Auto-Gegner verleiht Autos

■ Das Nachbarschaftsprojekt „Stadt-Auto - Nachbarn teilen“ macht „Rent a car„-Firmen Konkurrenz

In Kreuzberg arbeitet man am endgültigen Aus für die Autoindustrie. Jedenfalls gibt es 22 Leute, die sich dieser Idee verschrieben haben. Vier von ihnen haben ihr eigenes Fahrzeug schon abgeschafft, seitdem sie bei dem Projekt „Stadt-Auto - Nachbarn teilen sich Autos“ mitmachen.

„Ich bin ein kategorischer Gegner der Interessen der Autoindustrie. Der Werbemythos, daß man in seinem Wagen einsam Freiheit und Freizeit genießen kann, hat sich ja wohl schon lange in den Staus erledigt“, meint der Erfinder der ersten „Nachbarschaftsautovermietung“ Deutschlands Markus Petersen. Nach Petersens Idee sollten sich viele Verkehrgestreßte, genervte Parkplatzsucher und verärgerte Werkstattkunden seiner Wohnumgebung, die, aus Erfahrung klug geworden, lieber BVG fahren, in seinem Club anmelden. Nur ab und an (z.B. für Transporte oder bei Fahrten in die DDR), wenn es nicht ohne fahrbaren Untersatz geht, sollten die Mitglieder schnell, problemlos und billig einen Pkw mieten können. Auch die Leute, die aus Geldmangel nie Auto fahren konnten, sollten von seinem Vorhaben angesprochen werden. Petersen kaufte also im Juni 1988 vorerst selber zwei Autos, setzte die Tarife fest (2,80 Mark pro Stunde, pro Tag 35 Mark, eine Woche 200 Mark) und ließ einen telefonischen Anrufbeantworter installieren, auf dem die Kunden ihre Buchungen angeben sollten. Gleichzeitig erzählte der BWL -Student seinem Professor von dem Projekt und begleitet jetzt in einem wissenschaftlichen Feldversuch mit einem Etat von 20.000 Mark (private Eigenmittel) den Versuch. Ziel: „Nachweis von Bedinungen, unter denen das 'Stadt-Auto‘ wirtschaftlich arbeitet.“ Petersens Zauberformel heißt „abgeschwächte Form von Privateigentum“. So sieht er als Utopie die Berliner als eine Vereinigung von Autokollektivisten, die sich jeweils mit 20 Menschen ein Auto teilen. Mit dem Versuch will der Forscher und Vermieter einen gedanklichen Mittelweg zwischen Privateigentum (Privat -Pkw) und öffentlichem Eigentum (BVG) in die Praxis umsetzen. „Es ist ärgerlich, daß der Senat eine autofreundliche Verkehrspolitik fährt, die die Konzerne freut. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat einen Anstieg von jetzt 650.000 auf 850.000 Autos im Jahr 2000 prognostiziert. Das Chaos auf den Straßen ist aber jetzt schon groß genug. Berlin ist im Vergleich zu anderen Großstädten noch am geringsten motorisiert. Der Senat ist nun dabei, diesen Vorsprung zu verschenken. Daher begrüßt 'Stadt-Auto‘ alle Maßnahmen, die die Attraktivität des Autos senken.“ Petersen will den großzügigen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, Tempo 30, keinen Straßenneubau und natürlich die Abwendung vom Privat-Pkw. Als einen Baustein dieses Vorhabens sieht er sein Projekt.

Bisher produziert sein Unternehmen allerdings laufend rote Zahlen, da die Verwaltungs- und Unterhaltskosten die Einnahmen übersteigen, obwohl die Auslastung der Wagen relativ hoch ist. Petersen spekuliert, daß 'Stadt-Auto‘ erst mit rund 20 Autos eine wirtschaftliche Größe erreicht. So werden die Eigenmittel bis Ende März 1989 aufgebraucht sein und die Initiative stünde vor dem vorzeitigen Aus. „Die Nachfrage ist zwar riesig, aber wenn uns bald keiner Geld zuschießt, ist die Firma pleite.“ Daher ist er auf die Idee gekommen, mit dem Senat Gespräche aufzunehmen. Der Wirtschaftssenator soll sein Projekt mit 50.000 Mark unterstützen, sozusagen als ein Akt der Vernunft auf dem Weg zu einer verkehrsberuhigen Stadt. Doch leider hofft er bisher aus dem Hause des Senator Pieroth vergeblich auf Unterstützung. „Wir stehen Petersens Projekt aufgeschlossen gegenüber, doch von 50.000 Mark höre ich zum ersten Mal“, meinte des Senators Referent Peter Kurth. Dagegen scheint die Autoindustrie praktischer zu denken: Sie hat Petersen schon einen Mercedes angeboten.

Theo Düttmann

Infos: Telefon 6124300