: Wasserwerfer aus dem Biedermeier
■ Eine bürgerlich-aufgeklärte, fast gewaltfreie Utopie des Rechtsstaates aus dem Jahre 1831
Bei Reclam in Leipzig erschien 1831 die kleine Schrift „Präservative wider Revolutionen nebst einem schnell wirkenden, ganz neuen Mittel, jeden Gassentumult und Auflauf ohne Blutvergießen zu stillen“. Der anonyme Verfasser empfiehlt zunächst als besten Schutz gegen Revolutionen „Preßfreiheit“, „freie Religion“, „Aufhebung der Zünfte“, „Öffentlichkeit in Finanz- und Justizsachen“ und schließlich „eine freie, wohlgeordnete repräsentative Verfassung“. Der zweite, hier veröffentlichte Teil zielt dann gegen alle die, für die diese „wohlgeordnete“ Verfassung nicht gedacht ist, gegen den Pöbel. Ihn sollen „Wasserspritzen“ in Schach halten. Der Blick des Bürgers auf die Straße, der Ärger der Obrigkeit mit den Schaulustigen, die Unterscheidung von „friedsamen Bürgern“ und hartem Kern und die Rede von der „aufgeklärten Polizeybehörde“ ... es scheint sich wenig geändert zu haben.
Auflauf, Gassentumult müssen nicht mit Volksaufstand, Revolution verwechselt werden, obgleich letzere auch gewöhnlich die ersten herbeiführen und bisweilen umgekehrt.
Auflauf, Gassen- oder Pöbeltumult ist ein, durch Gesetze nicht bewilligtes, die öffentliche Ruhe störendes Zusammenlaufen der Einwohner einer Stadt oder eines Orts, welches jedoch nicht den Zweck hat, eine Veränderung der Regierungsform zu bewirken.
Ein bloß zufälliges Gedränge von Menschen, z.B. bei öffentlichen Aufzügen, Feuersbünsten u.s.w. ist, so lange solches keine Unordnung, oder Störung der öffentlichen Ruhe veranlaßt, nicht mit den Namen Tumult oder Auflauf zu belegen. Da aber alle solche starke Volksmassen leicht große Unordnung und öffentliche Ruhestörung veranlassen können: so müssen sie augenblicklich zerstreut werden, sobald Spuren der öffentlichen Ruhestörung bemerklich werden; denn in solchem Augenblick nehmen sie den Charakter des Auflaufs an. Es versteht sich, daß privilegirte Versammlungen des Volks in Märkten und öffentlichen erlaubten Zusammenkünften hier nicht gemeint sind, jedoch sind wider die etwanigen Ruhestörer auch da schleunige Maßregeln zu nehmen.
Ein verabredetes Zusammenlaufen, welches eine bestimmte Absicht zur Störung und Kränkung der Rechte der Mitbürger hat, ist im ersten Entstehen als Auflauf zu betrachen. Z.B. wenn zu Zeiten der hohen Kornpreise das auszuschiffende Getreide von Voksmassen angehalten wird; wenn Volksmassen die Kornspeicher öffnen, und die Eigenthümer zwingen wollen, das Korn zu niedrigen, bestimmten Preisen zu verkaufen; wenn tumultuarische Volksmassen in die Beckereien und Schlachter -Buden dringen, und Brod und Fleisch zu bestimmten niedrigen Preisen, drohend und gewaltthätig fordern: so ist hier die fürchterlichste Ausübung des Faustrechts.
Oft entsteht ein solcher Auflauf aus Neid, besonders Nahrungsneid wider Nebenbürger, z.B. wenn ein Kaufmann oder Krämer vorzüglich gute Waaren zu wohlfeilen Preisen liefert, und also einen großen Zulauf und Absatz erhält; wenn einzelne, reiche Kaufleute und Banquiers außerordentliche Geschäfte machen. Fürchterliche Verfolgungen wider die Juden sind allein aus Neid, Nahrungsneid entstanden, besonders in großen Handelsstädten.
