: Datenautobahn ISDN
In Hamburg, Stuttgart und Berlin sind die ersten digitalen Telekommunikationsnetze in Betrieb / Bis Mitte der 90er Jahre soll das Telefonnetz überall digitalisiert sein / Äußerst wirksames Überwachungsinstrument ■ Von Peter Schaar
Hamburg (taz) - Nicht weniger als „die große Freiheit“ verspricht die Post ihren Kunden, wenn sie sich für einen ISDN-Anschluß entscheiden. ISDN steht für „Integral Services Digital Network“, zu deutsch: diensteintegrierendes digitales Telekommunikationsnetz.
In Hamburg, Berlin und Stuttgart sind in der vergangenen Woche die ersten regionalen ISDN-Netze in Betrieb gegangen, ohne daß dies von der Öffentlichkeit groß beachtet worden wäre. Dabei handelt es sich bei ISDN um ein Jahrhundertprojekt der Post, von dem buchstäblich jede(r) betroffen wird. Bis Mitte der neunziger Jahre soll das ISDN flächendeckend eingeführt sein.
Kernpunkte der Umstellung auf das ISDN sind die Digitalisierung der gesamten Telekommunikationstechnik und die Zusammenfassung der bislang getrennt betriebenen Daten und Telefonnetze. Durch die Digitalisierung der Übertragungs - und Vermittlungstechnik können beim ISDN die Telefonleitungen auch für die schnelle und komfortable Datenübertragung genutzt werden, da eine Umwandlung in analoge Signale dann nicht mehr nötig ist und so in Zukunft bis zu 64.000 Zeichen je Sekunde übertragen werden können (die „Schallgrenze“ bei analoger Übertragung lag bei knapp 10.000 Zeichen).
Außer einer als Sonderleistung angebotenen besseren Wiedergabequalität („Telefonieren mit doppelter Bandbreite“), die auch noch extra bezahlt werden muß, wird ISDN für den normalen Telefonkunden kaum Vorteile bringen. Trotzdem sind die 27 Millionen Telefonkunden die Hauptzielgruppe der Post, denn die 350.000 „Datenkunden“ sind mit dem heute bestehenden Integrierten Datennetz (IDN) bereits gut bedient.
Hohes Mißbrauchsrisiko
ISDN-Kritiker wie der Bremer Professor Herbert Kubicek forden deshalb auch die Beibehaltung in getrennten Daten und Telefonnetzen. Sie sehen im ISDN nicht nur eine gewaltige volkswirtschaftliche Verschwendung (allein bis zur Jahrtausendwende wird das ISDN weit über 100 Milliarden Mark kosten), sondern auch die Gefahr, die neue Technik könnte zu einem äußerst wirksamen Überwachungsinstrument werden. Die Planungen der Post sehen vor, beim Übergang zum ISDN folgendes in wenigen regionalen Gebührenrechenzentren zusammenzuführen und dort erst 80 Tage nach Rechnungslegung zu löschen:
-Rufnummern der Anschlüsse, von denen Wählverbindungen aufgebaut werden;
-Rufnummern der Anschlüsse, zu denen Wählverbindungen aufgebaut werden;
-in Anspruch genommene Telekommunikations-Dienstleistungen (zum Beispiel Telefax-Dienst) und Dienstleistungsmerkmale (zum Beispiel Anruf-Weiterleitung) sowie
-Datum, Beginn oder Dauer und Ende der Verbindung.
In dieses Verfahren sollen die Daten aller Teilnehmeranschlüsse an digitalisierten Vermittlungsstellen einbezogen werden, also im Prinzip auch alle normalen Telefonteilnehmer, selbst wenn sie ihren Anschluß nicht aufs ISDN umschalten lassen. Die Postplanungen sehen nämlich die schrittweise Umstellung aller Telefonvermittlungsstellen vor. Dann werden in den Gebührenrechenzentren in bislang unbekanntem Umfang Dateien entstehen, mit deren Hilfe sich umfassende Kommunikationsprofile von einzelnen Teilnehmern und von Teilnehmergruppen gewinnen lassen. Diese Daten unterliegen einem hohen Mißbrauchsrisiko.
