: Diepgen ins zweite Glied
Berlins noch Regierender bekräftigt Wunsch nach großer Koalition / SPD beansprucht Bürgermeister-Amt / Weitere Demonstrationen in Berlin ■ Von Fehrle und Gast
Berlin (taz) - Die Berliner CDU und der Regierende Bürgermeister Diepgen versuchen mit allen Mitteln eine rot -grüne Koalition in der Stadt zu verhindern. Diepgen selbst hat nach der verheerenden Wahlniederlage seiner Partei gestern die Duldung eines SPD-Minderheitensenats nicht ausgeschlossen. Er bot dem SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper Gespräche über eine Zusammenarbeit der beiden großen Parteien an. Er wolle die Stadt „regierungsfähig“ erhalten und verhindern, daß Berlin durch eine rot-grüne Koalition „auf die schiefe Bahn“ kommt. Wie schon in der Wahlnacht demonstrierten auch am Montag abend wieder tausende von Berlinern vor dem Rathaus und in der Innenstadt gegen den Einzug der rechtsradikalen Republikaner in das Abgeordnetenhaus.
Der - noch - Regierende Bürgermeister Diepgen legte gestern bei einer Pressekonferenz in Berlin einen 10-Punkte Katalog vor, der Grundlage für Verhandlungen mit den Sozialdemokraten sein soll. An erster Stelle nennt Diepgen das Bekenntnis zur Einheit der Stadt, die Aufrechterhaltung des Status und die Anbindung an den Bund. Mit klaren Positionen will Diepgen auch in Fragen der Ausländer-und Asylpolitik in die Verhandlungen eintreten. Berlin dürfe keine offene Stadt werden, sagte er. Das kommunale Wahlrecht für Ausländer, wie jetzt in Hamburg praktiziert, will die CDU nicht. Diepgens Verhandlungsgrundlage mit der SPD lautet: strikte Anwendung der Asylrechtsbestimmungen und langfristig die europaweite Harmonisierung des Asylrechts.
Indessen kippt die Stimmung bei den Sozialdemokraten hin zu rot-grün. In einer Erklärung des Landesvorstandes hieß es gestern, die Wähler hätten sich eindeutig für einen Wechsel der Politik in der Stadt ausgesprochen. Die SPD müsse jetzt eine soziale und ökologische Stadtpolitik durchsetzten. Dazu brauche sie Partner, die mit „wechselseitigem Respekt und Verbindlichkeit“ zusammenarbeiteten. In einigen Sachfragen, die der Landesvorstand als Verhandlungspunkte nennt, wird es mit der Alternativen Liste wenig Probleme geben. Daß die Mietpreisbindung wieder eingeführt werden soll wird ein ebenso leicht zu erreichender rot-grüner Konsens sein, wie die Änderung des Flächennutzungsplans. Streiten werden sich die Verhandlungsführer in jedem Fall bei Fragen der Inneren Sicherheit. Den „Mißbrauch der Polizei“ (SPD-Forderung) zu verhindern, wird der AL zu wenig sein. Daß sie sich mit der von der SPD angekündigten „tiefgreifenden Reform des Verfassungsschutzes“ begnügen wird, ist kaum anzunehmen. Die Alternative Liste wird ihre Verhandlungsposition heute abend abstecken.
Der Parteivorsitzende der SPD und Anwärter auf den Stuhl des Regierenden Bürgermeisters, Walter Momper, ist bislang in Koalitionsfragen zurückhaltend. In gleichlautenden Briefen hat er sowohl der CDU als auch der AL Gespräche angeboten. Diepgens Sachkatalog gefällt ihm bislang allerdings nicht. Momper vermißt den „Willen zur Umkehr und die Fähigkeit zur politischen Einsicht“ bei den Christdemokraten. Es sei Diepgen offenbar noch nicht klar geworden, daß er am letzten Sonntag abgewählt wurde, meinte Momper.
Bei der Demonstration gegen Fortsetzung auf Seite 2
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FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
den Einzug der rechtsradikalen „Republikaner“ in das Berliner Abgeordnetenhaus kam es zu keinen Zwischenfällen. „30.Januar 33 - 89 nichts gelernt?“ fragte das Kopftransparent der Protestzuges, zu dem ein „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“ aufgerufen hatte. Die 20.000 riefen immer wieder: „Ausländer bleiben - Nazis vertreiben“. Quer durch alle Gruppierungen - von SchülerInnen und StudentInnen über die verschiedenen Gewerkschaftsverbände bis zu Autonomen und den Mitglieder der AL, der SPD und der SEW
herrschte tiefe Besorgnis über das Wahlergebnis. Insbesondere die Sozial-, Umwelt- und Wohnungsbaupolitik des amtierenden Senates wurde von den verschiedenen RednerInnen dafür verantwortlich gemacht, den „Republikanern“ den Boden für ihren Wahlerfolg bereitet zu haben.
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