Laßt uns nun die Bestandtheile der tumultuarischen Volksmasse analysiren, und zwar erstlich auf einem großen geräumigen Platz (Markt). Im Centrum dieses Kreises gährt der Hefen des Pöbels mit lärmenden Gassenbuben und einigen rathgebenden Einwohnern vermischt. In der ersten Peripherie befinden sich die ehrsamern Bürger, die dem Schauspiele harrend zusehen. In der äußersten Peripherie sind die süßen Herren postirt, mit schmachtenden Schönen am Arm (les elegants, les petits maitres avec leurs dames).
Wird aber in einer Gasse Quarre formiert: So bilden die zuschauenden ehrsamen Bürger mit Stutzern und Schönen vermischt, die Außenseiten, indem der eigentliche Pöbel mit den Gassenbuben im Innern des Vierecks tobt.1
Auf einmal hört man eine Stimme brüllen: „was ist hier lange zu schnacken? - Dem Halunken die Fenster 'nein!“ Plötzlich rasseln alle Fensterscheiben des belagerten Hauses. Nach diesem Getöse erfolgt eine augenblickliche Pause des Wohlgefallens und Begaffens. - Plötzlich brüllt eine andere Stimme unter Begleitung von Tausenden: „Sprengt die Thür, stürzt hinein zu dem Kornwucherer, dem Bluthund, dem Geldwucherer!“ - und unter fürchterlichem Gebrüll wird nun gestürmt. Gestürmt und erobert, ist die Zeit weniger Minuten. Nun wird im Innern des Hauses gewüthet, der Eigenthümer mörderisch behandelt, vielleicht niedergemacht, Kisten und Kasten geöffnet, kostbare Meubeln aus den Fenstern geworfen und den herzueilenden neuen Pöbelmassen preis gegeben.
Nun kommt denn die Polizei herbei geeilt. An einigen Orten zu Pferde, sonst gewöhnlich zu Fuß, mit Stöcken oder Prügeln bewaffnet. Ist ein Haus schon erstürmt: so kann sie gar nichts ausrichten; kommt sie aber auch vor dem Erstürmen, indem die Pöbelmasse noch in drohender Stellung, als drohende Kolonne dasteht, so geräth sie doch gleich in große Verlegenheit wie es anzufangen sei, sie muß erst die Linien der ehrsamen Bürger, der Stutzer und brillanten Damen durchbrechen, um zum eigentlichen Pöbelcentrum zu gelangen. Durch rechts und links ausgetheilte Stockprügel und flache Säbelhiebe gelingt es ihr, das Centrum des Aufruhrs zu erreichen, oft aber auch nicht. Die Polizei schreit: „Aus einander! - Fort!“ - Keiner gehorcht. Die Polizei schlägt darein, wird aber von der Menge umringt und verhöhnt. Die Gefahr wird immer drohender. Nun rückt endlich reguläre Kavallerie an; der Pöbel ist aber sehr wohl davon unterrichtet, daß diese, wenigstens vorläufig, nur flach hauen darf. Wenn die Kavallerie also einen Haufen aus einander gesprengt hat: So sammeln sich augenblicklich noch stärkere. Die Kavallerie wird umzingelt, verhöhnt; hiedurch aufgebracht, hauet sie scharf ein, worauf plötzlich das fürchterliche Geschrei: „es fließt Bürgerblut!“ durch alle Straßen erschallet. Das Geschrei: „Rache, Rache! Zu den Waffen! Zu den Waffen!“ ist die allgemeine Losung. Nun stürzen Tausende wie Rasende herbei, zur vermeintlichen gerechten Nothwehr und Rache. Nun erfolgen Schreckensscenen, woran Anfangs ganz und gar nicht gedacht war; und eine wirkliche Staatsumwälzung (Revolution) kann leicht die Folge werden. So ist es von jeher zugegangen, und so geschieht es, leider! in unsern Tagen der Unruhe.
