Generaldirektor für die Schiller-Werke

■ Neue Leitung der Staatlichen Schauspielbühnen löst nicht die alten Strukturprobleme

Bekennen Sie sich nun zu dem Begriff „Führungskollektiv oder nicht?!“, wurde die sogenannte „Trinität“, bestehend aus Alfred Kirchner, Alexander Lang und Volkmar Clauß, am Samstag bei der Pressekonferenz des Kultursenators ängstlich gefragt. Die einzige Frau, die Dramaturgin Vera Sturm, wurde vom Fragenden allerdings gar nicht erst in die teils göttlich, teils gespenstisch-sozialistisch anmutende Trias miteinbezogen. Doch die Angst ist unbegründet: Eine Revolution im Schillertheater findet nicht statt.

Als Kultursenator Hassemers Entscheidung für diese vier Personen als Nachfolger für den jetzigen Intendanten der Staatlichen Schauspielbühnen Heribert Sasse kurz vor Weihnachten - für die einen viel zu früh, da so kurz vor den Wahlen, für die anderen nach monatelanger Gerüchtewirtschaft viel zu spät - bekannt geworden war, hieß es zunächst, die vier sollten den Mammutbetrieb mit drei Spielstätten (Schillertheater, Schloßparktheater und Werkstatt), über 600 Angstellten, einem Ensemble von 78 festengagierten Schauspielern und einem Jahresetat von derzeit über 35 Millionen Mark ab Sommer 1990 als Direktorium leiten, ähnlich wie an der Schaubühne. Wo die einen bei solch einem moderat-enthierarchisierten Modell rot-grünen Aufstand witterten, stellten die anderen - nämlich SPD und AL sogleich die Mehrkostenfrage für vier statt einem Intendanten, obwohl diejenigen, die auch in der jetzigen Intendantenverfassung letztlich im Hintergrund schon das Sagen haben - vor allem Dramaturgen und Verwaltungsdirektoren -, dann immerhin glasnostmäßig auch nach außen die Verantwortung hätten.

Hassemer jedoch versuchte sie alle zu beruhigen. Alle vier Stellen, die neu besetzt werden, gäbe es schließlich jetzt schon: Kirchner statt Sasse, Lang statt Franz Marijnen, Clauß statt Ottmar Herren und Sturm statt Knut Boeser. Der Intendant heißt dann Generaldirektor, der Oberspielleiter Künstlerischer Direktor, der Verwaltungschef heißt Geschäftsführender Direktor und der Chefdramaturg heißt Chefdramaturgin. Alle hätten sie klar umrissene Kompetenzen, der Generaldirektor ist der Prügelknabe nach außen, und wie sie sich die Macht intern aufteilen sei im übrigen ihnen überlassen. Alles bliebe also beim alten, nur die Personen und die Titel würden ausgetauscht.

Hier aber liegt das Problem. Zwar verspricht diese Besetzung durchaus spannenderes Theater jenseits der bei ihrem Amtsantritt 1985 von Sasse und seinem Dramaturgen Boeser gehegten Träume von der Neuinstallation eines Nationaltheaters in der ehemaligen deutschen Hauptstadt. Das wird sicher von vielen begrüßt werden, dennoch ist der Unmut über die Ebene sowie die Art und Weise und den Zeitpunkt der Entscheidung bei allen Fraktionen groß, nicht zuletzt schon deshalb, weil niemand gefragt wurde.

