: Das Nicht-Wollen wollen
■ Günther Neske und Emil Kettering: „Antwort. Martin Heidegger im Gespräch“
Zu den zentralen Beiträgen des Buches gehört zweifellos das Interview mit Max Müller, der Ende der zwanziger Jahre Heideggers zu dieser Zeit schon mit einer Aura umgebene Seminare besuchte und zu dessen engstem Kreis (seinen „Vorzugsschülern“) gehörte. Aufschlußreich sind insbesondere seine Ausführungen zu Heideggers Selbstverständnis als „Führer“ der Universität Freiburg. Im Grunde habe er nicht weniger als eine totale Umgestaltung der Universität angestrebt, und diesem Anliegen habe sein ganzer Einsatz gegolten. Der „Wissensdienst“, den er neben „Arbeits„- und „Wehrdienst“ in seiner Rektoratsrede 1933 an letzter Stelle nannte, sei für ihn immer „an oberster Stelle“ gestanden. Dazu Müller: „Den Wissensdienst stellte er sich keineswegs als abstrakte Leistung vor. Er sollte konkret in die Gemeinschaft hineingestellt werden, also mit dem Arbeitsdienst und Wehrdienst verklammert sein. Heidegger schwebte ein ganz neuer Typ von Mensch vor: der Konkret -wissend-Handelnde. Gewiß war er kein Gleichheitsapostel. Nicht alle sollten dasselbe tun, aber sie sollten alle an einem gemeinsamen Werk mitarbeiten. Nicht die Überzeugung von einem Wert, sondern die Kooperation sollte sie zusammenschließen. Das Werk muß eine Leitung haben, wenn es konkret zustandekommen soll. Daher der Sprung zu einer Führerideologie.“ Heideggers antidemokratische Gesinnung sei weniger durch die Nazis als vielmehr aufgrund seiner Beschäftigung mit Aristoteles entstanden, der unter Berufung auf Homer sagte, daß „Vielherrschaft“ nichts tauge, da einer die Entscheidung treffen und die Verantwortung tragen müsse. Für Heidegger war sein „aristokratisches“ Denken ein Affront gegen das aufklärerische Denken, das dem Volkswillen eine wahrhafte Repräsentanz schaffen wollte, und aus diesem Grund galt ihm die Humboldtsche Universität als Relikt des bürgerlichen Zeitalters. Daß Heidegger den Führerkult über 1933 hinaus praktizierte und daß sich Hinweise mehren, er habe den noch höheren Ehrgeiz gehabt, sich zum „Führer“ aller deutschen Universitäten zu krönen, legt ein beklemmendes Zeugnis ab von seinem Glauben an stark durch Autoritätsstrukturen geprägte Gemeinschaftswesen sei's nun innerhalb der Universität oder des Staates. Er sah sich dabei in der Rolle des selbsternannten Philosophenkönigs Platon, der 2.500 Jahre vor ihm den barbarischen Tyrannen Dionysios von Syrakus durch Mathematik - und Philosophieunterricht Kultur beibringen wollte - und kläglich scheiterte. In welch unheilvolle Verstrickungen er mit seinem missionarischen Eifer geraten ist, zeigen die Beiträge von Hannah Arendt und Hans-Georg Gadamer. Die vielzitierte „Kehre“, für Hannah Arendt Zeichen einer inneren Um-kehr Heideggers, wird von ihr als Weg aus den Verstrickungen in die (Macht-)Politik hin zum Denken verstanden. Was sich für Heidegger aus seinem Bruch mit dem Nationalsozialismus ergab, „war die Entdeckung des Willens als des Willens zum Willen und damit als des Willens zur Macht. Niemand vor Heidegger hat gesehen, wie sehr dieses Wesen des Willens dem Denken entgegensteht und sich zerstörerisch auf es auswirkt.“ Aufgrund dieser Einsicht habe Heidegger die scheinbar paradoxe Formulierung wagen können: „Ich will das Nicht-Wollen.“
Es ist zu begrüßen, daß nach langer Zeit Heideggers 'Spiegel'-Interview aus dem Jahre 1966 und sein einziges Fernseh-Interview von 1969 zugänglich sind. Was sowohl während des sehr kurzen Fernseh-Interviews als auch während der vorbereitenden Gespräche mit dem Mainzer Philosophen Richard Wisser frappiert, ist Heideggers penetrantes Ausweichen vor jeglichen politischen Fragestellungen. Und das im Unruhejahr 1969! In vielen seiner Äußerungen wird deutlich, wie sehr er sich zum Opfer der widrigen Umstände emporstilisiert, wie er sich als gebranntes Kind empfindet, welches das Feuer wie der Teufel das Weihwasser fürchtet. Und unentwegt wiederholt er: „Man hat es mir nicht schön gemacht.“ Mehr ist von Heidegger nicht zu erfahren. Selbst der während der Studentenunruhen als denkmächtiger Vertreter der Kritischen Theorie verehrte Adorno wird von ihm in fast schon provinzlerhafter Manier abgetan: „Ich habe nichts von ihm gelesen. Der Hermann Mörchen hat einmal versucht, mich zu bereden. Ich sollte doch Adorno lesen. Ich habe es nicht getan.“
Klaus Englert
Günther Neske/Emil Kettering (Hrsg.): Antwort. Martin Heidegger im Gespräch, Verlag Günther Neske, Pfullingen 1988. 38 DM.
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