Hessische StudentInnen hören wieder

■ Streiks fast überall abgebrochen oder ausgesetzt / Nach „aktivem Streik“: Massendemos und Streikradio jetzt analytische Aufräumarbeit / Einige autonome Seminare gehen weiter / Aktionstage in der kommenden Woche / Nur MarburgerInnen streiken noch

Frankfurt (taz) - Fulda, Darmstadt, Wiesbaden, Gießen, Fiedberg, Rüsselsheim, Frankfurt, Marburg - in nahezu allen hessischen Hochschulstädten regte sich vor der Jahreswende studentischer Protest. Lange bevor von „UNiMUT“ die Rede war, streikten in Osthessen die FachhochschülerInnen: Was im Oktober '88 an der Fachhochschule Fulda begann, sollte binnen weniger Tage zum Ausstand an fast allen Fachhochschulen führen. Nichts ging mehr in den Elfenbeintürmen - dafür fanden aller Orten alternative Vorlesungen, autonome Arbeitsgruppen und Großdemonstrationen in den Hochschulstandorten und in der Landeshauptstadt statt. Als sich der studentische Protest auch an den hessischen Universitäten regte, der Piratensender 'Zensur Freies Radio‘ tagelang aus dem besetzten Turm der Frankfurter Gesellschafts- und ErziehungswissenschaftlerInnen sendete und Vollversammlungen mit 6.000 Studierenden überquollen, war die Euphorie komplett. Drei Monate danach hält als einzige die Marburger Phillips-Uni noch die Streikfahne hoch.

„Die Unzufriedenheit ist groß - doch keiner tut mehr was dagegen“, berichtet ein Sprecher des Zentralen Fachschaftenrates (ZFR) an der Uni Frankfurt. An die 50 autonome Arbeitsgruppen (AGs) - knapp die Hälfte der im „aktiven Streik“ entstandenen - diskutieren weiter. Das „Studentische Institut für kritische Interdisziplinarität“ wurde gegründet. Dennoch läuft an der Goethe-Uni derzeit hauptsächlich „reine Organisationsarbeit und Streikanalyse“. Die Diskussion rangt sich um Basisdemokratie und Legitimität - weg von der Institution Asta. Die Gründe des Streikabbruchs sind vielfältig: Von Dekanen und Uni -Präsidium angedrohte Restriktionen mögen genauso eine Rolle gespielt haben wie die Verweigerung des rechten Asta bis hin zu indifferenten Zielen der streikenden Fachbereiche untereinander. Ein weiterer Grund mag auch die Unfähigkeit vieler KommilitonInnen gewesen sein, den im Streik gewonnenen Freiraum eigenverantwortlich zu nutzen. Statt dessen vertrauten viele auf die koordinierende Rolle des ZFR - der diesen Ansprüchen infolge seines basisdemokratischen Selbstverständnisses nicht gerecht werden konnte. Im gleichen Maße wie die Aktionsformen der ersten Streiktage die Massen auf die Straße brachten und StudentInnen für allgemeinpolitische Resolutionen votierten, lief der Streik mit zunehmender Dauer ins Leere. Formalisierte Entscheidungsfindungen, Abstimmungsfetischismus gingen einher mit Langeweile und blindem Aktionismus.

Am kommenden Donnerstag wird der Tanz neu eröffnet - die am Streikende beschlossenen Aktionstage werden realisiert. Thema der uniweiten VV am 26.1.: „Strukturelle Gewalt gegen Frauen“. Ebenso wie die FrankurterInnen das mümmelmannsche Zwei-Milliarden-Mark-Programm ablehnen, heißt es an den Fachhochschulen (FH): Nein zur hessischen Peanuts-Variante, dem 15,6-Millionen-Märker-Sonderprogramm. „Das beinhaltet fünf Stellen für jede FH, davon zwei Professuren - viel zu wenig“, erklärt ein Sprecher des Asta der FH-Darmstadt. Während die DarmstädterInnen auf eine Frauenbeauftragte pochen, herrscht in Fulda Ruhe.

Parallel zur jüngsten Rektoratsbesetzung und „Bibliothek -Offenhaltung“ rund um die Uhr an der FH-Gießen nehmen in Darmstadt autonome AGs ihre Arbeit auf. Es geht um feministische Forschung und Mitbestimmung.

An den Unis in Mittelhessen regt sich noch Protest. Während die Uni-VV in Gießen erst am Mittwoch den Abbruch des Streiks beschloß, geht's in Marburg munter weiter. Die GiessenerInnen konnten der Uni-Leitung die Einrichtung einer paritätisch besetzten Kommission abtrotzen: Gegenstand der Verhandlungen soll die Abschaffung von Prüfungsgebühren und Zwischenprüfungen sowie die Beteiligung der StudentInnen an den Studieninhalten und -planungen sein. Im Bereich Finanzen und Drittmittel soll Transparenz hergestellt und ein „Interdisziplinäres Forschungszentrum“ eingerichtet werden.

„Wir streiken nicht - wir eröffnen, macht den Philfak -Test“, heißt es an der Phillips-Uni Marburg. Die Philosophische Fakultät (Philfak) wird von StudentInnen Tag und Nacht offengehalten; es laufen AGs. MedizinerInnen halten seit Tagen Teile des Physiologischen Instituts besetzt, um unter anderem ein Kommunikationszentrum zu ermöglichen. Die evangelischen Theologen okkupierten ihr Institut, andere StudentInnen marschieren tapfer in die Seminare. Manche Fachbereiche streiken, in anderen finden einzelne Aktionstage oder eine Aktionswoche statt.

AnF/m.B.