Denn Hassemer hat mit seiner eleganten künstlerischen Entscheidung die politische Diskussion um Struktur und Organisation der Staatsbühnen unter den Teppich gekehrt. Nachdem sich schon die Vorgänger von Heribert Sasse, Hans Lietzau und Boy Gobert über die Schwerfälligkeit des Schauspielbühnenapparates beschwert hatten, deren Unregierbarkeit die künstlerische Entfaltung vollkommen verhindere, hatte das Abgeordnetenhaus 1987 vom Senator eine Strukturanalyse des Betriebes gefordert, die er, unter rein betriebswirtschaftlicher Aufgabenstellung, erst im Herbst 1988 bei einer privaten Treuhandgesellschaft in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnis für März erwartet wird. Dieses hätte, so FDP, SPD und AL, erst abgewartet werden müssen, ehe dann auf dieser Basis eine Personalentscheidung hätte getroffen werden können. Gleichzeitig hätten die verschiedenen in den Köpfen herumgeisternden Modelle zur Rettung der Schauspielbühnen ein für alle Mal ausdiskutiert werden sollen, damit endlich Ruhe in die alltägliche Arbeit einkehre und nicht ständig über die gleichen Probleme diskutiert werden müsse. So hatte etwa die FDP - übrigens durchaus mit Einverständnis von Sasse, aber gegen den Widerstand des Ensembles - für Privatisierung bzw. Umwandlung in eine GmbH plädiert, nach dem Vorbild der Eigenbetriebe oder auch der Berliner Festspiele GmbH, um flexibler in der Vertragsgestaltung zu werden - zu wessen Nutzen oder Lasten auch immer. Ferner gab es Vorschläge, das feste Ensemble zu verkleinern und anstatt dessen Schauspieler möglichst nur noch als Gäste für einzelne Produktionen zu engagieren. Schließlich überlegte man sogar, ob es nicht sinnvoll wäre, die drei Häuser völlig voneinander zu trennen. So möchte zum Beispiel gerade die AL die Schauspielbühnen mehr entmischt sehen, wenn sie vorschlägt, man solle in der Werkstatt Autoren und Experimente fördern und die anderen beiden Bühnen in „Publikumstheater“ und „Intellektuelles Theater“ aufteilen, irgenwie muß sie da einen Unterschied ausgemacht haben. Otfried Laur hingegen, Vorsitzender der berüchtigten Besucherorganisation „Berliner Theaterclub e.V.“ und bereits bekannt aus seiner fleißigen Arbeit gegen Volksbühnenintendant Hans Neuenfels, wünscht sich, wenn schon nicht Götz George als Intendanten dann wenigstens Heribert Sasse als seinen eigenen Nachfolger: „In diesen Theatern müssen Glanzlichter des Theaters inszeniert werden, die Gäste aus aller Welt begeistern und die schließlich und endlich auch hervorragendes Theater für die vielen Gäste des wirtschaftlichen Lebens der Stadt produzieren.“ Während der Kulturpolitische Sprecher der SPD, Ditmar Staffelt, aus Indignation darüber, daß ihn Hassemer nicht um Meinung und Rat gefragt hat, forderte, auf die Neubesetzung vor den Wahlen zu verzichten, hat Laur, ebenfalls indigniert, weil ungefragt, und gleichzeitig in Sorge um den Genuß der Touristen und Manager, in einem Telegramm an Diepgen den Kopf des Senators gefordert, an dessen Fall er sich mit einer angekündigten Demo tatkräftig beteiligen will.

Die einzigen, die Stillschweigen bewahren, sind die eigentlich Betroffenen: Der Personalrat des Schillertheaters erfuhr von den neuen Chefs nur aus der Zeitung. Erst am Freitag stellten sie sich persönlich vor. Gerade begeistert über dieses Vorgehen ist die Personalvertretung nicht, man hört aber, sie habe weitgehend auf der Seite von Sasse gestanden - schon um der angestammten Privilegien einzelner Ensemblemitglieder, die um die Möglichkeit von Nebeneinnahmen bei Film, Funk und Fernsehen bange, sollte sich nun wirklich, wirklich etwas ändern. Äußern wollte man sich jetzt nicht: Man wolle keine Formfehler machen.

Fest steht jedenfalls, daß Hassemer das wahre Glück bei der Intendantensuche bisher versagt blieb. Sasse war nix, Neuenfels hat ihm an der Volksbühne nur Ärger gebracht und Nele Härtling hat er am Hebbel-Theater finanziell gleich so auf Sparflamme gesetzt, daß er der eigentliche Intendant des Hauses ist, weil die Senatskulturverwaltung über jeden Pfennig wacht. Auch jetzt ist er wieder in alle Fettnäpfe getappt, in die er gar nicht hätte tappen müssen.

Gabriele Riedle