: Universität beim Senator „nicht im Zentrum“
■ taz-Gespräch mit Universitätsrektor Jürgen Timm: „Wir werden auf 10 Jahre unheimliche Probleme haben“ / Von StudienbewerberInnen überrollt: Es fehlen Stühle, Räume, wissenschaftliche Mitarbeiter, Professoren und Praktikumsplätze
taz: Der Rektor der Universität ist kein Student mehr. Wenn er aber noch mal 20 wäre, stände er dann möglicherweise jetzt gerade vor einer studentischen Vollversammlung, um Streikreden zu halten?
Timm: Das wäre denkbar. Die Situation ist so, daß etwas getan werden muß. Die Universität ist für 7.500 Studenten gebaut, wir haben rund 12.000 Studenten, wir haben also eine riesige Überlast, die insgesamt ein Riesenproblem bedeutet.
Wo sind die Engpässe am engsten?
So weit ich das im Augenblick übersehen kann: besonders in der Elektrotechnik, in der Biologie, in der Psychologie und in den Kulturwissenschaften.
Nun ist der Rektor kein Student mehr, sondern Beamter. Was tut er - außer Verständnis für dieStreikenden aufzubringen?
Zunächst müssen wir versuchen, für die Studentenaktionen auch in der Öffentlichkeit Verständnis zu erzeugen. Dafür ist es gut, daß die Studenten sich mit vernünftigen Forderungen an die Öffentlichkeit wenden. Von unvernünftigen Forderungen muß ich mich natürlich distanzieren...
Und was ist unvernünftig?
Naja, wenn man die gesamte Entwicklung der Universität wieder umzukrempeln versuchte. Das würde ich nicht mitmachen.
Und was würden Sie machen? Meistens geht es ja um Geld, und darüber müßte man als Universitätsvertreter in Bremen wohl mit dem Senator für Wissenschaft und Kunst verhandeln.
Das ist schwierig. Es ist so, daß es immer einen Dissens gegeben hat - das ist kein bremisches Problem - zwischen der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz und den Finanzminstern. Die hatten jeweils unterschiedliche Prognosen. Es zeigt sich heute, daß unsere, die der Rektoren, die richtige war. Nun könte man zufrieden sein und sagen „Wir haben recht gehabt“. Aber natürlich hat der Staat die Konsequenzen nicht gezogen aus unseren Prognosen, sondern aus den Prognosen, die falsch waren.
Wie ist das in Bremen gewesen. In der Gründungsphase der Universität hat der Senator oft geglaubt, Anlaß zu haben, sich über diese
Universität und ihre Studenten zu ärgern, war aber gleichzeitig ziemlich stolz, daß er überhaupt eine Universität bekam. Er hat sich also gekümmert. Ist das immer noch so?
Es ist für den Senator inzwischen ja die Kompetenz für die Schulen hinzugekommen und die hat seine Kapazität sehr stark in Beschlag genommen, so daß die Universität nur noch ein kleiner Teil des Gesamtressorts ist und nicht mehr so im Zentrum der Aufmerksamkeit des Senators steht.
Haben Sie den Eindruck, daß den Senator an der Universität vor allem Grundsteinlegungen und Einweihungen interessieren, ihm die Alltagsprobleme aber eher gleichgültig sind?
Ich bin ja sehr froh, daß er uns, seit ich Rektor bin, eine sehr viel größere Autonomie läßt, als das früher der Fall war. Insofern ist es auch nicht mein Ziel gewesen, den Senator zu animieren, möglichst viel mitzuregieren...
Relative Autonomie ist ja etwas anderes als relative Gleichgültigkeit.
Ich sehe einfach die persönlichen Belastungen des Senators, die durch die Schulen kommen.
Aber wenn Sie ihn sprechen wollen, finden Sie die nötige Aufmerksamkeit und das nötige Engagement?
Ich spreche ja persönlich meistens mit seinem Senatsdirektor, Herrn Hoffmann. Da gibt es relativ viele Gespräche, und da habe ich keine Probleme.
Was steht denn angesichts der aktuellen Überlastung der Universität auf Ihrer Themenliste?
Es gibt Raumprobleme. Wir haben nicht genügend Stühle. Wir knapsen sehr an dem Problem, daß der wissenschaftliche Mittelbau zu klein ausgebildet ist. Unter Umständen kann's dazu kommen, daß wir unsere Studienreform-Konzeption aufgeben müssen, wenn wir da nicht Hilfe bekommen. Dann gibt es einige Fälle, wo wir auch im Professoren-Bereich etwas tun müssen, wo die Überlast so groß ist, daß wir zusätzliche Professoren brauchen. Und dieser Gesamtkatalog an Forderungen muß dem Staat jetzt zugehen.
Nun hat die Universität in ihrer Gründungsphase ja ein Reformkonzept gehabt. Die Schlagworte hießen „Projektstudium“, „Kleingruppenarbeit“, „Inter
disziplinarität“. Das hat damals z.B. auch in ihrer Architektur Niederschlag gefunden. Das Konzept hat sich inzwischen geändert. Muß die Universität nicht
entweder abgerissen werden oder zurückkehren zum Projektstudium?
Das ist die Frage, was man will und was man muß. Wir können
nicht zu den Bedingungen zurückkehren, mit denen wir angefangen haben. Wir haben keine Chance, irgendwo in der Bundesrepublik zu verkaufen, daß diese
Universität statt jetzt 12.000 vielleicht nur noch 2.000 Studenten ausbilden will. Das wäre auch gegen meine politische Überzeugung, wieder einen rigiden Numerus clausus einzuführen, wie wir ihn am Anfang hatten. Das kann man nicht mehr machen. Wir müssen uns öffnen. Nur: Dazu passen die Räume nicht mehr, z.T müssen wir also umbauen, z.T. müssen wir neu bauen. Wir haben jetzt einen neuen Hörsaal gebaut. Aber wir sind nach wie vor in großen Schwierigkeiten.
Heißt das, daß Sie auch Großbildleinwände und Lautsprecher -Übertragungsanlagen für den Vorlesungsbetrieb anschaffen müssen.
Ein Teil davon sicher. Wir werden solche audio-visuellen Möglichkeiten schaffen müssen. Wir werden in vielen Räumen, wo bislang Tische standen, eine Art Kolleg-Gestühl anschaffen, damit wir mehr Leute setzen können. Wir müssen neue Praktikumsplätze aufbauen.
Wann finden die Studenten wieder erträgliche Arbeitsbedingungen?
Was wir jetzt an Maßnahmen ergreifen, wirkt vermutlich noch nicht im Sommer-, sondern im Wintersemester. Und dann könnte uns schon wieder eine neue Welle überrollen. Wir werden wahrscheinlich noch auf zehn Jahre hin unheimliche Probleme haben.
Fragen: Klaus Schloeser
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