: TOILETTENGESPRÄCHE
■ HipHop-King Ice-T am Donnerstag im Roller-Skate-Center Hasenheide
„Eis Hennig“ hatte Lunte gerochen. Die Diele, die sich mit der „Berliner Bank“, „Reichelt“, dem „Bauhaus“ und dem „Roller-Skate Center“ die Miete für den „Neue Welt„-Bunker teilt, ließ ihre Mitarbeiter für die präadoleszenten Konzertbesucher noch spät am Abend in der gefrorenen Plastikcreme puhlen.
Im ersten Stock, wo tagtäglich aktive Menschen auf Rollschuhen durch die Halle gurken, hielt der Boden für Straßenschuhe, Plastikbecher und Zigarettenkippen her. Veranstalter Mick Geisler hatte sich anscheinend den rechten Ort für ein HipHop-Konzert ausgesucht: Plastikbänke und -tische, eine Fast-Food-Snack-Bar in kitschfarbiges Licht getaucht und Lichterketten an der Decke erinnerten an amerikanische Teenie-College-Parties. In den Staaten würde für solch ein Erlebnis die 2.000 Menschen fassende Halle gerade noch reichen, doch es fand ja in West-Berlin statt. Zwar predigen die Medien seit längerem vom HipHop-Kult, offensichtlich waren noch nicht viele bekehrt: Knapp ein Drittel volles Rollschuhcenter bei einem Eintrittspreis in Taschengeldhöhe: ganze 32 Mark.
Nach einer Stunde vergeblichen Wartens auf mehr Schäfchen machten sich einige schwarze Gestalten in Zuhältermänteln mit Pelzkragen, Sonnenbrille und noch in Folie versiegelten LPs auf den Weg zur Bühne. Instrumentale Fertigkeiten waren nicht gefragt. Als einziges Handwerkszeug stapelten sich Mischpulte, Sequenzer und zwei Plattenteller auf einem Tisch, hinter dem sich dann auch die ganze Zeit ein DJ verausgabte. Die erste Goldkette blinkte im Spot. Dann wuchtete der erste Beat durch die Lautsprecher und übernahm für kurze Zeit die Herzschlag-Tätigkeit. Mit je 20 Minuten Auftrittszeit hampelten drei verschiedene Gastrapper vor der mißtrauischen Gemeinde und ließen im typischen Erzähl-Sing -Sang recht einseitige Großkotzereien vom Stapel. Im Gegensatz zum schwarzen Blues und dessen Klagen um Diskriminierung zeigten die Urenkel neues Selbstbewußtsein: „Ich bin der Größte, der Geilste, ich hau‘ jedem auf die Schnauze, ich hab‘ den dicksten Schwanz“, waren so ziemlich die gerafften Aussagen. Irgendwann merkten die schwarzen Gestalten, daß hier etwas nicht stimmt. Versuche, die Leute zu johlenden Sprechchören zu bewegen, nahm unheimlich viel Zeit in Anspruch. Wie gesagt, wir waren ja in West-Berlin und nicht in der enthusiastischen USA. Halb irritiert, halb sauer merkten die Rapper beim Anpöbeln der „shitty, lousy, motherfucking assholes“ an der fehlenden Resonanz, daß wir nicht alle die gleiche Sprache sprechen.
Ice-T himself, der dann zu vorgerückter Stunde auch noch seinen Verbal-Senf dazugab, fragte gleich, warum die Leute ihn nur dumm angaffen, anstatt über seine Witze zu lachen, die er sich ununterbrochen aus den Rippen schnitt. War das ein Wunder? Erstens lag das Durchschnittsalter der auffallend zahlreichen türkischen - Stauneaugen um 17,5, zweitens gibt das Berliner Gesamtschul-Englisch auch nicht viel her. Wie sollten daher die Halbpubertären auf die ständigen sexuellen Probleme eines 30jährigen reagieren? Permanent überzogene Wichs-Bewegungen mit einem imaginären Riesen-Schwanz, potentes Lendenstoßen, „I want sex„ -Brunftschreie, und das leere Versprechen, jede Gestalt mit Weibchengeruch zu orten und niederzustrecken, gehörten zum Haupt-Repertoire des HipHop-Masters. Da reihte sich das Scratch-Gescheuer des DJs als akustischer Abspritzer in den textlichen Dauerfick ein. Ice-Ts 15-cm-Stiletto-Miezchen, das auf einem Ikea-Stuhl auf der Bühne verweilen durfte, applaudierte wohlerzogen zu den Oral-Ejakulationen.
Zum Abschluß hämmerte der eigentliche und nicht weniger sexistische Hit von Ice-T mit 108 bpm (beats per minute) durch den Saal: „I'm your pusher“, das von Curtis Mayfield umgewandelte „Pusher Man„-Stück, dessen Fistelstimmchen dazwischengesamplet aufstöhnt. Endlich ist es vollbracht. Der deutschsprachige Westen ist aufgetaut und geht aus sich raus. Und als ich gerade am Ausgang den Mantel überstreife, zieht der King mit Gefolge an mir vorbei. Richtung Klo, die Latte muß Wasser lassen.
Connie Kolb
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen