Keine Oase der Völkerverständigung

Ob an der Uni Frankfurt, Köln, Berlin oder Mainz: Die Lehrinhalte der Ethnologie sind immer noch vom Überlegenheitsdenken den „primitiven Völkern“ gegenüber geprägt Europid, negroid, hamitisch und immer wieder „die Neger“ - Rassismen als „Termini“ / Mühsamer Weg von der Kolonialwissenschaft zur progressiven Sozialethnologie  ■  Von Mirjam Jakob

„Achten Sie bitte auf die europiden Gesichtszüge“, bittet Professor Haberland vom Frankfurter Institut für historische Ethnologie seine StudentInnen in einem Einführungsseminar über afrikanische Geschichte. Sein Zeigestock weist auf die Dia-Leinwand, wo ein junges, hübsches, hellhäutiges Amhara -Mädchen aus Äthiopien abgelichtet ist. Das nächste Dia: Eine alte, faltige, dunkelhäutige Oromo-Frau, ebenfalls aus Äthiopien, erscheint. „Bitte achten Sie auf die negroiden Gesichtszüge.“ Schweigen im Seminarraum, nicht etwa betretenes Schweigen, sondern die meisten StudentInnen hatten nichts Anstößiges bemerkt.

„Rassismus in der Ethnologie? Da kann ich mir nicht viel drunter vorstellen. Ich hab mich noch nie damit beschäftigt“, meint der Haberland-Magistrant Peter Küpper. StudentInnen des Fachbereichs Ethnologie in Frankfurt brauchen sich vom ersten bis zum letzten Tag ihres Studiums weder mit ihrem eigenen, noch mit institutionellem Rassismus auseinanderzusetzen. Selbst als sich während des Studentenstreiks im Dezember 1988 Arbeitsgruppen zu Themen verschiedenster Art bildeten, schien Rassismus nicht der Rede wert.

„Ich denke mir, wir sind so eine Art Versuchskaninchen in einem offenen Zoo“, sagt der afrikanische Ethnologiestudent Amadu. „Es wird immer von hier aus betrachtet, analysiert, kommentiert. Wenn Student und Studentin nur an mir interessiert sind, weil sie wissen wollen, wie man bei uns eine Mahlzeit einnimmt, zur Hochzeit tanzt oder zum Begräbnis heult, und danach bin ich kein Freund mehr, das ist auch Rassismus, der mir sogar viel mehr weh tut, als wenn jemand schimpft 'Du Neger‘.“

Der Professor für afrikanische Sprachwissenschaft Hermann Jungraithmayr, dessen Lehrstuhl in Frankfurt zur Ethnologie gehört, hat sich dem Motto verschrieben, die wissenschaftliche Forschung sei neutral und daher über jeden Vorwurf erhaben. Der Afrikaner Abdu, ein früherer Student Jungraithmayrs, hingegen erzählt: „Ein Ausdruck wie 'hamitische Sprachen‘ hat mich immer gestört und ich habe es immer wieder meinem Professor gesagt. Aber Jungraithmayr sagt, es sei kein rassistischer Ausdruck, obwohl er heute der einzige Afrikanist ist, der diesen Begriff noch gebraucht.“ Der Ausdruck „hamitisch“ basiert auf einer Bibelstelle: Noah liegt nackt und betrunken in den Weinreben. Ham, einer seiner drei Söhne, lacht ihn aus und wird vom Vater verflucht. Durch diesen Fluch wurde Ham plötzlich schwarz und zog nach Afrika. „Ich als Schwarzer habe ihn als Großvater“ fährt Abdu fort. „In Südafrika mißbrauchen rassistische Pfarrer diese Passage aus der Bibel, um zu sagen, daß die Schwarzen immer Knechte der Weißen bleiben müssen, um Rassismus zu legitimieren. Jemand, der ein bißchen gebildet ist, weiß genau, daß es sehr gefährlich ist, solche Begriffe zu wissenschaftlichen Zwecken zu benutzen. Professoren, die das tun, sind meiner Auffassung nach Rassisten.“

Ewig Gestrige, Überbleibsel aus undemokratischer Urzeit, könnte man meinen und naiverweise annehmen, die Ethnologie sei eine Oase der Völkerverständigung in der deutschen Hochschullandschaft. Doch die Ethnologie, die traditionell im Verruf steht, eine Kolonialwissenschaft zu sein, scheint sich bis heute weder in bezug auf ihre Funktion und Aufgaben noch unter der Last der Geschichte in Frage gestellt zu haben. Rassismus, das unvermeidliche Überlegenheitsdenken westlicher Prägung, ist kein Thema in der Ethnologie, denn wer sich mit fremden Völkern beschäftigt, scheint automatisch über jeglichen niederen Gefühlen zu stehen.

