: RELATIVITÄTSTHEORIE
■ „The Relative Violin“ in der Akademie der Künste
Daß alles relativ sei, ist wohl eine der provokantesten geistigen Nullösungen, die man von sich geben kann. Deshalb heißt das Motto des viertägigen Geigenfestivals im Rahmen der Inventionen '89 auch nicht „die relative Geige“, sondern „the relative violin“. Was weniger mit Relativismus als mit Verwandschaft zu tun haben soll. Das bleibt jedenfalls nach dem ersten Konzertabend dieser Reihe immer noch zu hoffen, der uns zunächst mit einem Kinderstreichorchester in Schulklassenstärke, mit zwei Soloviolinisten und zu guter Letzt mit einem „quasislowakischen“ Trio beglücken sollte.
Im Foyer der Akademie herrschte eine freudige Aufregung wie vor einer Fahrt ins Schullandheim. Eltern haben ihr Kind in der einen und den Geigenkoffer in der anderen Hand, manche der Kinder sind nicht viel größer als ihr Instrument. Die kleinen Musiker werden in den Saal geschoben und verschwinden zur letzten Probe, während die Erwachsenen sich bei Kaffee und Video und einem Streichquartett ohne Streicher die Zeit vertreiben.
Die wegrationalisierten Musiker könnte man diese Installation auch nennen, die Bögen werden durch einen maschinellen Arm bewegt, der immer gleiche Quietschlaute erzeugt. In dem kleinen, abgedunkelten Raum hält es niemand lange aus, außer ein paar spielende Kinder, die sich über die Musikroboter amüsieren.
Aber dann ist Schluß mit der Spielerei, ein theatralisches Klingelzeichen ertönt, und das „Suzuki-Kinder-Orchester unter der Leitung von Susanne Mann-Koeppe“ erklimmt die Bühne. In der hinteren Reihe stehen die etwas älteren, vielleicht zehnjährigen Kinder, davor auf dem Boden hocken die Kleinen und ganz Kleinen, umklammern ihre Geigen, starren mit Riesenaugen ins Publikum, winken der Mutti zu und beißen sich auf die virtuosen Fingerchen. Überhaupt, diese zarten Finger, instinktiv scheinen sie die Saiten zu berühren, den Bogen zu führen; wie andere Kinder in diesem Alter meisterhaft Spielzeugautos zusammenstoßen lassen, so spielen diese einen Walzer von Brahms, ein Bourree von Händel, ein bißchen Vivaldi und „Alle meine Entchen“. Es ist zum Herzerweichen, mit diesen unschuldigen Geschöpfen hätte sogar der fieseste Hausmeister und Kinderquäler Nachsicht bei Beschlagnahme des Spielzeugs, sei es Geige oder Fußball. Beim letzten Stück dürfen endlich auch die Kleinsten den Bogen schwingen, was ein Mädchen im bunten Rüschenröckchen dazu nutzt, zwischendurch diese doofen Fäden vom Bogen abzureißen, die immer so unordentlich herunterhängen. Mit strahlenden Gesichtern bedanken sie sich für den Applaus. Die Jüngeren werden sofort ins Bett geschickt, die Älteren dürfen noch ein wenig bleiben, um den Erwachsenen beim Konzert zuzuschauen.
Und an diesem Punkt beginnen auch schon die Schwierigkeiten beim spielerischen Umgang mit der Geige, bei Menschen, die schon lange keine Kinder mehr sind, aber immer noch gern deren Unbefangenheit hätten. Der erste Kandidat ist Carlos Zingaro, der uns die Fiedel zu einem Video spielen möchte, nur leider ist der Film nicht da, die Technik hat versagt. Also spielt er die Filmmusik ohne Bilder, wir sollen uns selber welche einfallen lassen. Sehr spielerisch gedacht, aber zu den quadrophonisch kreisenden, verhallenden Einzeltönen wollen sich keine Bilder auf der inneren Leinwand einstellen, außer vielleicht ein blöde im Orbit kreisendes Raumschiff, das den Weg zur Erde verloren hat. Hier wird der Begriff des Relativismus zur Beliebigkeit, die nichts mehr aussagt als das verkniffene Gesicht des Musikanten.
Auch der nächste Geigenverwandte hat sich auf eine gefährliche Beziehung zur Technik eingelassen. Es ist Jon Rose, gleichzeitig verantwortlicher Programmgestalter des Festivals. Er bearbeitet eine Konstruktion aus Violine und Cello, die wie siamesische Zwillinge aneinanderkleben. Bei Bedarf wird das unselige Pärchen gedreht und die andere Seite beackert. Rose schlägt mit Sägen und anderem ihm geeignet erscheinenden Werkzeug auf die Saiten ein, zersägt ein Holzstöckchen und jagt die Geräusche tausendfach verzerrt, verfremdet, verhallt durch einen Sampling -Computer, dessen Bildschirm und Kabelsalat neben ihm stehen. Das Ganze soll avantgardistisch wirken, inklusive Roses unbeteiligtem Gesichtsausdruck, provoziert aber nur langweiligen Daten- und Tonschrott. Wer vorgibt zu spielen, sollte auch nicht den Spaß vergessen und den schöpferischen Umgang mit dem Spielzeug, wenn er es schon haßt, könnte er es wenigstens gruselig krachend zerhacken oder verbrennen, dann hätten auch die Kinder im Publikum ihren Spaß, so müssen wir alle betreten klatschen und still hoffen, daß es keine Verlängerung des Technokratenspektakels gibt.
Leise genug geklatscht, darf man sich sofort auf die nächste Vorführung freuen, eine Leinwand wird heruntergelassen, die Kinder hinter mir fragen, ob es einen Western oder Krimi gibt, oder einen Soldantenfilm, aber nichts von alledem. Der Film von Günter Christmann besteht aus Zahlen und Buchstaben, zusammenhanglos aneinandergeklebt, es sind halt „Filme für Violinisten“, deshalb stellen sich diese auch mitten ins Bild. Dafür wären Zingaro und Rose in jedem Kino verprügelt worden, aber wir befinden uns nunmal in der „Akademie der Künste“. „Relativ“ gescheitert auch dieser Versuch der medialen Zwangsvernetzung.
Als letzte Hoffnung, die Kinder sind leider fast alle bettwärts abgeführt worden, bleibt nur noch die slowakische Violinistin und Sängerin Iva Bittova, mit Schlagzeuger und Bassist angereist. Endlich entsteht eine Atmosphäre, die spielerisch leicht mit Musik hantiert. Es entstehen eingängige Rhythmen, Volkslieder aus dem Balkan werden vermischt mir einem südamerikanischen Bossa-Nova, man möchte fast tanzen nach der langen Warterei auf ein bißchen Musik, die die Geige zum Atmen braucht, und nicht, um erstickt zu werden. Ein relativ gelungener Abend.
Andreas Becker
Nächste Termine: siehe Programmblatt.
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