: Käthe Kollwitz und die Postmoderne
■ Ein neues Museum und eine nie gesehene Ausstellung in Köln
Lautlos gleitet der gläserne Aufzug empor. Vorbei an angedeuteten Säulen klassischen Stils, dazu kontrastierenden Stahlträgern und Balustraden, die niemand betreten kann. Sie sind nur hübsch anzusehen. Stahl, Sandstein, Halogenlampen -Kunst, und zwischen all dem Zierat der Postmoderne: Käthe Kollwitz. Irgendwie verloren wirkt das Schild, das neben Brasserie und Bücherladen an einer Mauer mit Wandmalereien der fünfziger Jahre angebracht ist und auf das Käthe Kollwitz Museum Köln hinweist.
Der Lift mit dem garantierten Rundumblick entläßt uns ohne Zwischenhalt auf der vierten Etage in einen Zitatenschatz der Architekturgeschichte. Ein Oktagon aus Glas und Stahl überspannt den Innenhof, darunter verläuft ein Wandelgang mit kleinen Vorsprüngen, die einen Blick hinunter erlauben. Das Oktagon, die Sandsteinfassade, die schießschartenähnlichen Seitenfenster und der Buchladen legen den Verdacht nahe, der Architekt habe zu viel Umberto Ecco gelesen, bevor er die Kölner Neumarkt-Passage auf dem Reißbrett entwarf.
Direkt unter der Kuppel, nur zwei Handbreit vom Himmel entfernt, liegt das Museum. An den weißgetünchten Wänden hängen die Plakate großer Kollwitz-Ausstellungen - wie Jagdtrophäen aneinandergereiht. Berlin, Hamburg, München. Und eben Köln. Armut und Not, die dumpfe Resignation vor dem Elend - beherrschende Motive der Künstlerin. Hier oben hängen sie, völlig losgelöst, nur eine Aufzugreise weit weg von den Cafe-Tischen, auf denen mittags Crevetten und Champagner serviert werden.
Ermöglicht hat das alles ein Kölner Geldinstitut, das vor lauter Mäzenaten-Eitelkeit immer wieder betont, man habe die strengen Auflagen der Kollwitz-Familie beachtet; nie und nimmer würde die Sammlung als Kunstinvestment mißbraucht. Aber renommieren läßt sich damit vortrefflich. Damit neben dem Museum-Emporkömmling die anderen Kollwitz-Sammlungen recht bald zu Filialen verblassen, hatte der Vorstand der Bank Einmaliges bieten wollen. So hatte die Bank zur Eröffnung die außerhalb Dresdens bisher nie geschlossen gezeigte Sammlung des Kupferstich-Kabinetts in den Westen bringen können: 120 Zeichnungen, graphische Blätter und mehrfarbige Steindrucke aus dem Frühwerk der Künstlerin zwischen 1890 und 1920 sind bis zum 29.März im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturaustausches in Köln zu sehen.
Schwarz ist die Abwesenheit von Licht. Die Bilder von Käthe Kollwitz hellen das undurchdringliche Schwarz nicht auf, aber sie enthalten Schattierungen von Schwarz. Und das kann der Unterschied zwischen Leben und Tod sein. Das Schlachtfeld, eine Radierung aus dem Zyklus Bauernkrieg, zeigt eine Frau, die mit einer Lampe durch Blut und Tod watet. Der Schein der Laterne erleuchtet nichts, die offenen Münder der gefallenen Bauern sind schwarz, die erstorbene Hand, die noch im Tod das Holz der Sense umklammert, ist schwarz, auch der Lichtkegel möchte versinken im undurchdringlichen Nichts. Und doch sehen wir die Leiche, nehmen die Nuancen wahr, wie aus einem formlosen schwarzen Fleck ein gekrümmter Mensch Gestalt annimmt.
Schwarz ist die Farbe von Käthe Kollwitz. Das Verdienst des Kölner Kollwitz-Museums liegt also nicht darin, zum ersten Mal die farbigen Exponate des Dresdener Kupferstich -Kabinetts zu zeigen, denn es ist ein Trugschluß, dem Werk eine andere, farbenprächtigere Seite abgewinnen zu wollen. Die Mehrfachdrucke tragen eher die Züge von Arbeitsproben, als wollte Käthe Kollwitz erkunden, welche Technik für sie geeignet sein könnte. Alle mehrfarbigen Steindrucke bestätigen die monochrome Ausrichtung der Künstlerin, denn fast immer trägt die Farbe einen Anteil Schwarz in sich, ob es das Sepiabraun eines Aktes oder das Blau eines Halstuches ist.
Als 1893 Gerhart Hauptmanns Weber in Berlin an der „Freien Bühne“ uraufgeführt werden, sitzt Käthe Kollwitz in der Vormittagsvorführung: „Mein Mann war durch die Arbeit abgehalten, aber ich war dort, brennend vor Vorfreude und Interesse. Der Eindruck war gewaltig. Diese Aufführung bedeutet einen Markstein in meiner Arbeit.“ Käthe Kollwitz läßt eine eben begonnene Folge zu Zolas Germinal liegen und widmet sich ganz dem Zyklus Ein Weberaufstand. Ein Entschluß, ein Umbruch, Germinal hätte noch auf der Leinwand entstehen sollen, jetzt wird Käthe Kollwitz sich ganz auf die Graphik konzentrieren. Doch der Übergang von der Malerei zur Graphik vollzieht sich nur mühsam: „Mein technisches Können war im Radieren noch so gering, daß die ersten Versuche mißglückten“, schreibt sie 1941 rückblickend, deshalb wurden die ersten drei Weber-Blätter lithographiert, erst die drei letzten Radierungen Zug der Weber, Vor dem Fabrikantenhaus und Ende waren technisch zufriedenstellend.
Wie langsam sich Käthe Kollwitz die ihr fremde Arbeitsweise aneignete, wie unsicher sie sich noch in der Radierung fühlte, ist in den Blättern des Kupferstich-Kabinetts zu verfolgen. Auf dem Rundgang durch die Ausstellung begegnet der Besucher immer wieder verworfenen Skizzen, Probedrucken mit handschriftlichen Randbemerkungen, Detailstudien von Gliedmaßen und Körperhaltungen. Nach einer Weile fühlt sich die Phantasie, die beim Anblick des Herantastens an ein Bildthema das mühevolle Vorwärtskommen nachzuvollziehen bemüht ist, ermattet. Auf einmal hört das Interesse für die Arbeitsproben auf, die Wiederholungen ermüden, das undifferenzierte Beieinander von meisterlichen Drucken und halbfertigen Proben erschöpft mehr, als daß es eine Beziehung zwischen Endzustand und dessen Herbeiführung vermittelt.
Noch einmal aber nimmt ein Bild gefangen. Eines, das so gar nicht hineinpassen will, in das sich im Nichts verlierende Schwarz der anderen Drucke. Eine Frau wiegt behutsam eine Orange in ihren Händen, das Bild wird beherrscht von dem warmen Licht einer Petroleumlampe und der leuchtenden Farbe der Frucht. Die Frau lächelt - nur ein wenig. Unten in der Neumarkt-Passage liegt das Obst zu Bergen angehäuft. Es wartet nur darauf, in einem Mixer zerfetzt zu werden.
Christof Boy
Die Kollwitz-Sammlung des Dresdener Kupferstich-Kabinetts Graphik und Zeichnungen 1890- 1912; 26.Januar bis 29.März im Käthe Kollwitz Museum, Köln
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