War bisher die Telefonüberwachung technisch aufwendig und zudem nur „zukunftsorientiert“ möglich (das heißt erst vom Zeitpunkt der Installation beziehungsweise Anschaltung der Überwachungsapparate) möglich, lassen sich durch Auswertung der Gebührendateien auch Kommunikationsbilder für die Vergangenheit gewinnen. Die Verbindungsdaten unterliegen zwar dem Fernmeldegeheimnis, dürfen aber kraft richterlicher Anordnung oder (bei Gefahr im Verzuge) auch auf Anordnung der Staatsanwaltschaft ausgewertet und übermittelt werden (Paragraph 12 des Fernmeldeanlagengesetzes).
Konkret: Würde die taz - etwa nach Abdruck eines „Bekennerschreibens“ - der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ verdächtigt, oder hätte sie zum kollektiven Beschädigen von Volkszählungsbögen aufgefordert, könnten Gerichte und Staatsanwaltschaften von der Post die Herausgabe aller gespeicherten Kommunikationsdaten der taz -Redaktion verlangen (einschließlich der Daten derjenigen, die in der Redaktion angerufen haben!). Ein anderes Beispiel: Telefonketten einer Bürgerinitiative, die zur Blockade eines Militärstützpunktes aufgerufen hat, ließen sich mühelos nachvollziehen.
Enthaltsamkeit
schützt vor ISDN
Nicht nur Gerichte und Staatsanwaltschaften könnten auf die gespeicherten Verbindungsdaten zugreifen, sondern auch Geheimdienste, und dies nicht nur in Berlin: Das sogenannte „G10-Gesetz“ gestattet unter bestimmten Umständen den Verfassungsschutzämtern und anderen Nachrichtendiensten die Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Auch sie werden sicherlich die neuen Angebote der Post dankbar annehmen.
Aber auch in betrieblichen ISDN-Anlagen fallen verstärkt Verbindungsdaten an, die beispielsweise mit betrieblichen Personaldateien verknüpft werden könnten: Die beim ISDN vorgesehene Übermittlung der Anrufer-Rufnummern könnte dazu mißbraucht werden, Leistung, Verhalten und Kommuniksationsbeziehungen der Arbeitnehmer einer noch umfassenderen Kontrolle zu unterziehen. So könnten diejenigen Personen identifiziert werden, die häufig mit der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat sprechen. Auch private Telefonate lassen sich selektieren, selbst wenn der Anruf von außen kommt. Folge: Wer zu häufig mit zu Hause telefoniert, fliegt.
Daß sich die SPD aus der Debatte übers ISDN weitgehend heraushält, kann wenig verwundern - sie trug die politische Verantwortung, als die Post die Weichen für das ISDN stellte. Verwunderlich und kaum verständlich erscheint aber, daß die Gewerkschaften, auch die Deutsche Postgewerkschaft, sich der Kritik an den ISDN-Plänen weitgehend enthalten. Schließlich werden es auch ihre Mitglieder sein, die die bedrohlichen Folgen dieser neuen Technik auszubaden haben, und zwar nicht nur im Hinblick auf die zusätzlichen Überwachungsmöglichkeiten, sondern auch deshalb, weil ISDN auch die Arbeitsbedingungen entscheidend verändern kann: Mit dem neuen Dienst wird elektronische Heimarbeit vereinfacht und verbilligt. Elektronische Kassensysteme im Einzelhandel können problemlos und kostengünstig vernetzt werden („POS Point of Sale“) usw.
Sofern die Post das ISDN wie geplant flächendeckend einführt, gibt es nur einen wirksamen Schutz vor der Überwachung: telekommunikative Enthaltsamkeit. Auch hierfür bietet das ISDN eine Sonderdienstleistung: „Eine Sperre für ankommende Gespräche sichert Ruhe vor dem Telefon.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen