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Aids-Meldepflicht an Schulen

■ Lehrkräfte an niedersächsischen Schulen müssen jetzt nach einer internen Anordnung des Kultusministers HIV-infizierte Schüler mit vollem Namen bei der Schulleiterin melden / „Heikles Thema“ Aids am offiziellen Erlaß vorbei gebracht

„Das ist bei Bekanntwerden ein sehr heikles Thema, deshalb haben wir es nicht in den offiziellen Aids-Erlaß aufgenommen“, bekannte der Pressesprecher des niedersächsischen Kultusministers gegenüber der taz. Zur Verschwiegenheit gibt es allen Grund. Denn ab sofort sind alle Lehrkräfte an niedersächsischen Schulen dazu verpflichtet, HIV-Infektionen von SchülerInnen, die sie von Eltern oder Betroffenen selbst vertraulich erfahren haben, mit vollem Namen an die SchulleiterInnen weiterzumelden. Von dort bekommt dann die vorgesetzte Schulbehörde Mitteilung über den Fall - dies allerdings, so ist es vorgesehen, „ohne Namensnennung“.

Weil das Thema so sensibel ist, wurde die ministerielle Anordnung zum Vertrauensbruch vorsichtshalber nicht in den Aids-Erlaß vom 5.7.88 aufgenommen, sondern als Protokollnotiz mit den Bezirksregierungen abgesprochen, die ihrerseits die SchulleiterInnen und diese wiederum die Lehrkräfte von ihrer neuen Denunzianten-Pflicht zu unterrichten haben. Das ist inzwischen geschehen.

„Es darf nicht sein, daß ein Lehrer etwas weiß, was der Schulleiter mit seiner Gesamtverantwortung nicht weiß“, begründete der Kultus-Pressesprecher gegenüber der taz die neue Meldepflicht. Der Vertrauensbruch spielt da keine Rolle: „Lehrer sind vor allem Amtspersonen.“ Bisher gibt es noch keine Handlungsanweisungen, was im Fall des Falles zu tun ist, aber: „Da ist die ganze Schule von betroffen, man muß gewappnet sein.“ Etwaige „Maßnahmen“

seien in jedem „Einzelfall“ zu klären.

„Wofür braucht der Schulleiter die Namen?“ fragt sich auch der niedersächsische Datenschutz-Beauftragte Tebarth. Weil ihm zur Begründung die Gesamtverantwortung des Schulleiters nicht reicht, wird er Anfang dieser Woche eine Anfrage nachschieben: Wozu der Schulleiter die Daten braucht, welche Maßnahmen er anordnen will und ob

die Weitermeldung an die Schulbehörde am Ende nicht doch Rückschlüsse auf die Personen zuläßt.

Widerstand gegen die unter der Hand eingeführte Aids -Meldepflicht an Schulen bildet sich inzwischen bei Schülervertretungen und Eltern. In einem offenen Brief an alle Gymnasien des Bezirks Lüneburg informiert Schülervertreterin Kim Siekmann von der SV eines Lilienthaler Gymna

siums über die „absolute Unverfrorenheit“. Die SchülerInnen überlegen schon, sich massenhaft aidskrank zu melden, um die Lehrkräfte auf die Probe zu stellen und das Problem öffentlich zu machen. „Wir brauchen dringend Unterstützung“, erklärte Kim Siekmann, „vielleicht gibt es ja Menschen mit Ideen, die uns helfen können.“

Weil der Kultusminister ausdrücklich erklärt hatte, daß von

den Infizierten „im Schulalltag kein Ansteckungsrisiko“ ausgehe, sehen die SchülerInnen keinen Grund für die Datensammlung. Auch für die Behörde sei die Zählerei sinnlos, und HIV-Positive würden für die Statistik ohnehin bei Tests anonym erfaßt. Die SchülerInnen befürchten klar: „Mit solch kleinen Schritten wird im Lauf der Zeit erreicht, daß eine HIV-Infektion meldepflichtig wird.“

Auch die Elternvertretung der gleichen Schule vermag nicht einzusehen, warum „eine so tiefgreifende Bestimmung einem angemessenen Rahmen von politischer Öffentlichkeit und Diskussion entzogen wird“, sorgt sich um den „auf Vertrauen angewiesenen Umgang mit HIV-Infizierten in der Schule“ und fordert die umgehende Rücknahme der Durchführungsbestimmungen. Susanne Paa

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