piwik no script img

Werbung als Kulturereignis

■ Wenn Sie wissen wollen, was ein japanisches Ballett mit Technik zu tun hat: Schauen Sie doch mal in die einhundertundvierundsechzig Werbespots der „Cannes-Rolle 88“ rein

Bis auf den letzten Platz vollbesetzte Kinos gibt es in letzter Zeit wieder öfter in Bremen, aber an diesem Wochenende sind 3250 Besucher in die vier Vorstellungen der neuen Cannesrolle gekommen. Sie haben 16 Mark dafür bezahlt, und waren alle hinterher ziemlich fertig, denn einhundertundvierundsechzig Werbespots hintereinanderweg in zweieinhalb Stunden anzusehen, - davon die meisten in Fremdsprachen, ohne Erklärung und manchmal kaum zu entschlüsseln - ist neben all dem Spaß auch harte geistige Arbeit.

„Ein Großangriff auf Augen und Ohren“, so einer der Zuschauer. Jeder einzelne Spot ist ja so gedreht, daß er auch nach der zwanzigsten Aussendung im TV noch interessant sein soll, die Präsentation auf einer Filmrolle ist alles andere als ideal. Für viele im Publikum war diese Reizüberflutung sicher auch eine Pflichtübung: die Schülerschaft der Hochschule für Gestaltung war fast vollständig erschienen, und die Bremer Werbefritzen mußten ja auch gucken, was die Konkurenz so macht. Und dabei brauchten sie diesmal gar nicht mehr so neidisch nach England, USA und Japan, oder auch nur nach Düsseldorf zu schielen, denn in diesem Jahr haben tatsächlich auch Bremer einen „Goldenen Löwen“ abgekriegt: Ulrich Bock und Wolfgang Strauss für ihren Warnke-Eiscreme Spot im „Metropolis -Look“, der dann groß vor der Vorführung gefeiert wurde, aber in der Reihe zwischen den ande

ren Preisträgern macht er sich auch ganz gut.

Obwohl er schon fast wieder hinter dem Trend liegt, wie die meisten anderen Spots belegten. Bocks Spot ist purer Stil mit „beautiful people“ in einer Kohlenzeche, und die schicken, hübschen Menschen, die grandiosen Bilder, hochartifiziellen Einstellungen sind in den Hintergrund getreten, wie auch das Protzen mit teuern Autos, Häusern oder exotischen Landschaften.

Werbefilmästethik ist bei den prämierten Spots deutlich weniger geworden: gut erzählte Geschichten, witzige Pointen und das Unerwartete sind jetzt noch mehr vertreten als in den letzten Jahren; manchmal mit ganz begrenzten Mitteln realisiert, etwa bei der Fluggesellschaft, die in ihrem Spot ganz auf den Ton verzichtete, um mit dem gesparten Geld die Preise niedrig halten zu können. Die Geschichten passieren Durchschnittsmenschen, mit denen jeder sich identifizieren kann, und sie drehen sich oft um Alltäglichkeien wie die Arbeit, das Essen, usw. Der Milchmann bringt morgens den Wiskey an die Tür, oder jemand zapft an einer Tanksäule, von einem bissigen Hund bewacht. Viele Hunde gabs zu sehen und überhaupt Tiere; die alte Weisheit „Mit Tieren und Kindern kann man alles verkaufen“ scheint eine Konstante der Werbung geblieben zu sein.

Auch die Kulte sind nicht mehr so in, wie noch im letzten Jahr. Kaum noch Anspielungen auf Filme, Stars oder den Mythos

Amerika. Einmal taucht noch Marylin Monroe auf, aber jetzt sind die Werbefilmer so selbstbewußt, daß sie Spots machen, die vom Wissen des Publikums um andere Werbefilme ausgeht. Eine Jeanswerbung konnte man nur verstehen, wenn man eine andere schon gesehen hatte.

Wer sich die Werbefilme in anderen Ländern anschaut, erfährt viel über die Mentalität der Bewohner, und bei der Cannes-Rolle bekommt man da viel Anschaungsmaterial vorgesetzt. Allerdings gibt es eine zunehmende Nivellierung: der englischen Humor hat sich weltweit durchgesetzt, die Spanier sind offensichtlich ganz wild auf Lotterien, und nur in japanischen Werbespots wird die Technik in solchen Kontrasten gezeigt, daß ein klassisches Ballett die Vorzüge des schnurlosen Bügeleisens belegt, und Affen den neusten Walkman tragen oder auf einem High-tec-Klosett sitzen.

Wie Schläge in die Magengrube wirkten daneben die Spots gegen Aids, Drogen oder Alkohol am Steuer, die manchmal hart an der Grenze des Erträglichen lagen. Da lassen die Macher ihren manipulativen Talenten vollends freien Lauf, den hier heiligt der Zweck die Mittel. Als auch der unsägliche, deutsche „Das ist ein Hamburger und wer ist das?„-Spot lief, waren einige Buh-Rufe zu hören, aber sonst bekamen viele Filme Beifall. Es war wie bei einer Premiere im Theater oder Kino: Werbung als Kulturereignis.

Wilfried Hippen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen