piwik no script img

'Tempo‘, der kleine 'Prinz‘ und die Jahreszeiten

Während es 'Tempo‘ immer schlechter geht, wird in Hamburg und Bochum an einer neuen Stadtillustrierten gebastelt / Im Visier: regionale Werbemärkte  ■  Von Petra Höfer

Wer sich die soeben erschienene Ausgabe von 'Tempo‘ besorgte, konnte über ungewöhnliche Anzeigen staunen - sie waren noch auf das Weihnachtsgeschäft abgestellt. Das Yuppie -Magazin des Jahreszeiten-Verlages in Hamburg ist in Produktionsschwierigkeiten geraten: Das November-Heft erschien zeitgleich mit der Dezember-Ausgabe der Wiener Konkurrenz. Die für den vorletzten Samstag versprochene Doppelausgabe Dezember/Januar liegt - inclusive „Drum“ am Tannenbaum - erst seit letzten Donnerstag am Kiosk, wenn es auch zur Hälfte von 'Face'-Grafiker Neville Brody gestylt ist, einem Markennamen in Sachen Trend-Design.

Das angeblich 17 Millionen Mark teure JungleserInnen -Projekt hatte 1988 nur eine Auflage von 173.000, angepeilt waren einmal 400.000. Das 'Hamburger Abendblatt‘ mutmaßte entsprechend schon Anfang des Jahres, 'Tempo‘ werde eingestellt. Und flugs begann eine Märchenstunde im Medienmarkt.

Denn beim Jahreszeiten-Verlag (Branchenkürzel: Jahrlag), wird an einem neuen Blatt gebastelt. Das Stadtillustrierten -Projekt 'Prinz‘, so eine Jahrlag-Sprecherin, interessiere den Verlag aber nicht gerade als neues Zeitungskonzept oder wegen der zu erwartenden Auflage: „Das ist für uns in erster Linie ein interessanter Anzeigenmarkt.“

Das Projekt 'Prinz‘ ist der Dreh der neunziger Jahre mit regional und überregional käuflichen Werbeflächen in einer buntbraven Stadtillustrierten, ein PR-Eldorado für den abenteurerlichen Kunden der Tabakindustrie und das vegetarische Restaurant um die Ecke. Drehen wollen das Ding Thomas Ganske, Jahrlag-Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter, und der Bochumer 'Prinz'-Verlag mit seinen drittelparitätischen EignerInnen Ede und Werner Marcinkowski und Trixi Berg. Zwischen Nikolaus und den Heiligen Drei Königen gründete der Hamburger Großverlag mit dem Bochumer Kleinverlag der Ruhrgebietsillustrierten 'Prinz‘ (50.000 Auflage) in aller Stille eine neue Gesellschaft zur Verwertung der guten Marketing-Idee: die „Prinz-Kommunikation“, angestrebtes Branchenkürzel: Prinz -Komm.

75 % des neuen Prinzen gehören Jahrlag, 25 % dem alten Prinzen in Bochum. Prinz-Komm bietet demnächst am Kiosk die Stadtillustrierten-Familie 'Prinz‘, eine bestimmt gelungene Verbindung des Authentizitäts-Bonus ehedem alternativer Stadtzeitungen mit dem Zeitgeistschick einer überregionalen Trend-Gazette und den Finanzmitteln eines Hamburger Großverlags. Jahrlag setzte allein 1987 mit den firmeneigenen Magazin-Titeln 'Tempo‘, 'petra‘, 'Für Sie‘, 'architektur & wohnen‘, 'Feinschmecker‘, 'zuhause‘ und 'management‘ 190 Millionen Mark um, Jahrlags Tochterverlag Hoffmann und Campe erwirtschaftete mit unter anderem mit 'Merian‘ noch einmal 40 der 300 Millionen Mark Gesamtumsatz.

Wird 'Tempo‘ eingestellt, steigt statt dessen ein zeitgeist -geadelter Regional-Prinz aus der Asche? „'Tempo‘ ist eine Erfolgsgröße im Verlagsgeschäft“, blafft, solches heftig dementierend, Jahrlag-Mitarbeiter und 'Prinz'-Kontakter Peter Haenchen auf Nachfrage. Und auch der zukünftige 'Prinz'-Koordinator Jochen Wüllner schickt Friede-Freude -Eierkuchen-Signale: „'Tempo‘ und 'Prinz‘ sind keine Konkurrenz. 'Tempo‘ macht die Weltkarten, wir machen die Stadtkarten.“ Aus Weltkarten, Stadtkarten und dem Orientierungswerk für Frauen ('petra‘) läßt sich darüber hinaus ein Päckchen schnüren, mit dem sich JungleserInnen zwischen 18 und 40 umfassen und flächendeckend umwerben lassen. Die regional eigenständigen Prinzen bieten darüberhinaus per Service-Kalender, jenem einträglichen Herzstück aller Stadtillustrierten, noch zusätzlich die Möglichkeit zur Gewinnabschöpfung auf dem lokalen Anzeigenmarkt.

