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Ein Fall für „Aktenzeichen XY“?

■ Kieler Staatsanwaltschaft schnarcht über Barschel-Akten / Wahrheitsfindung über angeblichen Drohbrief an Stoltenberg schleppt sich / Justizministerium ratlos

Berlin (taz) - Weit verbreitet zwischen Nord- und Ostsee ist die Schlafkultur. Zur Perfektion entwickelt hat diese Tugend die Staatsanwaltschaft Kiel. Deren 56 Beamte müssen sich beim Liegen wunde Stellen (lat.: decubitus) zugezogen haben: Seit knapp neun Monaten schnarcht die Behörde über den Ermittlungsakten zum vermeintlichen Drohbrief des früheren Ministerpräsidenten Uwe Barschel an Finanzminister Gerhard Stoltenberg.

Kopien dieses Briefes, in dem der Autor den Noch -Parteivorsitzenden der schleswig-holsteinischen CDU, Stoltenberg, der Mitwisserschaft an Barschels Machenschaften gegen politische Gegner bezichtigt, tauchten Anfang Mai in Kiel auf. Stoltenberg stellte Strafanzeige gegen unbekannt, die Staatsanwaltschaft stempelte ein Aktenzeichen.

Ein halbes Jahr später dann wischten die Juristen mit dem Staubwedel über die Akte, oder in den Worten eines Sprechers: „Wir schalteten einen Gang höher“, nachdem am 18.Oktober das NDR-Magazin 'Panorama‘ und die taz den Fall aufgriffen. 'Panorama‘ berichtete vom Eingang des Schreibens in der Kieler CDU-Geschäftsstelle und unterstrich die Echtheitsvermutung mit dem Befund des Textgutachters Dr.Raimund Drommel. Kurz rauschte es im Blätterwald - CDU und Medien waren sich überraschend einig - kurz währte die Aktivität der erschöpften Staatsanwaltschaft.

Bis heute hat sie Dr.Drommel weder befragt, noch seine Unterlagen angefordert, geschweige denn ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. „Diese Frage wird gerade erörtert“, so ein Sprecher der Behörde zur taz. Ratlos gibt sich das Justizministerium. Dort hat man zwar mehrere Zwischenberichte von der Staatsanwaltschaft angefordert, um einige unruhige Parlamentarier vertrösten zu können. Doch auch die Justizsprecherin dreht die Gebetsmühle: „Es wird intensiv ermittelt“, und verweist auf die Beantwortung der nächsten parlamentarischen Anfrage im Februar.

Kein bißchen trantütig dagegen der NDR in Hamburg: Der Sender, fest in schwarzer Frauenhand, entsprach blitzschnell Stoltenbergs Bitte um eine Gegendarstellung in 'Panorama‘. So schnell, daß selbst die Kieler CDU sich gegenüber der taz „sehr verwundert“ äußerte und Kenner des Presserechts sich fragten, warum der NDR nicht das Gericht entscheiden ließ.

Trotz der Gegendarstellung ist 'Panorama'-Chef Dr. Joachim Wagner überzeugt, „daß alles richtig ist, was wir in dem Beitrag gebracht haben“. Auch Dr.Drommel versichert erneut: „Sprachlich ist Uwe Barschel der Urheber des Briefes. Die Aussagen stammen von ihm, ob sie nun wahr oder unwahr sind.“

Dennoch hat die Sache einen Haken: bisher fehlen die eindeutigen Beweise. Dabei geht es insbesondere um die von 'Panorama‘ damals genannten Zeugen, die den Brief im CDU -Büro gesehen haben wollen. Es soll sie geben.

Doch mittlerweile kursieren Gerüchte über „astronomische Summen“, die für eine beweiskräftige Wahrheitsfindung gefordert werden. Da würde es nicht überraschen, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen (auch) aus diesem Grunde außen vor gerät und die Stunde des Scheckbuch-Journalismus schlägt.

Petra Bornhöft

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