Kamera auf einen zum Sterben verurteilten Vietkong-Anhänger richtet, dem von einem Polizeichef aus Saigon das Gehirn zerschossen wird? Aus seiner Sicht ist es sicher ein „gelungenes“ Photo. Es wird sich verkaufen lassen und im besten Fall über die Grausamkeit des Krieges aufklären.

Historisch gesehen ist der Krieg der älteste Gegenstand des Photojournalismus. Die ersten in Zeitungen veröffentlichten Photos zeigen den Krimkrieg von seiner retuschierten freundlichen Seite. Der beauftragte Photograph Roger Fenton setzt ihm die Maske des gemütlichen, männlichen Beisammenseins im Freien auf: der Krieg als Picknick. Ganz anders Mathew B. Trady, dessen Photos vom amerikanischen Bürgerkrieg aufgrund ihres dokumentarischen, ungestellten Charakters nicht zu verkaufen waren.

Von der verbrannten Erde, den Häusern in Flammen und den Toten wollte niemand etwas wissen und schon gar nicht drucken und verbreiten. Schon in den Anfängen tritt die Gefahr und Chance des Pressejournalismus deutlich zu Tage. Je nach Engagement des Photographen und den politischen Interessen der Zeitung wird die Wiedergabe der Realität manipuliert und zurechtgerückt, werden Teile von ihr ausgeblendet. Das Bild wird seit dem 19.Jahrhundert zum Handlanger von Ideologien und dient sowohl der Absicherung von Herrschaft wie auch der Aufklärung. Seit 1880 verwenden amerikanische Wochen- und Monatszeitschriften regelmäßig Photos, und 1904 illustriert erstmals eine Tageszeitung, der 'Daily Mirror‘ in England, eine Ausgabe ausschließlich mit Photos. Die Photographie als Darstellungs- und zusätzliches Nachrichtenmittel hält Einzug in die Presse. Im Berlin der zwanziger Jahre wird dann der „eigentliche“ Pressejournalismus ins Leben gerufen, der von den großen Magazinen wie 'VU‘, 'Life‘, 'Paris Match‘ und 'Look‘ in den dreißiger Jahren und nach dem Krieg fortgesetzt wurde. Die 'Berliner Illustrierte‘ und die 'Münchener Illustrierte‘ der zwanziger Jahre gaben das Modell ab für diese mittlerweile ausgestorbene Form des Photojournalismus - das damals neue journalistische Genre orientierte sich an der in den 20er Jahren entwickelten Reportage: Um ein zentrales Photo (Thema), welches bereits alle Elemente der Geschichte enthält, sind eine Reihe von Bildern gruppiert, die die Geschichte in Details erzählen. Das Ende von 'Life‘ im Jahre 1972 ist symptomatisch für den Untergang des Photojournalismus. Der Wettlauf zwischen dem laufenden und fixierten Bild ist schon lange entschieden. Auch das wird deutlich im Centre Pompidou, indirekt.

Gabriele Mittag

30 Jahre Photojournalismus, Centre Pompidou, Paris, bis 6.Februar.

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