: Galizien ist Kargheit und die Macht der Kirche
Kongreß der spanischen Rechten / Galizien ist das Stammland der Konservativen / Neuer alter Parteichef, Manuel Fraga, kommt aus der Region / Verteidigung des Privateigentums und demonstrative Liebe zu Mutter Kirche machen Fraga beliebt ■ Von Antje Vogel
Santiago de Compostela (taz) - Ein Flickenteppich von braunen und grünen Feldern zieht sich über die Hügel. Aus dem dichten Nebel tauchen kleine Pinien- und Eichenwälder auf, Bäche schlängeln sich durch grüne Wiesen. Einsame Gehöfte ducken sich unter dem grauen Himmel. Gelegentlich hält der Bus an einer Wegmündung, schweigsame Bauern steigen zu, Baskenmütze auf dem Kopf und einen Zigarrenstummel im Mund. Dann zieht ein Geruch nach Milch und Kühen durch den Bus.
Galizien, auf der Landkarte Spaniens ganz oben links gelegen, ist auch im Jahre 1989 noch ländliche Idylle und Abgeschiedenheit, Kleinbauerntum mit niedriger Produktivität. Galizien, das ist Kargheit und die Macht der Kirche.
Von hier stammte der Diktator Franco. Von hier ist auch Manuel Fraga Iribarne, ehemals Francos Innenminister - alter und neuer Star der konservativen Partei Spaniens, der „Alianza Popular“ (AP/Volksallianz). Seit dem Wochenende nennt sie sich „Partido Popular“. Ende 1986 hatte der Parteigründer „definitiv“ seinen Posten als Generalsekretär einem jüngeren, Antonio Hernandez Mancha, überlassen.
Zwei Jahre später, im Winter vergangenen Jahres, kündigte Fraga seine Rückkehr in die nationale Politik an. Der glücklose Hernandez Mancha, zunächst zu einem sofortigen Abgang nicht bereit, wurde erbarmungslos an die Wand geklatscht, und auf dem Parteitag der Konservativen am vergangenen Wochenende in Madrid ist Manuel Fraga erneut zum Parteivorsitzenden gekürt worden.
„Fraga besitzt die Seele und den Gestus einen galizischen Bauern“, erklärt Jose Cuina gegenüber der taz. Cuina ist Präsident der Provinz Pontevedra, eine der vier Provinzen Galiziens, und der mächtigste Mann der „Partido Popular“ in Fragas Heimat. Daß Galizien neben Kastilien noch immer das Stammland der Konservativen ist, erklärt Cuina mit der sozialen Struktur des Landes. Hier gibt es keine Großgrundbesitzer und keine Tagelöhner wie etwa in Andalusien. Jeder Bauer besitzt das Land, das er bebaut. Und auch, wenn die Ländereien durch die Erbteilung immer kleiner werden, sind sie doch Privateigentum, das es gegen den vermuteten Verstaatlichungswillen der Sozialisten zu verteidigen gilt, bewirkt in Galizien nur wenig. Zwar ist die Landesregierung seit einem Jahr in den Händen einer Parteienkoalition, an der die AP nicht teilhat, doch die vier Provinzregierungen sind fest in der Hand der Konservativen. Und auch für Cuina besteht kein Zweifel, daß Fraga, der sich bei den Wahlen für das Landesparlament im kommenden Herbst als Spitzenkandidat für die Partei aufstellen lassen will, diese Wahl haushoch gewinnen wird.
