piwik no script img

Ein ungeliebtes Thema wird aktuell

Der letzte ordentliche Parteitag der Berliner SPD war für den Abgeordneten Eckhardt Barthel ein großer Tag. Nach jahrelangen, endlosen Debatten, in denen Barthel sich redlich abgemüht hatte, war er endlich - im September 1987 am Ziel: mit großer Mehrheit beschloß der Parteitag, die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer ins Programm zu nehmen. Andere Landesverbände allerdings waren längst soweit - genauso wie Gewerkschaften und Kirchen.

Wahlrecht als minimale politische Partizipation hier lebender Arbeitsimmigranten wird in diesen Institutionen seit langem gefordert. Mit dem unerwarteten Wahlsieg könnten die Berliner Sozialdemokraten ihren Absichtserklärungen Taten folgen lassen. Vor allem angesichts der 7,5 Prozent für die rechtsradikalen „Republikaner“ gab Parteichef Momper noch am Wahlabend die Parole aus, die Einführung des Ausländerwahlrechts stünde auf der Prioritätenliste der SPD. Daß dies nicht nur wegen der noch ungewissen Regierungsbildung ein Problem ist, geben führende Genossen durchaus zu. „Beim Ausländerwahlrecht macht uns unsere Basis nach wie vor große Schwierigkeiten. Da ist noch viel überzeugungsarbeit zu leisten.“ Das sehen die Genossen in anderen Bundesländern offenbar ähnlich. In Nordrhein -Westfalen, das als bevölkerungsreichstes Bundesland mit hohem Ausländeranteil Trendsetter werden könnte, schmort eine entsprechende Forderung der Partei seit 1975 in den Ablagen der SPD-Landesregierung.

Zuletzt beschloß der SPD-Landesparteitag im Oktober 1987, das kommunale Wahlrecht für alle Ausländer in NRW „so schnell wie möglich zu verwirklichen“. Was „schnell“ bei den NRW-Sozis heißt, stellte die Landtagsfraktion am 10.1.1989 nun per Beschluß klar: „Die Änderung des Kommunalwahlgesetzes soll für die Kommunalwahl 1994 in Kraft treten.“ Noch im November letzten Jahres hatte der Vorstand der SPD-Landtagsfraktion dafür plädiert, zunächst „Gesetzgebungsverfahren in Hamburg sowie den Ausgang der zu erwartenden, dagegen gerichteten Verfassungsklagen abzuwarten, ehe im Land Nordrhein-Westfalen eigene gesetzgeberische Schritte unternommen werden“ - so wörtlich das Sitzungsprotokoll. Diese Vertagung auf den Sankt -Nimmerleinstag haben die Abgeordneten mit ihrem jüngsten Beschluß verhindert. Wie das Gesetz letztlich aussehen wird, steht aber weiter dahin. Gäbe es ein uneingeschränktes Wahlrecht für alle Ausländer über 18 Jahre, so kämen 1994 etwa eine Million Wahlberechtigte hinzu. Zumindest in einigen Kommunen wären neue Mehrheiten denkbar.

Auch im Bundesland Bremen hat die dort allein regierende SPD im letzten Wahlprogramm versprochen, bis zum nächsten Urnengang 1991 „ein kommunales Ausländer-Wahlrecht“ einzuführen - nach dem derzeit vorliegenden Entwurf allerdings nicht für die Stadtbürgerschaft, sondern nur für die Stadtteilbeiräte. Diese bisher vom Stadtparlament je nach Parteienstärke eingesetzten Gremien sollen mit größeren Kompetenzen ausgestattet und direkt gewählt werden. Umstritten ist derzeit, ob Ausländer, die wählen wollen, vier Jahre in Bremen gelebt haben müssen oder ob vier Jahre in der Bundesrepublik ausreichen.

In Bremerhaven, wo die rechtsradikale NPD/DVU-Liste-D über die 5-Prozent-Hürde gekommen ist, hat die SPD dagegen erhebliche Bedenken gegen ein Ausländerwahlrecht. Hier existieren allerdings auch keine den Stadtteilbeiräten vergleichbaren Gremien.

