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Eins und Alles

■ Gespräch übers Theaterspielen mit Hanna Schygulla

taz: Sie haben seit Jahren nicht mehr in Deutschland gearbeitet. Haben Sie keine interessanten Angebote bekommen oder ist das Ihre persönliche Entscheidung?

Schygulla: Zuerst ja, ich war froh Deutschland den Rücken kehren zu können, vor allem den deutschen Kritikern, die ein so starres Bild von mir hatten, daß sie meine Arbeit immer gleich beurteilten. Ich kam dagegen nicht an. In Frankreich, wo ich jetzt lebe, steht mir das Publikum positiv gegenüber. Mittlerweile würde ich gerne wieder in Deutschland arbeiten. Die guten Filmemacher wie Wim Wenders arbeiten aber lieber mit Jüngeren zusammen, und es gibt im Moment in Deutschland auch nicht so sehr viel interessante Filmemacher. Wolfram Paulus fällt mir noch ein, dessen Arbeit gefällt mir sehr gut. Letztes Jahr hatte ich ein Theaterangebot von Wilson, aber das hab ich abgelehnt, weil ich mir zum einen nicht vorstellen konnte, so lange an ein Projekt und einen Ort gebunden zu sein, und außerdem fiel das gerade in meine Filmarbeit mit Garcia Marquez, - Der glückliche Sommer der Frau Forbes. In diesem Film spiele ich eine Frau zwischen Ordnung und Anarchie. die Spannung zwischen diesen beiden extremen reizte mich besonders.

Was hat Sie dazu bewogen, wieder Theater zu spielen?

Mit Tabori habe ich schon mal zusammengearbeitet, 1979 in den Münchener Kammerspielen, - Die Mutter Courage - und bei uns beiden war immer der Wunsch da, noch einmal zusammenzuarbeiten, aber es ergab sich nie eine Gelegenheit dazu. Es fehlte auch das richtige Stück, da ich etwas Modernes machen wollte. Jean-Claude Carriere hat mir dann von seiner Idee erzählt, dieses Stück zu schreiben, und das wollte ich dann auch mit Tabori zusammen machen.

Das Stück handelt von Gentechnologie. Hat Sie dieses Thema besonders interessiert?

Nein, es war viel mehr die Rolle der Frau, die versucht noch ein zweites Mal ihr Leben von vorne zu beginnen. Ich habe eine slawische, träge und weiche Seite und eine deutsche, die vom Wollen herkommt und dem Bedürfnis, die Dinge gerade anzugehen. Dies entspricht auch der Mutter -Tochter-Szene in dem Stück. Das war es, was mich an dem Stück besonders interessierte.

Würde es Sie auch reizen Ihr Leben noch einmal von vorne zu beginnen?

Ja natürlich, alles Neue reizt mich. Ich würde früh Kinder bekommen, mich früh binden und aus dieser Bindung heraus das Leben erfahren wollen. Ich würde etwas Ordentliches lernen. Allerdings, bei mir ist der Wunsch nach dem Gegenteil von dem, was ist, sehr ausgeprägt. Ich habe auch immer versucht, in Extremen zu leben. Für mich ist meine Rolle in dem Stück eine Entsprechung zu meiner Situation als Schauspielerin. Die Frau in Zum zweiten Mal wird aus sich selbst geboren. Das entstandene Wesen ist sie und zur selben Zeit eine andere. Nichts anderes geschieht in der Schauspielerei. Ich nehme eine Rolle an, bin eine andere und bleibe dennoch ich selbst. Es ist ein Grundprinzip, an das ich glaube. Etwas kann zur selben Zeit es selbst und auch sein Gegenteil sein. Ich habe neulich von der Quantentheorie gelesen. Sie besagt, daß ein Ding gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein kann. Das klingt unglaublich. Doch es entspricht der Grundstimmung meines Lebens. Ein Gefühl der Ungewißheit. Vielschichtigkeit, Widersprüchlichkeit, genau das, was das Stück bestimmt.

Sind Sie mit Ihrem bisherigen Leben nicht zufrieden?

Doch, natürlich, und mittlerweile weiß ich auch, daß man seine Freiheit nur findet, wenn man ja sagt zu dem, was Zwang ist. Früher war die Karriere, der Drang nach Freiheit, das kritische Denken das Wichtigste. Heute bin ich zufrieden mit dem, was ich??????so symphatisch. Die Arbeit mit ihm ist einfach sehr angenehm.

Ist die Arbeit mit Tabori etwas ganz anderes als alles, was Sie vorher am Theater gemacht haben?

Ja unbedingt. Ich habe ja damals mit Fassbinder das Antitheater gemacht. Das ist in gewissem Sinne vergleichbar. Die Lust am Experimentieren, das Arbeiten mit einfachsten Mitteln. doch beim Antitheater entsprang diese Art der Arbeit eher aus der Not: Wir hatten weder Geld noch Ausstattung noch die große Erfahrung, wir mußten also improvisieren. Bei Tabori dagegen ist die Spontanität und ständige Verwandlung Methode.

Was haben Sie jetzt als nächstes vor?

Bis Ende Oktober werde ich wohl erst mal in Wien bleiben. Nächstes Jahr werde ich in Caracas wieder einen Film nach einer Vorlage von Marquez machen. Er heißt Ich vermiete mich zum Träumen. Er erzählt von einer ausländischen Frau mit dem zweiten Gesicht.

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