: Wem Gott einsagt, der muß den Schlaf besiegen
■ Brasilianische Telepathie und Non-stop-Komposition: Hermeto Pascoal tritt für drei Tage mit universell und immer anders auf die Bühne des DIX‘ und sprach nach dem 1. Konzert mit unserem Rezensenten
Hermeto Pascoal ist ein kleines, ziemlich rundliches Männchen mit wallendem weißem Haar und Bart, das auf der Bühne herumwuselt, immer wieder das Instrument wechselt, vom Piano zum Saxophon geht und schließlich ein längeres Solo auf dem Baritonhorn spielt, und immer so wirkt, als spiele er, was ihm so gerade einfällt. Und seine sechsköpfige Band mit drei Percussionisten folgt ihm locker in jede Ecke seiner musikalischen Schatzsuche.
So wirkt die Band auf der Bühne, und dem entsprechen auch Pascoals Vorstellungen: „Wir versuchen Musik ohne Grenzen zu spielen, universale Musik. Wir haben kein festes Repertoir wie fast alle anderen Gruppen. Was auf der Bühne passiert, ist nicht vorher festgesetzt. Während des Konzerts, in einer konstanten, spontanen Kreation,
entsteht das Konzept des Auftritts.“
Seine Band, mit der er seit Jahren täglich spielt, kann ihm dabei wie auf telepathische Botschaften hin folgen. Pianist Jovino Santos, der auch beim Interview vom Portugiesischen ins Englische übersetzte, bestätigte, wie wichtig die konstante Nähe der Musiker zueinander für diese Freiheit ihrer Musik sei, aber Pascoal ergänzte:„Man kann nur dann viel und gut proben, wenn man ständig neue Ideen, neue Arrangements und Kompositionen hat.“ Pascoal muß dementsprechend „Nonstop-komponieren“, wie Santos es nennt.
Die Gruppe hat gerade in Dänemark Aufnahmen mit einer Bigband gemacht, Pascoal alleine hat vor kurzem eine Platte mit Pianomusik eingespielt. In Dänemark hörte er den jungen Tenor
saxophonisten Lars Möller.„Er traf ihn, mochte ihn sehr, ging dann gleich ins Hotel und schrieb ein Stück für ihn“, so Santos. Daß er den Dänen auch gleich mit nach Bremen brachte, und die neue Komposition gestern von Möller und Carlos Malta am zweiten Tenorsaxophon gespielt wurde, zeigt, wie frei diese Band wirklich ist.
Daß Genie zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration ist, belegt Pascoals Kommentar zu diesem Stück: es war spät, und er sei sehr müde gewesen, aber die Idee sei ihm zugefallen. Bis auf die letzten zwei Takte, an denen er lange herumprobieren mußte, „aber wenn Gott dir einsagt, mußt du den Schlaf besiegen.“
Auch mit seinen vielen, zum Teil sehr abenteuerlichen Instrumenten will Pascoal so frei spie
len, wie es nur möglich ist: „Wenn ein Musiker nur ein Instrument spielt, ist er wie ein Maler, der nur eine Farbe benutzt. Das Konzept meiner Musik ist reicher, ich kann mit vielen Instrumenten auch viele Ideen ausdrücken, aber man kommt erst spät ins Bett, muß hart arbeiten und braucht einen sehr starken Willen, wenn man auf vielen Instrumenten gut spielen will.“
Zu seinen immer hörbaren Wurzeln in der brasilianischen Volksmusik sagt Pascoal: „Es ist wichtig für Musiker, bei den ethnologischen Ursprüngen ihrer Heimatländer zu beginnen, aber das ist nur der Ausgangspunkt, von dem man sich zu einer universellen Musik entwickeln sollte. In Brasilien schreiben viele Komponisten immernoch Bossa Novas, wie sie in den fünfziger Jahren modern waren, und auch jetzt
wieder gerne gehört werden, aber das sind Relikte. Wir haben das Ziel, uns nicht zu wiederholen, jeder Auftritt ist anders.“
Das bekam ich auch gleich selber zu spüren: an diesem Abend hatte Pascoal oft die Bühne verlassen und die Band für längere Passagen allein spielen lassen. „Ist das eine neue Entwicklung ?“ wollte ich gleich etwas naseweiß wissen. „Das war heute so, morgen spiele ich vielleicht fast nur Soli, und die Band bleibt im Hintergrund“, war Pascoals Antwort. Ich werde heute abend nochmal hingehen, eventuell spielt er dann auch seine Bassflöte, die fast größer ist, als er selbst. Pascoal hatte es fast versprochen, er mag sie nämlich auch sehr gerne, aber entscheiden wird er sich erst auf der Bühne.
Willy Taub
DIX, heute abend nochmal, 21 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen