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E D W I N R E D S L O B

■ K U N S T H A N D E L

Die Zahl derer, die in den Ateliers der Künstler ihre Eindrücke vom Werden des Neuen empfangen konnten, war naturgemäß klein. Für den größeren Kreis der Kunstfreunde wurden im Berlin der Zwanziger Jahre mehr und mehr die Galerien der Kunsthändler entscheidend. Ich denke an Cassirer, Gurlitt, an Flechtheim, Nierendorf und an Herwarth Waldens „Sturm“. Zu Beginn des Jahrhunderts hatten die großen Kunsthandlungen noch den Charakter von Läden mit Schaufenstern, und die Polizei sorgte dafür, daß von der Straße aus keine Bilder zu sehen waren, an denen verlogene Tugendbolde Anstoß hätten nehmen können. Es gab eine berühmte Geschichte, wonach ein Schutzmann in die einst sehr angesehene Kunsthandlung Keller und Reiner gestürmt sei, die eine Studie zu den Gänserupferinnen, einem bekannten Bild von Max Liebermann, ausgestellt hatte. „Die Leda mit dem Schwan muß 'raus aus dem Schaufenster!“ So habe der Hüter des Gesetzes für die Sittlichkeit gesorgt. In den zwanziger Jahren hatte sich ein neuer Stil der Kunsthandlungen entwickelt. Sie nannten sich Galerien und brauchten keine Schaufenster mehr, um ihr Publikum zu gewinnen. Wolfgang Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers, der einst Böcklin in Berlin durchgesetzt hatte, war schon ein verwöhnter Erbe und hatte seine Galerie im Gartenhaus in der Potsdamer Straße betont auf sich und sein Bemühen um die zeitgenössische Kunst eingestellt. Man hatte das Gefühl, bei ihm ganz privatim zu Gast zu sein, wenn man die Räume seiner Galerie betrat, so persönlich und gepflegt war die Atmosphäre. Völlig anders waren die Versuche im „Sturm“, wo Herwarth Walden der jeweils neuesten Kunstrichtung eine Propaganda bereitete, die etwas erfrischend Oppositionelles hatte. Walden gab die Zeitschrift „Sturm“ heraus, die mit ihren vielen originalen Holzschnittdrucken heute zu den großen Seltenheiten aus der Epoche der frühen abstrakten und der expressionistischen Kunste gehört. Die Besuche in der Galerie des „Sturm“ hatten freilich den Nachteil, daß sich im Augenblick, wo man die Ausstellungsräume betrat, einer der hier tätigen Kunstpropheten auf einen stürzte und einem, ob man wollte oder nicht, die ausgestellten Bilder erklärte, bis man selbst ganz willenlos war. Den Schluß des Gesprächs und die Abmachung über den vorbereiteten Ankauf übernahm dann Walden selbst, der mit Hilfe eines eigentümlichen Gestells den Zigarettenstummel im Mund hielt, um sich das letzte hier angesammelte Nikotin nicht entgehen zu lassen - ein Motiv, das zu seinem hageren, scharf gezeichneten Gesicht, das darzustellen die Maler immer wieder gereizt hat, sehr gut paßte. Die Aufdringlichkeit der Werbung schreckte zwar zurück, es kam aber im Sinne des Mitmachens der Kämpfe der Avantgardisten auch etwas dabei heraus.

Aus den Erinnerungen Edwin Redslobs, der zu Beginn der zwanziger Jahre Reichskulturwart war. Ausgewählt von Michael Trabitzsch.

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