Hier ist die Frage zu entscheiden: Hat die Polizei, die ausübende Macht, im vorliegenden Fall recht oder unrecht gehandelt? Diese Beantwortung hängt von der richtigen Beantwortung folgender Frage ab:
Wie ist eine im Auflauf und Tumult begriffene, oder dabei anwesende Volksmasse zu betrachten und zu behandeln?
Eine solche tumultuarische Volksmasse ist wie eine drohende und angreifende Räuberbande zu betrachten und zu behandeln.
Es ist folglich die höchste Pflicht der ausübenden Macht, eine Volksmasse, die sich als Tumultuanten constituirt hat, durch Waffengewalt, allenfalls durch Säbelhiebe und Kugeln, sogleich aus einander zu sprengen, Falls die Regierung kein anderes sicheres Mittel dazu hat, oder kennt.
Dieser Satz ist ein abgeleiteter Satz, eine nothwendige Folge aus dem höhern Begriff von Staat. Der Beweis ist kurz: Die allererste Absicht und Bedingung des Staatsvereins ist bürgerliche Sicherheit, Schutz für Leben und Eigenthum; folglich sind alle und jede tumultuarischen Volksbewegungen gerade dem ersten Staatsprincip entgegen.
Hier ist also Waffengewalt ein nothwendiges Vorbeugungsmittel, um Leben und Eigenthum der Bürger zu retten. Mit der Anwendung dieses Mittels kann durchaus nicht bis nach vollbrachter That gezaudert werden. Hier zaudern (temporisieren) zu wollen, wäre eben so unklug, als kein Wasser auf das dem brennenden Hause benachbarte und schon von der nahen Flamme erhitzte Haus spritzen zu wollen, ehe es gehörig in Feuer und Flammen stände.
Es ist also nur eine unverständige, kindische Einwendung, wenn es heißt: „Aber Himmel! wie viele unschuldige Menschen müssen nicht ihr Leben lassen, wenn die ausübende Macht auf eine Volksmasse, die noch nichts Böses begangen hat, und zum Theil auch zu begehen nicht im Sinne hat, scharf schießen oder einhauen läßt! - Wie viele Kinder, unschuldige Weiber und Mädchen, wie viele achtbare Bürger werden dahingestreckt!“
Die Antwort ist kurz: Hier ist kein einziger Unschuldiger; wer sich einer Räuberbande anschließt, muß sein Schicksal mit ihr theilen; gleiche Brüder, gleiche Kappen. Die sogenannten unschuldigen, friedsamen, ehrbaren Bürger, die süßen Herren und Schönen sind just die Pallisaden und Brustwehr des im Centrum rasenden Pöbels. Pallisaden und Brustwehr müssen nothwendig erst niedergeschossen werden, wenn auch mancher süße Herr mit seiner Dame am Arm plötzlich in die elysäischen Gefilde hinüber geschleudert werden möchte.
Hier ist also das Geschrei: „es fließt Bürgerblut!“ von derselben Bedeutung, als: „es fließt Räuberblut!“
Eine ganz andere Bewandtniß hat es aber mit der Anwendung der schützenden Macht nach geschehener Uebelthat, z.B. Todesstrafen. Denn wenn es erwiesen werden könnte, daß kein einziger neuer Mord und Todschlag durch Hinrichtung der Mörder verhindert werden könne, so wäre den Todesstrafen auf einmal das Todesurtheil gesprochen, d.h. keine Todesstrafen dürften statt finden. So lange aber dieser Satz nicht bewiesen worden ist, so lange kann ein jedes Mitglied des Staats wider die Abschaffung der Todesstrafen protestieren.2
Eine Regierung, auch die liberalste, die beste Regierung es sey mir erlaubt, den musterhaften hamburger Freistaat hier zu nennen - kann in die traurige Nothwendigkeit kommen, das Leben und Eigenthum ihrer Bürger durch Waffengewalt schützen zu müssen. Könnte nun ein besseres Mittel, als die bisherigen Stockprügel, Säbelhiebe, Flinten- und Kartätschenschüsse erfunden werden, welches keinem Menschen, schuldigen oder unschuldigen, das Leben raubte, so würde dieses Mittel sicher zu den wohlthätigen Erfindungen für die Menschheit zu rechnen seyn.
Ein solches Mittel kennt der Verfasser dieser Schrift, und er hält es für heilige Pflicht, solches zur allgemeinen Kunde zu bringen, und hofft von jeder aufgeklärten Regierung, daß sie dieses leichte und schnell wirkende Mittel ohne Zögerung anwenden werde, um das Leben vieler Menschen bei den statt findenden tumultuarischen Aufläufen zu retten, und Unglück von Tausenden ohne Blutvergießen abzuwenden.
Hier ist das einfache Mittel:
Gut eingerichtete, leicht fortzubringende Wasserspritzen.
Große Wirkungen durch einfache Mittel ist eine bekannte, durch die Geschichte bestätigte Wahrheit, die aufs Neue hier wird bestätigt werden.
Dieses einfache Mittel wird Wunder thun! Sobald nur die Spritzen zu speien anfangen, sind die Pallisaden und alle Außenwerke innerhalb einer Minute, höchstens drei bis vier Minuten gesprengt, d.h. die süßen Herren mit ihren Damen, so wie die gaffenden, ehrsamen Bürger fliehen über Hals und Kopf, um der plötzlichen starken Wassertaufe zu entrinnen. Ein wirklich tragisch-komisches Schauspiel! - Sauve qui peut! ist Generallosung, wie in der Schlacht bei Roßbach.
Nun erreicht der kräftige Wasserstrahl das entblößte Centrum mit voller Stärke; die Gassenjungen fliehen sogleich, das Centrum wird immer dünner, und noch ehe die erste Spritze halb geleert ist, hat die Polizei schon leere Gasse, leeren Platz. Es ist probat!
Es ist aber vor Einführung dieser Polizeispritzen erforderlich, nämlich: daß eine wohl durchdachte Polizeiordnung öffentlich gehörig bekannt gemacht werde, in welcher die Einführung und Anwendung der Polizeispritzen angezeigt werden muß, mit der ausdrücklichen Verwarnung, daß ein jeder, der einen Angriff auf die Polizeispritzen macht, sogleich auf seinen Thaten fallen und liegen werde, indem die militärische Spritzenwache augenblicklich auf einen solchen Aufrührer scharf einhauen werde.
Die weitere Organisirung dieses Mittels wird eine jede aufgeklärte Polizeibehörde verstehen.
Zweckmäßig scheint es zu seyn, daß die Polizeispritzen immer in Verwahrsam und Bereitschaft bei allen Stadtwachen befindlich wären, woselbst auch beständig reitende Polizeidiener seyn müßten. Da bekanntlich bei Volkstumulten immer Feuerbrunst zu befürchten ist, so erhellet hieraus der doppelte Nutzen der Polizeispritzen.
Uebrigens ist bei allen Polizeieinrichtungen die Hauptregel: eine beständige Wachsamkeit. Denn der Unruhestifter schläft nicht; er kommt oft wie ein Dieb in der Nacht. Die Spritzenwache muß augenblicklich, spätestens innerhalb zehn Minuten, von jeder Volksbewegung oder Auflauf unterrichtet seyn, es sey bei Tage oder Nacht. Wer diese Kunst nicht versteht, der ziehe, je eher, je lieber, die Hand zurück von aller Polizeidirection.
1)Wer in großen Städten Pöbeltumulte gesehen hat wird die obige Schilderung ziemlich treffend finden; obgleich auch nicht selten Kaleidoskopveränderungen plötzlich entstehen. Will etwa eine herzhafte Schöne dem Centrum näher seyn, gleich bahnt ihr Führer sich und seiner Donna den Weg und führt sie triumphirend zum erwünschten Punkte.
2)Der Verfasser macht jeden philosophischen Rechtsgelehrten hierauf ausdrücklich aufmerksam und bittet, diesen Satz ohne alle vorgefaßte Meinung zu prüfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen