Laute Töne bei den Grünen sind verpönt

Bei der Wahl des neuen Fraktionsvorstands der Grünen unterliegen Otto Schily und Petra Kelly / Antje Vollmer mit miserablem Ergebnis gewählt / Helmut Lippelt und Jutta Oesterle-Schwerin in den Vorstand gewählt / Wahlarithmetik steht vor Konzeptdebatte  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Nach der halbstündigen Beratungspause, die die Realos nach seiner Niederlage beantragt hatten, betritt Otto Schily den Sitzungssaal. Er stellt sich den Mikrofonen und Kameras, spricht laut, laut genug für die hinter ihm sitzende Fraktion. Es scheint, als rede er nicht für die Presse, als wolle er lediglich der widerspenstigen Truppe noch einmal klarmachen, was für den nächsten Wahlgang auf dem Spiel steht.

Im Rennen für die zweite Sprecherstelle war Schily unterlegen. Es sei „nicht möglich, einen deutlich ausgewiesenen Reformpolitiker in den Vorstand zu wählen“, sagt er nun und hofft wohl noch auf das Gegenteil. Von der Befürchtung ist die Rede, dies werde in „der Außenwirkung für die Grünen nachteilig“ sein. Die Fraktion hört sich das schweigend an. Der dritte Sprecherposten soll besetzt werden, das realpolitische Lager hat gerade Petra Kelly nominiert, um doch noch im Fraktionsvorstand präsent zu sein.

Lustlos hatte die Debatte um den Fraktionsvorstand begonnen. Ein Rechenschaftsbericht des alten Vorstands hatte keinen interessiert: Das letzte Jahr war von integrativer Hingabe an die divergierenden Strömungen geprägt gewesen, Konflikte wurden vermieden, profilbildende Initiativen nach außen waren dafür selten. In der Partei hat man sich ohne Rücksicht auf Verluste bekriegt, von der Bundestagsfraktion war nichts zu hören. „Die Arbeit war gut, nur draußen hat's keiner gemerkt“, witzelt einer boshaft auf der Toilette.

Die Versuche, eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl programmatisch zu diskutieren, die Kontur der Fraktion in der Öffentlichkeit wieder deutlicher zu machen, schlagen fehl. Ein Konzeptpapier des realpolitisch orientierten Dietrich Wetzel, der zugunsten Otto Schilys auf eine eigene Kandidatur verzichtet hatte, wird unwillig zur Kenntnis genommen. Die Wiederkehr des „deutschen Spießbürgers“ mit einer „Schrebergartenmentalität“ konstatiert Wetzel wütend.

Stundenlang zieht sich der Austausch von Worten hin. Taktisch wird diskutiert, immer mit Blick auf die Wahlarithmetik, mögen auch draußen vor dem Saal alle Strömungsvertreter im persönlichen Gespräch das Fehlen einer Konzeptdebatte als Mangel beschreiben. Die Kontroversen stehen im Raum, ohne angesprochen zu werden.

Der Hamburger Ökosozialist Thomas Ebermann hatte rechtzeitig zur Klausurtagung in der 'Konkret‘ die Arbeit der Fraktion niedergemacht und ihr bescheinigt, sie betreibe einen „Konsens der Demokraten im schlechtesten Sinne“ und auch der Partei „eine kontinuierliche Rechtsverschiebung“ attestiert. Für ihn sei bezüglich eines Austritts aus der Partei nur die Frage noch nicht endgültig entschieden, ob „ich Instrument bin, um bestimmte Kreise an diese Partei zu binden, ohne die Politik der Partei beeinflussen zu können“.

Auch Otto Schily hatte sich einen Tag vor der Fraktionsklausur in einem Interview mit dem 'Kölner Express‘ programmatisch geäußert: „Natürlich werden wir mit einer klaren Koalitionsaussage zur SPD in die Wahlen gehen.“ Das wird ihm in der Personalbefragung ebenso übel angekreidet wie sein Werbeauftritt für die Firma „Porsche“. Hinzu kommt seine Äußerung, einen Verlust der Fundamentalisten würde die Partei gut überstehen.

Geschickter ist der Berliner Peter Sellin, der die wegen der Krankheit ihrer Mutter fehlende Antje Vollmer als einer der Sprecher der „Aufbruch„-Initiative vertritt. Er signalisiert die Unterstützung der Aufbruch-Leute für die Linken. Für die Aufbruch-Mitstreiterin Christa Nickels, die wegen eines Streits mit Antje Vollmer ihre Kandidatur für die parlamentarische Geschäftsführerin doch noch zurückgezogen hat, wird Uwe Hüser aufgeboten. Ein Kompromißkandidat, der den Linken nicht ablehnend gegenübersteht und dem Aufbruch nicht fern ist. Er wird später, nach den Sprechern im ersten Wahlgang gewählt werden.

Dennoch schneidet Antje Vollmer miserabel ab. Drei Wahlgänge sind nötig. Dann erst, als nur noch eine relative Mehrheit notwendig ist, hat sie es geschafft; mit 19 Stimmen gegen ebensoviele Gegenstimmen und Enthaltungen. Die Fraktion hat 43 Abgeordnete. Vollmer darf sich bei den Realos bedanken, die lange für eine gegenseitige Unterstützung geworben haben.

Denn die Linken bleiben mißtrauisch; persönliches Profilierungsinteresse argwöhnen sie bei Frau Vollmer. Und die propagierte Flügelversöhnung, der Neuanfang der „Aufbruch„-Leute wird von ihnen eh nicht unterstützt. Darüber hinaus deutet sich an, man hat sich an das stille Wirken der Fraktionsführung gewöhnt, ist argwöhnisch ob der Prominenten, die wieder ein oben und unten in der Fraktion hervorbringen, den betulichen Konsens der Gleichrangigkeit verlassen werden.

Deutlich zeigt sich das im nächsten Wahlgang. Die Geschlechterverteilung erzwingt - schließlich müssen von den drei Sprechern zwei Frauen sein -, daß Schily gegen den 56jährigen Helmut Lippelt antreten muß. Der saß bereits im letzten Fraktionsvorstand, hatte sich Verdienste im friedfertigen Ausgleich erworben und erhält nun das beste Stimmergebnis. „Das ist ein Ergebnis für die Fraktion“, sagte Lippelt auch folgerichtig. „Das Chamäleon aus Niedersachsen“, schimpft Schily dagegen: „Wenn das Binnenklima wichtiger ist als die Außenwirkung, dann verspielen wir den Kredit der Partei“.

Schily und der Hesse Hubert Kleinert, der nach zwei Wahlperioden als Geschäftsführer der Fraktion nicht mehr antreten kann, ahnen das bevorstehende Debakel. Die Aufbruch -Leute hätten sich für das „Negativ-Bündnis mit den Fundis entschieden“ und dabei „das Gesamtinteresse der Partei aus den Augen verloren“, erklären sie. Schily richtet den Blick nach vorn: er hoffe auf den Aufstand der Basis, die den Vorstandssturz in Karlsruhe im Dezember zuwege gebracht habe. Doch auf die Frage, ob er kandidiert - was die Aufgabe seines Bundestagsmandats voraussetzt - gibt er keine Antwort.

Zu diesem Zeitpunkt müssen auch noch die Linken zittern, eine Kandidatin in den Vorstand zu bekommen. Doch nach drei Wahlgängen ist auch Petra Kelly unterlegen. Ihre Einzelgängerinnenrolle in der Fraktion, ihr ausgeprägtes Medieninteresse und ihr fragwürdiger Einsatz für den tibetanischen Dalai Lamah sprechen gegen sie. Und: die „Aufbruch„-Leute halten Wort und wählen die Vertreterin der Linken, die 47jährige Deutsch-Israelin Jutta Oesterle -Schwerin.

Als das Ergebnis feststeht, verläßt Schily sofort das Hotel in Bad Neuenahr. Der Presse hat er nichts mehr zu sagen. Und bei den Linken feixen einige. Der Sitz eines zweiten stellvertretenden parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführers wird den Realos freigehalten, beschließt später die Fraktion. Damit könne „am besten einer Legendenbildung entgegegetreten werden, die Realos würden ausgegrenzt“, sagt Pressesprecher Franz Stänner.