Das Frankfurter Ethnologie-Institut ist zwar eines der konservativsten im Lande, jedoch keineswegs eine unrühmliche Ausnahme. Das als fortschrittlich geltende interdisziplinäre Ethnologie-Institut in Mainz hat sich politische Aktion auf die Fahne geschrieben, organisiert Ausstellungen über Südafrika, politische Veranstaltungen und dergleichen. „Vor etwa eineinhalb Jahren wurde von Professor Grohs hier in Mainz ein Seminar über Rassismus angeboten. Ein Student referierte über Sklaverei in Lateinamerika und brachte den Satz 'Neger arbeiteten besser als Indianer‘. Ich habe ihn direkt darauf angesprochen und wollte wissen, was er von seinen Begriffen hält. Von ihm und auch der Mehrheit der Gruppe habe ich dann ganz massiv erfahren, daß sie keine Probleme mit dem Wort haben, und wer sich beschwert, ist übersensibel und irgendwie falsch gepolt. Nach der Stunde hat mich eine Kommilitonin angesprochen, daß ich - ich bin schwarze Deutsche - ja wohl deshalb Probleme mit dem Begriff 'Neger‘ hätte, weil ich ja offensichtlich nicht so richtig schwarz sei, ich es aber gern sein würde, und mich eben überidentifiziere.“

Professor Gerhard Grohs, der in diesem Seminar keine Stellung zu dem Begriff 'Neger‘ bezogen hatte, betont später: „Wir legen großen Wert darauf, daß auch die sprachliche Komponente beachtet wird und die Fragwürdigkeit von Begriffen wie 'Neger‘ oder 'primitive Völker‘ dargelegt wird und Ethnologen, auch unsere Studenten, sich darum bemühen, diese Begriffe zu vermeiden.“

Die Wissenschaft als Elfenbeinturm, dagegen hat sich der inzwischen pensionierte Professor Ernst W.Müller aus Mainz, immer gewehrt. Er gilt als Propagandist und vehementer Vertreter der progressiven Sozialethnologie. „Was ich nicht erwartet hätte“, erzählt Renate, schwarze Deutsche, die in Mainz studiert, „daß er eine Rede halten kann im Mainzer Rathaus vor allgemeiner Öffentlichkeit und diese Rede mit Worten wie 'Neger‘, 'Negertum‘, 'Negerpoesie‘ gespickt hat. Als ich ihn daraufhin ansprach, meinte er, daß er sich keine allzu großen Gedanken gemacht hatte, daß er es natürlich einsieht und für die schriftliche Form abändert.“

Wenn die Ethnologie eine politische Verantwortung in der Gesellschaft nicht übernehmen kann oder will, welche Funktion hat sie dann? „Zulieferideologie auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, von der Philosophie bis zum Tourismus“, meint Dr.Tirmiziou Diallo, der zehn Jahre als afrikanischer Soziologe am Berliner Ethnologie-Institut lehrte. „Ausgehend von einem Mangel an Staat läßt sich leichter sagen, was ein Staat ist, ohne beim Staat selber nachzufragen. Oder auf gesellschaftlicher Ebene, wenn den Leuten vorgegaukelt wird, 'die leben wie im Mittelalter‘, hat der normale Bürger ein Gefühl von Inbrunst, wie weit er selbst gekommen ist.“

Im Rahmen der Studentenbewegung bemühte sich das damals linksgerichtete, kritisch gesonnene Berliner Institut, die Ethnologie zu reformieren. Dr.Diallo wurde als Dozent angeworben. „Ich stellte schnell fest, daß man mich nur funktionalisieren wollte. Und einer der damaligen Wortführer dieser Richtung, ein angesehener, sich links nennender Ethnologe, hat es auch wortwörtlich so gesagt, ich solle mir nicht so viel einbilden, ich sei nur eingeladen, um Rohmaterial zu liefern; denken tun sie selber. Da habe ich mich persönlich gefragt, wo der Unterschied ist zwischen mir und dem Rohmaterial, was die Dritte Welt den Industrienationen liefert. Das heißt, daß dasselbe System, wirtschaftliche System, auch im System des Denkens verankert ist. Allein schon durch seine Anwesenheit gilt ein Afrikaner, auch wenn er nichts sagt, wie ein 'agent provokateur‘, er stört.“

Die ethnologische Ruhe gestört hat auch die afrikanische Völkerkundlerin Diana Bonnelame, die am Kölner Ethnologie -Institut einmal den Spieß umdrehen und über die deutsche Bevölkerung mit ethnologischen Methoden forschen wollte. Anhand eines Films wollte sie illustrieren, Deutschen seien Wie andere Neger auch (Filmtitel). Daß die Deutschen das nicht sind, zeigte sich, als sie aus dem Doktorantenkolloquium ausgeschlossen und ihr Stipendium gestrichen wurde; so einfach ist das.

Die Namen der zitierten StudentInnen sind im Interesse der Be(nach)teiligten verändert worden.

Mirjam Jacob ist Mitarbeiterin beim Informationsdienst Projekt Alltag (ID).