: Nadschibullah bewaffnet Parteimitglieder
■ Afghanische Regierungspartei verteilt in Kabul die Waffen / Sowjetunion forciert Truppenabzug aus Afghanistan / Aeroflot stellt Linienflugverkehr nach Kabul ein / Stellvertretender sowjetischer Ministerpräsident zu Beratungen beim afghanischen Regierungschef
Kabul/Berlin (afp/wash/taz) - Eine Woche früher als im Genfer Abkommen vorgesehen wollen die sowjetischen Truppen Afghanistan den Rücken kehren. In den vergangenen Tagen hatten sich die Kämpfe zwischen Regierungstruppen unter dem Beistand der sowjetischen Rotarmisten und den moslemischen Widerstandskämpfern um die afghanische Hauptstadt Kabul noch weiter verschärft. Jetzt beeilt sich die Sowjetunion, westlichen Diplomaten aus Islamabad zufolge, ihre letzten in Afghanistan stationierten Sol daten bereits zwischen dem 2. und 6. Februar vollständig abzuziehen.
Unterdessen hat auch die sowjetische Luftfahrtgesellschaft Aeroflot ihre Linienflüge in die afghanische Hauptstadt eingestellt. Statt dessen setzt Aeroflot Transportflugzeuge ein, die mit Abstandskörpern ausgerüstet sind. Diese sollen durch das Abschießen von Hitze erzeugenden Leuchtkörpern die Stinger-Flugabwehrraketen der afghanischen Widerstandskämpfer ablenken.
Das Kabuler Nadschibullah-Regime bemüht sich, Stärke zu demonstrieren. Entgegen sowjetischen Presseberichten leugnete ein ranghoher afghanischer Regierungsvertreter am Wochenende die Beteiligung sowjetischer Truppen bei den Kämpfen am strategisch wichtigen Salang-Paß, der Versorgungsader für die ausgehungerte Hauptstadt des Landes. In den vergangenen Tagen gaben sich sowjetische Gesandte in Kabul die Klinken in die Hand, um das Regime der Unterstützung Moskaus auch nach dem Abzug zu versichern. Laut Radio Kabul erörterte zuletzt der stellvertretende Ministerpräsident Juri Masljukow mit Nadschibullah „wirtschaftliche, kulturelle und handelpolitische Fragen“.
Indessen gibt sich die Führung der regierenden Demokratischen Volkspartei (PDPA) zuversichtlich, Kabul auch nach dem Abzug halten zu können. Alle Vorkehrungen seien getroffen worden, nährt ZK-Mitglied Kawyani das Gerücht, die Partei habe mittlerweile an ihre Mitglieder sowohl Kalaschnikows als auch Pistolen verteilt. Zudem sei die Jugendorganisation voll bewaffnet und bereit, ihre Aufmerksamkeit von der Drogen- und Schwarzhandelsbekämpfung auf die Verteidigung der Hauptstadt zu richten. Staatliche Institutionen und Firmen sind ebenfalls mit der Bildung von Bürgerwehren beschäftigt. Selbst Frauengruppen und Gewerkschaften machen mobil.
Um das Dreifache sei jetzt der Sold für Spezialeinheiten der afghanischen Armee, die sich in vorderster Front gegen die Mudschaheddin bewähren sollen, erhöht worden. Die Evakuierungsmaßnahmen der ausländischen Vertretungen seien voreilig gewesen und hätten die Lage nur verschärft, so sieht es jedenfalls ZK- und Politbüromitglied Kawyani.
sl
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