: Cartoon-Männer und echte Figuren
■ Literatur und Comics: Zwei feindliche Brüder kommen sich näher
Martin Halter
Der alte Goethe lobte Rodolphe Toepffers Bildergeschichten noch arg- und ahnungslos als „wirklich toll“. Aber der Genfer Karikaturist, einer der Ziehväter des modernen Comic strip, malte Mitte des letzten Jahrhunderts bereits stolz den Teufel an die Wand: „Mit ihrem doppelten Vorzug größerer Verständlichkeit und Klarheit könnte die Bildergeschichte eines Tages sehr wohl die Literatur verdrängen.“ Dieses Horrorgemälde vor Augen, hat sich das Bildungsbürgertum, wenigstens das deutsche, bis in die siebziger Jahre hinein inzwischen freilich spielen Fernsehen und Video die Böse -Buben-Rolle weitaus überzeugender - vor den Strichmännchen gefürchtet: Analphabetischer „Bildidiotismus“ drohte, wo nicht gar „Versteppung des Geistes“. Zwar drängen seit gut zehn Jahren ebenso gut gemachte wie schlecht beleumundete „Erwachsenen„- oder sagen wir ruhig: Männercomics mit kunstgewerblichem Sex & Crime auf den Markt, den bis dahin die harmlosen „Funnies“ und die Supermänner zwischen Dschungel und Weltall beherrschten. Aber die Schlacht um die kulturelle Anerkennung der Comics ist nun auch im Abendland geschlagen. Donald Duck und die Seinen sind längst salonfähig geworden: Gegenstand wissenschaftlicher Diskurse, Ikone der Pop-art, begehrtes Sammelobjekt und Wertanlage über Entenhausen hinaus. H.C.Artmanns unwirsche Empfehlung von 1964, „comic-writing endlich als das anzuerkennen, was es längst geworden ist, nämlich Literatur“, rennt heute offene Türen ein.
Wankt nun also das zäh verteidigte kulturelle Primat der Literatur? Profitieren die Comics, die dem Film von jeher näherstanden, vom Vormarsch der visuellen Medien? Eher scheint es so, als fänden die feindlichen Brüder langsam zu einer friedlichen Koexistenz, zurück zu jenen archaischen Ursprüngen, als auf Wandteppichen und in mittelalterlichen Folianten Schrift und Bild sich noch wechselseitig erhellten. Man muß dabei nicht einmal an die postmoderne Literatur denken, die gern die Cartoon-Realität in ihre Spielwelten einschmuggelt und sich, wie jüngst Roger Rabbit, an den skurrilen Interferenzen beider Sphären erbaut. „Der Cartoon-Mann fährt mit seinem Cartoon-Auto in die Cartoon -Stadt und überfährt einen echten Mann“, beginnt eine hübsche Geschichte von Robert Coover. Das entspannte Verhältnis von Literatur und Comics wird noch sinnfälliger in einem neuartigen, vor allem schweizerischen Phänomen: der Übersetzung durchaus seriöser Literatur in Comics.
Vor zwei Jahren begann die auf diesem Gebiet Pionierarbeit leistende Zürcher Edition Moderne mit einer Ver-zeichnung von Fritz Zorns Mars aus der Feder der Gebrüder Varenne, (derzeit vergriffen), dann wagte sich Ursula Fürst an Jürg Federspiels Ballade von der Thypoid Mary. Von dem französischen Duo Leo Malet/Tardi, zwei kongenialen Surrealisten, liegen bisher zwei Nestor-Burma-Krimis vor, der zweibändige 120, rue de la Gare (eine zweite Auflage ist von der Edition Moderne angekündigt) und Die Brücke im Nebel, 1984 beim deutschen Branchenführer Carlsen erschienen. Zwei Schweizer Krimi-Comics sind nun hinzugekommen: Hannes Binder versuchte sich, unter erklärtem Rückgriff auf den italienischen Meistererotiker Crepax an Friedrich Glausers Der Chinese (Arche Verlag) und Zeichenschüler des Städtischen Literargymnasiums Bern -Neufeld schufen - Tardis Malet-Adaptionen standen hier wohl Pate - eine Comic-Version von Dürrenmatts Klassiker Der Richter und sein Henker. Die erste Auflage von 3.000 Exemplaren war binnen einer Woche ausverkauft, und natürlich findet auch der alte Dürrenmatt die Idee „außerordentlich sympathisch“.
Nicht, daß solche literarischen Comics Neuland beträten; in Deutschland, wissen Comic-Historiker, boten Albrecht Dürer und Hans Sachs das frühe Beispiel eines Zeichner -Librettisten-Gespanns, und in China wurden schon im 16.Jahrhundert den Analphabeten populäre Romane mit Bildleisten über dem Text nahegebracht. Vor allem in den fünfziger Jahren, als die Comic strips noch gegen ihre gesellschaftliche Ächtung zu kämpfen hatten, suchten sich Cartoon-Reihen wie die „Illustrierten Klassiker“ im Schlepptau der Weltliteratur - und sei es auch nur ihre B -Seite, Jules Verne, Karl May, später auch „Carmen“ oder schwülstige Wagner-Opern - Reputation zu erwerben. Von Hal Fosters unsterblichem Prinz Eisenherz ist schließlich sogar der umgekehrte Fall verbürgt, daß der Cartoon als Vorlage nicht nur für Filme, sondern auch für einen Roman diente. Und in den siebziger Jahren wurden Comics dann als Agitprop-Vehikel für schwierige Prosa entdeckt: Für Denkfaule gab es das Kapital in Sprechblasen oder Lenins Werke in Bildern, und selbst die Kirchen nahmen zweimal, 1976 und 1980, einen Anlauf, das Evangelium als Jeschis Abenteuer im Bild zu verkaufen.
Inzwischen haben sich die Comics längst als eigenständige Kunstform etabliert: Ihre „präverbale Kommunikation“ bedarf nicht mehr des belletristischen Krückstocks. Im Gegenteil: Raffinierter als selbst im Film, von dem die Comics viele Techniken vom Zoom und Schnitt bis zur Montage übernahmen, lassen sich in diesem Medium subjektive und objektive Perspektive verschränken, Betrachter und Gegenstand in einem Bild fassen. Insofern sind die literarischen Comics, die jetzt auf den Markt kommen, auch nicht Buchkompressen für Leseschwache, sondern Bilderbücher sui generis - im besten Fall wenigstens. Schon hat der renommierte Krimiautor Janwillem van de Wetering zusammen mit dem Zeichner Paul Kirchner eine „graphic novel“ (Mord per Fernbedienung, Bastei-Lübbe, 96 Seiten, 12,80 DM) geschaffen, die der Verlag stolz als „Premiere für eine neue Erzählform“ ankündigt. Nicht ganz zu Unrecht: Der Bilderkrimi sprengt nicht nur die lineare Erzähl-Kontinuität der fortlaufenden „panels“ mit ihren rechteckigen Einzelbildern auf originelle, gleichsam psychedelische Weise. Es gibt auch keinen Text mehr, der erst noch auf seine visuellen Reize kondensiert werden müßte: Der Autor schreibt von vornherein ein Comic-Drehbuch.
Den Dürrenmatt- und Glauser-Comics dagegen fehlt diese Freiheit der Bildsprache; sie fallen nicht nur hinter den Maßstab, den die Verfilmungen im Kopf gesetzt haben, zurück, sondern auch hinter den Stand avancierter Comic-Kunst. Das fällt beim Dürrenmatt-Bilderbuch nicht weiter ins Gewicht: Der Comic strip - Sprechblasen wie Zeichnungen - ist schließlich das Werk 17jähriger Schülerinnen und Schüler, sorgfältig recherchiert und mit viel Liebe zum Detail im „lijne clair„-Stil der flämisch-französischen Schule (Ted Benoit, Tardi, Vanderhaeghe) gezeichnet. Gleichwohl sind die Mittel beschränkt: Besticht der Hintergrund - das Bernbiet des Jahres 1948 und Istanbul, aber auch die Interieurs durch atmosphärische Dichte, so gebricht es den Figuren denn doch an der nötigen Tiefenschärfe, an individueller Präsenz.
Auch Hannes Binder gelingen in seinem Glauser-Comic starke Schwarzweiß-Bilder, vor allem immer dann, wenn Nacht über Pfründisberg fällt und Wachtmeister Studer - „Zong! Zack! Klirr!“ - zur Tat schreitet. Aber Glausers düsteres Emmental geht in den schraffierten Strichmännchen Binders nicht auf. Zumal gegen Ende der 170 Seiten, an denen Binder immerhin drei Jahre lang arbeitete, offenbaren sich nicht nur zeichnerische Konditions- und Konzentrationsmängel, sondern auch die Grenzen des Mediums. Die klassische Krimi-Situation - der Ermittler versammelt alle Verdächtigen in einem Zimmer und löst den Fall im Schlußmonolog - gerät zur Textwüste mit kargen visuellen Oasen.
„Spannung ist ein vorzügliches Element“, hat Friedrich Glauser einmal gesagt. „Sie erleichtert dem Publikum die Anstrengung des Lesens„; sie hilft, „wie irgendein Schnaps“, vergessen. Die Krimi-Comics erleichtern das Lesen, indem sie „Fuselspannung“ ausschenken: mit Bildern verwässerte Literatur, zur Sprechblase verdünnte Sprache. Das ist der Preis für die „Verständlichkeit und Klarheit“, von der Toepffer schwärmte.
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