„Familienähnlichkeit plus Feinprofil“, so charakterisiert Jo Wüllner, Ex-Chefredakteur von 'Prinz‘ Bochum und Prinz -Komm-Redaktionsleiter in spe, sein überregional erfolgversprechendes 'Prinz'-Konzept im zupackenden Steno -Jargon des Werbemarkt-Hundes, der Taler und Trends schnüffelt. „Die heißen gleich, die haben ungefähr den gleichen Auftritt - werden auch layouterisch verwandt sein -, aber das Feinprofil muß aus der Stadt kommen.“ Zwecks Glaubwürdigkeit und lokaler Kleinanzeigen.

9 Prinzen in 2 Jahren

Prinz-Komm, munkelt die Konkurrenz, soll im Zweijahresplan neun deutsche Ballungsräume besetzen, wo dann eine auf Linie gebrachte 'Prinz'-vor-Ort-Redaktion am Feinprofil meißelt. „Wenn ich als Angestellter arbeiten wollte, dann nicht unbedingt bei 'Prinz'“, erklärt Lothar Bienkowski, Chefredakteur und einer der 20 Gesellschafter der Stadtzeitung 'Bremer Blatt‘, die mit Titelgeschichten wie „Nackt in Bremen“ durchaus prinzschen Aktions- und Lebenshilfe-Journalismus betreibt (Bochumer Titelstory im Januar: „Schalke intim“). Dem Bremer Blatt-Macher hatten die Kollegen aus dem Ruhrgebiet die kostengünstige Übernahme von Verlag, Stammredaktion und Anzeigenabteilung angedient - als Instant-Prinz für Bremen. „Wenn wir bei Markenkunden anbieten wollen, werden wir sicher auch eine Stadt wie Bremen anbieten“, erklärt 'Prinz'-Frau Trixi Berg freimütig. Ein neuer 'Prinz‘ für Frauen soll erst in einer zweiten Expansionsstufe herausgebracht werden. Berlin ist hingegen abgeschrieben - 'Zitty‘ und 'tip‘ haben den Markt zu fest im Griff.

Rationalisiert wird auch. Eine zentrale Filmredaktion Düsseldorf, so Lothar Bienkowski, erklärt demnächst prinzweit die neuen Filme des Monats. Das spart so etwas Unökonomisches wie Meinungsvielfalt - Arbeitsplätze und Geld auch. Neues von Meister Pop bespricht die Musikredaktions -Zentrale Ruhrgebiet. Freie Autoren bekommen für gleiche Tätigkeit ein höheres Honorar. Das nimmt der Konkurrenz freundlicherweise ein paar Schreiber ab.

Den PrinzEssinnen vor Ort verbleibt die lokale Kultur -Szene, Stadtklatsch und das Eintippen professionell gestalteter Service-Kalender. Hamburgs 'Tango‘ ist ab April der erste 'Prinz‘ des Prinz-Komm-Verbundes. 'Prinz‘ Düsseldorf, ab Februar Bruder von 'Prinz‘ Bochum, für den mit guten Arbeitsbedingungen und noch besserem Gehalt zwei der wichtigsten Blattmacher des Düsseldorfer 'Überblick‘ abgeworben wurden, entstand noch unter maßgeblicher Beteiligung eines Wurstfabrikanten (49 Prozent), des Jahrlags (25 Prozent) und des 'Prinz‘ Bochum (26 Prozent). 'Prinz‘ Bochum bleibt dabei weiterhin selbständig.

Mit 4.200 Mark ist das Monatsgehalt bei Prinz-Komm für die Alternativ-Presse geradezu fürstlich. Die Neu-Prinzen, von der Konkurrenz aufgekauft, von örtlichen Tageszeitungen abgeworben oder neu zugereist, bilden 'Prinz'-Teams. Jo Wüllner versetzt sie erst einmal auf 'Prinz'-Linie, das heißt in die Lage, mehrere hundert Zeilen zu brennenden Themen wie „Anleitung zum Klar-Träumen“ oder „So wohnen junge Leute“ zu schreiben.

Solch aufgeklärtes Zeitungskonzept ist allerdings nicht unbedingt jedermanns Sache. Szene-Kenner Lothar Bienkowski etwa spricht von entsetzten 'Tango'-Leuten, die wohl gerade bemerkt, daß, mit einem Chef und Großverlags-Strukturen im Rücken, der Wind aus einer anderen Richtung bläst.

Jochen Wüllner blickt dennoch auf eine rosige Zukunft seines Traumprinzen: „Der Vorteil der Sache ist, daß an der Ideenfindung, an der Konzeption der Stories nicht nur vier, fünf Leute einer Stadtzeitungsredaktion beteiligt sind, sondern es gibt einen Ideen-Pool, an dem viel mehr Leute mitwirken. Ab jetzt sind gute Ideen innerhalb des 'Prinz' -Verbundes für alle Zeitungen verwertbar. Das ist kein Abrutsch in Korruption, sondern ein Schritt weiter in Richtung Professionalisierung.“ Doch 'Prinz‘ riskiert seine auflagensichernde Glaubwürdigkeit. Denn wo Stadtzeitung draufsteht, ist kaum mehr als Großverlags-Illustrierte drin. Selbst der unabhängig gebliebene 'Prinz‘ Bochum könnte bei seiner zumindest diffus alternativen Klientel damit leicht auf die geadelte Medien-Nase fallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen