Paraguay: Für Kontinuität der Diktatur ist gesorgt

Neuer Interimspräsident in Paraguay war unter Stroessner zweiter Mann im Staat / Putsch soll Stroessner-Nachfolge regeln / Stroessner nach Chile abgeschoben? / Dialog über demokratische Lösungen ungewiß / Noch keine Stellungnahme von US-Regierung  ■  Von Gaby Weber

Montevideo (taz) - In Paraguay ließ sich der neue Machthaber General Andres Rodriguez noch am Freitag abend als Interimspräsident vereidigen und stellte sein neues Kabinett vor. Diesem gehören sieben Zivilisten - altgediente, zum Teil vor zwei Jahren ausgebootete Anhänger des gestürzten Diktators - sowie ein aktiver und ein pensionierter General an. Am Samstag hat das Regime „freie Präsidentschaftswahlen“ innerhalb der kommenden 90 Tage angekündigt. Dabei wurde offengelassen, ob sich die bisher verbotenen Oppositionsparteien an der Wahl beteiligen können.

Nach zehn Stunden Maschinengewehrgeknatter und Panzerlärm war am vergangenen Freitag in den frühen Morgenstunden der Staatsstreich gegen den deutschstämmigen Alfredo Stroessner zu Ende gegangen. Im Mai dieses Jahres hätte sein Regime den 35. Geburtstag gefeiert. Der 64jährige neue Präsident Oberkommandierender des Ersten Heereskorps, Besitzer einer Fluggesellschaft, einer Kupferdrahtfabrik und gleichzeitig unangefochtener Chef des paraguayischen Drogenschmuggels hatte Stroessner seit dessen Machtergreifung im Jahr 1954 treu gedient und galt lange Zeit als zweitmächtigster Mann Paraguays. Seine Tochter Marta hatte den jüngsten Sproß Stroessners, Hugo Alfredo, geheiratet. Und schon Stunden nach dem Putsch gegen seinen jahrzehntelangen Förderer und Freund stellte Rodriguez klar, daß seine Regierung für Kontinuität sorgen werde: Sein neuer Außenminister heißt Luis Maria Argana, bis vor kurzem Präsident des Obersten Gerichtshofs. Industrieminister wird Antonio Zuccolillo, Bruder des Herausgebers der verbotenen Tageszeitung 'ABC Color‘ und derzeitiger Botschafter in England. Im Landwirtschaftsministerium, wo über die Agrarreform entschieden wird, gibt es keinen personellen Wechsel. Minister ohne Geschäftsbereich wird der 87jährige Juan Ramon Chaves, bis vor anderthalb Jahren Chef der regierenden Colorados, dann von Stroessner kaltgestellt und seit Freitag nun wieder Parteichef.

Der Putsch fand wohl eher innerhalb der Colorado-Partei statt, ein Streit zwischen Brüdern. Die „Traditionalisten“ um Chaves, Argana und Rodriguez haben sich dafür gerächt, daß sie von den sogenannten „Militanten“ um Stroessner im August 1987 von allen Ämtern in Partei und Regierung entbunden worden waren. Als einziger wichtiger Militär der „Traditionalisten“ hatte allerdings Rodriguez die darauffolgenden „Säuberungen“ in der Armee überstanden und blieb Oberkommandierender des Ersten Heereskorps, das als einziges über Elitetruppen verfügt. Am letzten Donnerstag versuchte Stroessner offenbar, den mächtigen General in den Ruhestand zu versetzen, nachdem zuvor dessen lukratives Geldwechselbüro geschlossen worden war. Politische Unterschiede zwischen „Traditionalisten“ und „Militanten“ sind nur schwer auszumachen. Für die „Traditionalisten“ hat die Diktatur erst im August 1987 mit ihrem eigenen Rausschmiß begonnen. In Oppositionskreisen unterstellte man ihnen, daß sie einer politischen Öffnung in Richtung Demokratie nicht abgeneigt sein könnten. Doch waren die Differenzen wohl eher personeller Natur. Der Streit ging vor allem um die Nachfolge Stroessners. Die Zeit drängte: der dienstälteste Diktator der westlichen Welt war 76 Jahre alt geworden und hatte in den letzten Monaten sichtlich abgebaut. Statt wie üblich um fünf Uhr morgens war er erst Stunden später in seinem Büro erschienen, wo er wiederholt über seinen Büchern zur Kriegsgeschichte eingeschlafen war. Vor kurzem hatten die „Militanten“ einen Stroessner-Sohn zum Nachfolger erkoren, der wegen Homosexualität vielen Militärs als „unakzeptabel“ galt. Aus Mißtrauen gegenüber den Streitkräften begannen die Anhänger der Stroessner-Dynastie vor einem Jahr vorsorglich mit dem Aufbau eigener bewaffneter Milizen unter der Leitung der Partei. Anführer dieser Milizen war Justizminister Eugenio Jacquet, gleichzeitig Chef der Antikommunistischen Aktionsgruppe GAA. Die Milizen wurden von nationalchinesischen Spezialeinheiten der Polizei trainiert und mit modernen Maschinenpistolen israelischer Herkunft ausgerüstet. Jacquet hatte immer wieder öffentlich die Besorgnis geäußert, daß sich „in die Streitkräfte subversive Elemente eingeschlichen“ hätten. Sein Mißtrauen hat sich nun bewahrheitet. Bei den 340 Toten, die während der bewaffneten Auseinandersetzungen starben, soll es sich vor allem um Mitglieder der Parteimiliz und Stroessner-treue Polizisten gehandelt haben. Die Wohnung Jacquets wurde am Samstag von Soldaten durchsucht, die zahlreichen Dokumente beschlagnahmt. Im Haus seines Parteifreundes Ramon Aquino, der im November exkommuniziert worden war, weil er einen Bischof als „Kommunisten und Trunkenbold“ beschimpft hatte, stießen die Militärs auf ein Waffenlager.

Tausende Paraguayer feierten den Sturz des Tyrannen auf den Straßen. Es wurden Parolen laut, für die man früher im Gefängnis landete. In der Innenstadt wurden die übergroßen Stroessner-Porträts und Leuchtreklamen mit seinem Namen abmontiert. Die bürgerliche Oppositionsgruppe „Acuerdo Nacional“ zeigte sich über das Versprechen des neuen Präsidenten befriedigt, die Menschenrechte zu respektieren, das Verhältnis zur Kirche zu verbessern und die Meinungsfreiheit wiederherzustellen. Viele hoffen auf Freilassung der politischen Gefangenen und Aufhebung des Exils. Während der steinreiche Aldo Zucolillo, Verleger der bislang verbotenen Tageszeitung 'ABC Color‘ von einem „Ausbruch der Pressefreiheit“ spricht, sind die meisten Oppositionspolitiker vorsichtiger: „Eine Unterstützung muß davon abhängig gemacht werden“, so der Chef der sozialdemokratischen Febreristen, Euclides Acevedo, „ob die neue Regierung wirklich den Dialog eröffnet, um eine demokratische Lösung zu garantieren“.

Während Stroessner am Samstag auf den Weg nach Chile zu seinem Freund Pinochet geschickt worden sein soll, befinden sich etwa 50 seiner Anhänger in Haft, darunter sein Privatsekretär Benitez. Der frühere Innenminister Sabino Montanaro ist in die südafrikanische Botschaft geflohen und hat Asyl beantragt. Die Armee hat inzwischen den Grenzübergang nach Brasilien gesperrt, um die Flucht von Stroessner-Anhängern zu verhindern. Auf dem Flughafen in Santiago landeten in der Nacht zum Samstag zahlreiche kleine Privat- und Sportflugzeuge.

Mit Spannung wird in Asuncion ein offizielles Kommunique der US-Regierung erwartet. Denn Rodriguez ist nicht ihr Mann. Gegen ihn ist in den USA ein Verfahren wegen Drogenhandels anhängig. US-Regierungssprecher Fitzwater wollte sich weder zu der neuen Regierung noch zur strafrechtlichen Vergangenheit Rodriguez‘ äußern: „Wir prüfen die Situation und möchten im Moment keine Position beziehen.“

Jahrelang hatte sich die paraguayische Regierung als „den treusten Verbündeten der USA“ bezeichnet. Die US-Botschaft gegenüber der Stroessner-Residenz hat die Ausdehnung eines ganzen Stadtviertels. Hinter hohem Stacheldraht liegen die Kasernen für die Ranger, eigene Kulturzentren und Bürohäuser. Riesige Parabolspiegel vermitteln den Eindruck, als könne der gesamte Kontinent von dort aus abgehört werden. Der Putsch in Chile soll dort vorbereitet worden sein. Doch das Verhältnis hatte sich in den letzten fünf Jahren merklich abgekühlt; der US-Kongreß hatte die Wirtschafts- und Militärhilfe eingefroren, und US -Botschafter Clyde Taylor ging nicht nur bei den Oppositionspolitikern ein und aus, sondern nervte auch permanent wegen des ansteigenden Drogenhandels herum. Taylor war im vergangenen Jahr abberufen worden, aber auch sein Nachfolger ließ nicht von Versuchen ab, für Stroessner beizeiten einen zivilen Nachfolger zu suchen, allerdings weder unter den „Militanten“ noch unter den „Traditionalisten“.