Nur nichts überstürzen ist auch das Motto des strahlenden Siegers in Schleswig-Holstein, Björn Engholm. Der gegenwärtige Präsident des Bundesrates will das „in Ruhe angehen“, um durch solide Arbeit eine befürchtete Klage vor dem Bundesverfassungsgericht abwehren zu können. Obwohl die SPD-Landtagsfraktion mit ihrer Mehrheit bereits die Einführung des kommunalen Wahlrechts beschlossen hat, wurde erst einmal eine Kommission eingesetzt, die sowohl die juristischen Fragen klären als auch die Akzeptanz der Bevölkerung für die Reform erhöhen soll. Am 14.Februar debattiert der Landtag erst einmal über einen Antrag des Süd - Schleswig-Holsteinischen Wählerverbands der dänischen Minderheit, umgehend das Wahlrecht für EG-Angehörige einzuführen.

Im kleinsten SPD-geführten Bundesland, dem Saarland, ist Oskar Lafontaine dagegen aus dem Schneider. Die Landesverfassung legt explizit fest, daß nur Deutsche zur Urne dürfen. Eine Änderung der Verfassung scheitert selbstverständlich an der CDU, so daß Oskar sich damit begügen mußte, die Stellung der Ausländerbeiräte in den Kommunen zu verstärken. Sie werden direkt gewählt und haben ein Initiativrecht in den Kommunalparlamenten - nur mitentscheiden dürfen sie nicht.

Jenseits der SPD-geführten Bundesländer läuft die Debatte unter genau umgekehrten Vorzeichen. Da die CDU ein Ausländerwahlrecht - in welcher Form auch immer kategorisch ablehnt, kann die dortige Opposition ohne Aussicht auf Erfolg auf die Einführung drängen.

In Bayern debattierte der Landtag gestern in erster Lesung einen von den Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeindewahlgesetzes. Mit dem Entwurf sollen die Bestimmungen um das Wahlrecht für Ausländer erweitert werden. Auf einer Pressekonferenz verwies der grüne Landtagsabgeordnete Günter Schramm auf die „erhöhte Aktualität“ des Entwurfs nach den Berliner Wahlen. Den Vorschlag des CSU-Vorsitzenden Theo Waigel, daß die Union, um das Problem zu lösen, nur national-konservativer werden müsse, bezeichnete er als verfehlt. „Das wären nur braune Flecken auf schwarzem Jackett“, stellte Schramm fest.

Die Sozialdemokraten stehen dem Anliegen der Grünen -Initiative positiv gegenüber, halten denen jedoch entgegen, daß die bayerische Verfassung eine derartige Änderung nicht zulasse. In der bayerischen Verfassung werde nämlich ausdrücklich festgestellt, daß nur „Staatsangehörige“ das Wahlrecht besitzen. Die Sozialdemokraten hoffen zum einen auf den Erlaß einer ausländerfreundlichen EG-Richtlinie, zum anderen auf die Einführung durch SPD-regierte Bundesländer. Denn dann, so ihr Kalkül, käme das Thema vor das Bundesverfassungsgericht, und eine endgültige Klärung wäre möglich.

Mit dem Wahlerfolg der „Republikaner“ in Berlin ist die Frage jedoch schlagartig wieder aus der juristischen Spezialisten-Ecke hervorgeholt worden. Nachdem Bundeskanzler Kohl und CSU-Chef Waigel die Ausländerpolitik wieder als prioritäres Anliegen entdeckten, versuchen jetzt auch die Neonazis, auf den anfahrenden Zug aufzuspringen. In Düsseldorf wurde gestern ein Schreiben der NPD an den CDU -Oppositionsführer Worms bekannt, in dem sie die CDU zu ihrer Haltung gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer beglückwünscht. Wörtlich heißt es: „Wir Nationaldemokraten freuen uns aufrichtig, daß wir nunmehr mit der CDU einen potenten Mitstreiter gegen die Überfremdung unserer Heimat gefunden haben. Auf die kommende Zusammenarbeit freut sich Ihr Peter Markert, Landesvorsitzender“.

Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen