piwik no script img

Glanz von tausend Taschenlampen

■ Der erste Tag der 25-Millionen-Dollar-Show Kontrastprogramm: Ein Bettler-Bankett zugunsten der Zentralamerika-Solidarität

Süßliche Country-Musik weht über die „Mall“, den langgestreckten Park im Zentrum Washingtons mit seinen nationalen Denkmälern und Museen. Die Klänge kommen vom Lincoln-Memorial her, jenem klobigen weißen Mausoleum am westlichen Ende des Parks.

Ein stetiger Menschenstrom zieht an diesem Mittwoch morgen auf das Memorial zu, viele Familien mit Kindern, Teenager und Touristen. Die Sonne ist schon recht tief gesunken, doch es ist immer noch warm. In einer Stunde soll hier das erste offizielle Spektakel der Bush-Präsidentschaft über die Bühne gehen, geplant als Auftakt für vier Tage voller Bälle und Empfänge, Paraden und Shows. Höhepunkt: die Amtsübergabe am Freitag. 25 Millionen Dollar verschlingt ein Machtwechsel in Washington mittlerweile, achtmal mehr als die Feiern beim Amtsantritt des bescheidenen Jimmy Carter. Der ließ es sich 1976 nicht nehmen, nach der Vereidigung auf dem Kapitolshügel zu Fuß die Pennsylvania Avenue zum Weißen Haus hinabzulaufen.

Diesmal hingegen soll es funkeln, „tausend Lichterpunkte“ sollen Glanz auf das zweihundertjährige Jubiläum der Institution des US-Präsidenten scheinen lassen, so will es George Bush. Tausend kleine Taschenlampen hat er deshalb verteilen lassen, die das verzückte Publikum beim Einbrechen der Dunkelheit wie wild schwenken wird. Alles ist wunderbar, die schmalzigen Gatlin Brothers, die uniformierte Umptah -Band der Marine, die die Nationalhymne anstimmt, und die 21 Düsenjäger, die im Tiefflug in Formation über die Menge brausen. Man drängelt sich vor dem steinernen Koloß, dessen Treppen die Familien Bush und Quayle herabsteigen, flankiert von einem Flaggenwald, bejubelt von ihren Anhängern. Jeder einzelne müsse helfen, die tausend Lichterpunkte in diesem Land zum Leuchten zu bringen, sagt der neue Präsident.

Verloren in der Menge aus kaugummikauenden College-Kids und gedauerwellten Nerzmantel-Damen steht ein langhaariger Demonstrant mit seinem Pappschild: „Die Erde braucht Bäume, keinen Bush!“ Man ignoriert ihn, nur gelegentlich wird er freundlich aufgefordert, sich doch nach Rußland zu verpissen. Daß Bush sich selbst den Titel eines Umweltpräsidenten verliehen hat, findet der einsame Ökofreund einen schlechten Scherz.

Am anderen Ende der Stadt gibt es noch mehr Aktivisten, die den Prunk der Inaugurationsfeierlichkeiten reichlich geschmacklos finden. Während ein ganzes Geschoß der Union Station, des prächtig renovierten und gerade neueröffneten Hauptbahnhofs von Washington, für ein Gala-Dinner abgesperrt wird, haben sie im Freien davor eine improvisierte Suppenküche eingerichtet und servieren Reis und Bohnen, Brot und heißen Apfelmost für Hunderte von Obdachlosen. „Tausend Funken des Widerspruchs“ will die Koalition von 80 Oppositionsgruppen schlagen, die dieses „Bettler-Bankett“ organisiert hat. Als die ersten aufgeputzten Gäste des Gala -Dinners aus ihren Taxis klettern, müssen sie durch ein Spalier von Protestierern hindurch, die sie mit „Schämt Euch!„-Rufen überschütten. Nachdem die republikanische Haute Volee, die aus dem ganzen Land in die Bundeshauptstadt geströmt ist, das Spießrutenlaufen hinter sich gebracht hat, wird man sie immerhin mit Krabbenpastete, Endiviensalat, Kalbfleisch und Apfelküchlein verwöhnen, Preis pro Gedeck 1.500 Dollar.

So wird es noch drei Tage weitergehen: Am Donnerstagabend findet sowohl eine offizielle, landesweit übertragene TV -Gala mit illustren Showstars als auch - bei den Gegenveranstaltungen - ein Rock-Konzert mit David Crosby, Graham Nash und Michelle Shocked statt, dessen Reingewinn der Zentralamerika-Solidarität zufließt. Am Freitag wird George Bush vereidigt und wohnt der traditionellen Parade bei, doch die „tausend Funken des Widerspruchs“ werden auch dabei gelegentlich aufsprühen.

Stefan Schaaf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen