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Ein Schisma geht dem Ende zu

■ Zum ersten Mal seit dreißig Jahren ist ein sowjetischer Außenminister in Peking zu Besuch

1969, an der sowjetisch-chinesischen Grenze am Ussuri: Soldaten der beiden kommunistischen Weltmächte schießen aufeinander - Höhepunkt eines Schismas, das schon 30 Jahre andauert. Die Realpolitik der achtziger Jahren dagegen steht immer mehr im Zeichen der Kooperation. Gemeinsame Kommissionen verhandeln über den Grenzverlauf, unter den Händen der Wirtschaftsreformer hat sich in beiden Ländern so viel verändert, daß Schubladen wie „Revisionismus“ und „kleinbürgerlicher Radikalismus“ zum Anachronismus geworden sind. Und die Lösung des Konfliks steht vor der Tür, wenn sich - voraussichtlich im Frühjahr - Gorbatschow und Teng Hsiao-ping in Peking zum Gipfel treffen.

Wer kennt sie nicht, die berühmte „Polemik über die Generallinie“, die ab Juli 1963 auch in der westdeutschen Linken alte Kampfgefährten in erbitterte Debatten trieb, später Wohngemeinschaften und Beziehungskisten zerbrechen ließ und theoretischer Untergrund maoistischer K-Gruppen im Westen werden sollte. Das Schisma der beiden kommunistischen Supermächte warf auch bei uns Gräben auf, die erst seit einigen Jahren wieder zugeschüttet sind. Die einen hielten die „Revisionisten“ Moskauer Prägung für den Hauptfeind des Sozialismus, den anderen war der Maoismus Ausgeburt „kleinbürgerlicher Radikalität“.

Auch wenn diese Auseinandersetzungen nur Fußnoten in der Weltgeschichte darstellen, brachten sie doch den erbitterten Kampf der beiden kommunistischen Mächte auch in unsere Köpfe. Und sie lassen erahnen, wie schwierig es sein muß, ein neues Kapitel in den sino-sowjetischen Beziehungen aufzuschlagen.

Die schlechten Erfahrungen der Chinesen mit dem nördlichen Nachbarn sitzen tief: Maos Kommunisten waren im Befreiungskampf nur erfolgreich, weil sie die Weisungen aus Moskau ignorierten. Und als sich 1950 die Sowjetunion auch noch an der internationalen Demütigung gegenüber dem vom Krieg geschwächten Land beteiligte, indem sie sich in einem Grenzvertrag Besatzungsrechte auf chinesischem Territorium sicherte und in der UNO der Vertretung Chinas durch die Regierung in Taiwan zustimmte, waren Eckpunkte gesetzt, die später in die „Polemik“ einflossen.

Nach Stalins Tod 1953 würdigten die sowjetischen Kommunisten China zwar als wichtigsten Partnerstaat. Als aber Chruschtschow auf dem 20. Parteitag die Entstalinisierung einleitete, erschien dies den mit ungeheuren wirtschaftlichen Problemen kämpfenden Chinesen als „Schwächung des sozialistischen Lagers“. Und als in China die Politik des „Sprunges nach vorn“ scheiterte und die Sowjetunion ihre Techniker und Berater abzog, war das Maß voll: Die Abscheu der Maoisten vor der in Fettlebe erstarrten sowjetischen Kaderhierarchie gipfelte 1965/66 in der Kulturrevolution.

Die heutige sowjetische Führung vertritt nicht einmal grundlegend andere Positionen als damals - doch die wirtschaftliche und politische Entwicklung zwingt heute in beiden Ländern zu Pragmatismus. Schon 1963 hieß es: „Unser Kampf für die Abrüstung ist kein taktischer Zug. Wir wollen aufrichtig die Abrüstung, und wir befinden uns dabei ganz auf dem Boden des Marxismus-Leninismus... Menschen, die die thermonukleare Waffe als 'Papiertiger‘ bezeichnen, sind sich nicht vollständig der Zerstörungskraft dieser Waffe bewußt“, ist in der „Pelemik“ damals noch warnend hinzugefügt.

Angesichts eines aufstrebenden Privatsektors in der chinesischen Landwirtschaft und kapitalistischer Inseln, sogenannter Freihandelszonen, im Herzen des chinesischen Territoriums, können sich die Sowjets nicht mehr wie damals über die chinesische „Gleichmacherei“ lustig machen, als es hieß: „Nach ihrer Logik ergibt sich, daß es Kommunismus ist, wenn das Volk in Bastschuhen geht und seine magere Kohlsuppe aus einer gemeinsamen Schüssel löffelt.“

Und die schlechten Erfahrungen mit den Ratschlägen, die die KPdSU den chinesischen Genossen schon vor der Machtübernahme gegeben hatten, mögen für Mao bedeutsam gewesen sein - für die heutige Führung in Peking spielt das kaum mehr eine Rolle. Denn in beiden Ländern wird die Geschichte neu interpretiert. Die Chinesen bezeichnen ihre „Kulturrevolution“, die Ende der sechziger Jahre auch gegen den „Sowjetmarxismus“ gerichtet war, heute als „Periode des Personenkults“, und Gorbatschow zieht, wie seinerzeit Mao, gegen die Bürokratie zu Felde, wenn auch mit anderen Methoden.

Vielleicht trug auch zur Entkrampfung bei, daß die Sowjetunion sich nicht mehr als Lehrmeister fühlt. Schließlich hat China schon 1978 damit begonnen, die bäuerlichen Haushalte in Eigenverantwortung wirtschaften zu lassen und Marktpreise einzuführen, seit 1981 wurden Privatbetriebe zugelassen. Gorbatschow dagegen hat erst in letztem Herbst begonnen, ein Pachtsystem in der Landwirtschaft zu propagieren. Dafür geht die KPdSU-Spitze in der Reformierung des politischen Systems und der innerbetrieblichen Demokratisierung weiter als die Chinesen: die Wahl der Direktoren durch die Belegschaft ist in vielen sowjetischen Betrieben jetzt schon Praxis. Gerade die Wirtschaftsprobleme in der Sowjetunion zwingen Gorbatschow zur Entwicklung des Fernen Ostens und damit zur Aussöhnung mit China. Kohle, Holz und Metalle aus Sibirien haben es nach China und nach Japan nicht so weit wie nach Europa.

Der diplomatischen Initiative aus Moskau ging daher Ende vergangenen Jahres eine neue Politik der sowjetischen Staatsbank voraus: Restriktionen wurden aufgehoben und gemeinsame Projekte an beiden Seiten der Grenze angekurbelt. Die Sowjets wollen auf chinesischem Territorium Wärmekraftwerke bauen, während die Chinesen bei der Zellstoffgewinnung in der UdSSR mitwirken sollen. Am Ussuri, wo es 1969 zu blutigen Kämpfen kam, sind jetzt chinesische Bautrupps in sowjetischen Städten eingesetzt.

Barbara Kerneck/er

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