: DIGITALER RELATIVISMUS
■ „The Relative Violin“ in der Akademie der Künste
Nach dem zweiten Konzertabend mit den Verwandten der Geige fragte man sich langsam, ob man hier zur anachronistischen Technikfeindlichkeit erzogen werden soll. Gemeint ist nicht die Technik des Geigespielens und auch nicht die komplizierten Tonabnehmersysteme, die in den letzten Jahren für eine Erweiterung der Klangmöglichkeiten gesorgt haben. Die Rede ist vom Einzug der Computertechnologie in die Musikfabrikation, der auf dem Festival nachhaltig dokumentiert wird: „Die Input-Signale des Instruments werden nicht unmittelbar weiterverarbeitet und transformiert, sondern zunächst von einem Mikrocomputer analysiert, der dann die Synthesizer instruiert, geeignete Antworten zu spielen.“
Jon Rose, einer der Verfechter und langjähriger Experimentator dieser Technologie, geht so weit, im Programmheft zu behaupten, der Computer sei als Improvisationspartner zu betrachten, mit dem man wie mit einem menschlichen Musiker in spielerische Kommunikation eintritt. Ob diese Fortschritte die Geige nun endlich von ihrem Jahrhunderte alten Mythos der weiblichen Gestalt und dem Image des ernsthaften, klassischen Instruments befreien und gleichzeitig heroisch den sprichwörtlichen Teufelsgeiger aus seiner Beschränktheit zwischen vier Saiten zum Herrscher über die Technik emporheben, ist nach diversen Ernstfallstudien bei Livekonzerten der letzten Tage zweifelhaft.
Da wäre zunächst eine „Multi-Media-Performance mit einem elektrischen Geigenhund“ zu nennen, vorgetragen von Ma-Lou Bangerter. Dazu muß sich das erlauchte Publikum die Stufen hinauf in den ersten Stock der Akademie schleppen, in dessen Innenhof Ma-Lou und ihre fleißigen Techniker eine Leinwand installiert haben, über die undefinierbare Bilder flimmern, das macht aber nichts, weil einem sowieso die Sicht verstellt ist. Man darf den Hof nämlich nicht betreten, muß also hinter den Glasscheiben stehen, was auch beträchtlich den Hörgenuß schmälert.
Frau Bangerter kann das nicht hindern, in einer Bratfolienverkleidung, mit Blinklämpchen und natürlich Geige, durch den Lichthof zu wandeln. Der Clou dieser öden Show ist der Abgang des Brathendls in atomarer Selbstschutzverpackung über die geräumige Treppe. Was kann einer „Performerin“ besseres passieren, als mit aufgesetztem Schmollmund eine Treppe hinunter zu stolzieren, inklusive Kameraverfolgung. Von dem „elektrischen Geigenhund“ war die ganze Zeit keine Spur zu finden, nicht einmal ein Bellen oder Jaulen. „Lauter technische Probleme“, vertraut Ma-Lou, die nicht nur wegen ihres Künstlernamens und der kurzgeschorenen Haare verdammt wie eine Sannyasin-Braut wirkt, hinterher beim Schampus ihren Fans an der Theke an.
Zweifel an der Beherrschbarkeit der Technik durch den Menschen kann man auch beim Auftritt von David Behrmann und Tekehisa Kosugi bekommen. Aber lassen wir das Programmheft aus dem Nähkästchen der Tüftler und Bastler plaudern: „Kosugi bewegt sich in dem durch die Fluxus-Bewegung vorgeprägten Feld zwischen Komposition, Event und Klangobjekt. Er entwirft aus kleinen elektronischen Bauteilen Schaltkreise, durch die sich die musikalisch -optischen Ereignisse gewissermaßen selbst organisieren können, aber auch dem Eingriff durch den Performer oder sogar das Publikum offenstehen.“
Gut, daß dieser Text nicht vor dem Konzert verlesen wurde, sonst hätte das teilweise recht unwirsche Publikum womöglich zur musikalischen Selbstjustiz gegriffen, so blieb es bei verhaltenen Pfeiftönen, immerhin auch ein kreativer „Eingriff“. Auch der Kollege Behrmann konnte mit seinen Säuseltönen aus einem Roland-S 50, die er über ein verzweigtes Computersystem auf einem Monitor sichtbar machte, nichts gegen die lauen, fast meditativen Zirplaute von Kosugi ausrichten. Diese hatten immerhin den Vorteil, über ein „digitales Delay-Sampler-Gerät und eine Multi-Sound -Effektor“ in die Ohren der Zuhörer getrichtert zu werden. Wer in der ersten Reihe saß, konnte sich auch seinen Sapß aus dem Klettern kleiner Männchen auf dem Bildschirm machen, immer wenn einer sein Ziel erreicht hatte, blubberte es besonders schön. Beim nächsten sollte man jedem Gast einen Joystick in die Hand drücken, damit er den Technomonstern mal ordentlich die Software durchschütteln kann. Die Hacker werden die Musiker von norgen sein, der Zuschauer starrt derweil auf ein Videospiel. Musikalisch gesehen kam bei der High-Tech-Performance nicht viel mehr heraus, als es vor Jahren schon Klaus Schulze oder Tangerine Dream vorgemacht haben, da hieß sowas noch Staubsaugermusik und man krabbelte auf Flokatis von einem Computer zum anderen, mit denen man damals wegen ihrer Riesendimensionen die ganze Bühne vollstellen konnte. Aber technische Innovationen (oder Inventionen) brauchen eben ihre Zeit bis zur seriengemäßen Reife, bis dahin schauen und lauschen wir gelangweilt in die Röhre.
Besonders überflüssig erscheint einem das Technobrimborium, wenn man Malcolm Goldstein zuhört. Er steht allein mit seiner Violine auf der Bühne und braucht nicht einmal einen Verstärker, um die betörenden Töne zu erzeugen. Kompositionen von Ornette Coleman und John Cage verarbeitet er in großen Klangflächen, er reibt den Bogen kreisförmig über die Saiten, was gleichzeitig schrecklich schräg und doch harmonisch klingt. Manchmal meint man sogar das harmolodische Saxophonspiel Colemans aus der Ferne zu hören, der aber ist leider nur imaginär vorhanden.
Ebenfalls ohne Computer kommt die Band von „Guru Shishya Parampara“ aus Indien zurecht. Die Violine, in Indien Behala genannt, wird auf dem Boden sitzend gespielt, wobei der Fuß den Hals des Instruments festhält. Ausgeglichen lächelnd werfen sich der Geiger und die Geigerin Melodiebröckchen zu, als wären sie beim Ballspielen. Die Tabla kommentiert mit heftigem Fingertrommeln, und im Hintergrund sitzt Pankaj mit einer Tanpura, eine Mischung aus europäischem Kontrabaß und indischer Sitar, ebenfalls viersaitig. Diese Musik, auf alten, klassischen Melodien fußend, strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, daß man am liebsten den Rucksack packen und mal eben nach Neu-Dehli trampen möchte. Aber vorher gilt es noch die anderen Verwandten aus der Großfamilie der Geige kennenzulernen, auch wenn sich ihre westlichen Enkel mit Computern herumschlagen. Eine relativ interessante Entwicklung.
Andreas Becker
Heute um 20 in der Akademie der letzte Abend des „Relative Violin„-Festivals.
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