Doch Fragas Beliebtheit in seinem Stammland liegt nicht nur in seiner uneingeschränkten Bejahung des Privateigentums und seiner gern demonstrierten Liebe zur Mutter Kirche. Sie beruht auch auf seiner Art, Politik zu machen. „Niemand hat so viele Städte und Dörfer besucht in diesem Lande wie Fraga“, erklärt Cuina. Herumfahren, Händeschütteln, sich nach den Sorgen der Leute erkundigen, das wird hier hoch eingeschätzt. Auch Cuina beherrscht diese Kunst, und deshalb ist er Präsident dieser Provinz geworden. „Hier wird Politik noch auf einer sehr persönlichen Ebene gemacht“, sagt Carlos Rodriguez, Leitartikler der größen Regionalzeitung Galiziens, der 'Vos de Galicia‘. „Macht und Einfluß beruhen auf dem System des Kazikentums. Kaziken sind in einem Dorf der Anwalt, der Arzt, der Priester, und in einer Stadt die Politiker. Dem Kaziken macht man regelmäßig Geschenke, meistens Naturalien wie Eier oder Kuchen, und dafür sorgt er für einen. Von einem Arzt erwartet man, daß er einen besser behandelt, vom Anwalt, daß er die Angelegenheit zur Zufriedenheit regelt, und vom Politiker, daß er dafür sorgt, daß das eigene Dorf fließend Wasser bekommt oder der Weg zur nächsten größeren Straße asphaltiert wird.“ Welcher Partei der jeweilige Kazike angehört, ist dabei weniger wichtig. So kann es passieren, daß ein Dorf ein Mitglied der Sozialistischen Partei zum Bürgermeister wählt, weil er sich für die Belange der Bewohner aktiv einsetzt, auf höherer Ebene seine Stimme dann jedoch wieder der AP gibt, wegen der Verteidigung des Privateigentums etc..
„Ist die galizische Art, Politik zu machen, auf ganz Spanien anwendbar?“ fragt die taz den Präsidenten der Provinz La Coruna, Jose Manuel Romay Beccaria, wenige Tage vor dem Kongreß der AP. Der Jugendstilpalast des Präsidenten von La Coruna ist innen mit schlichtem Marmor und modernen Lampen ausgestattet. „Selbstverständlich kann galizische Politik ein Vorbild für Spanien sein“, versichert der Präsident. Es gelte, das freie Unternehmertum zu fördern und die Staatsausgaben zu verringern. „Mehr und effektivere Wirtschaft, mehr Freiheit im Gesundheitssektor und im Unterrichtswesen (d.h. mehr private Kliniken und Schulen).“
Die Hauptstadt Galiziens ist Santiago de Compostela. Am Stadtrand weiden Kühe, schwarzgekleidete Frauen hängen auf einer Wiese Wäsche auf. Auf einem Hügel liegt der Palast des sozialistischen Landespräsidenten Conzalez Laxe. Doch die wirkliche Regierung, das Herz Galiziens, sitzt unten in der Stadt. Es ist die riesige Kathedrale zu Ehren Sant-Iagos, des Apostels Jakobs, gebaut, dessen Gebeine dort angeblich ruhen. Hunderttausende Pilger haben ihre Hand zum Gruß an die Säule am Eingang der Kathedrale gelegt und dadurch tiefe Spuren in den Stein gegraben. Hier ist das Zentrum des galizischen Mystizismus, der Bezugsort der Hexen und der „Santa Compania“, der wandelnden Toten. Auch wenn hier vermutlich nicht die Gebeine des Apostels, sondern die eines Häretikers liegen, bleibt der heilige Jakob weiterhin der Schutzpatron Spaniens, und einmal im Jahr wird feierlich seine Mithilfe bei der Vertreibung der Mauren gefeiert.
Wenn es nach Manuel Fraga geht, wird er nach seinem Triumph auf dem Parteitag an diesem Wochenende im Herbst einen weiteren Triumph bei den Wahlen in Galizien erringen, und dann werden die Sozialisten, die Mauren von heute, aus dem Palast auf dem Hügel vertrieben, und es kehrt wieder Ordnung ein. „AP muß in Galizien den Weg Bayerns gehen“, hatte Jose Cuina der taz erklärt. „Und Manuel Fraga ist unser Franz Josef Strauß.“
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