Grüne SozialistInnen zaudern vor Ausbruch '89

Linke Grüne versammelten sich am Wochenende in Bonn zum Ratschlag / Differenzen zwischen Radikalökologen und Ökosozialisten gegenüber den Undogmatischen werden größer / Undogmatische wollen weiter wichtige grüne Machtpositionen besetzen  ■  Von Charlotte Wiedemann

Bonn (taz) - War das nun das Ende einer Ära, der Grabgesang auf die Grünen als linke Hoffnungsträger? Oder war es wieder einmal nur ein links-grüner Palaver, wo den radikalen Posen keine Taten folgen? Als die TeilnehmerInnen des bundesweiten „Linkentreffens“ am Sonntag das Dottendorfer Ortszentrum am Bonner Stadtrand verließen, stand auf den meisten Gesichtern Ratlosigkeit und Enttäuschung - und nur bei einigen vom „undogmatischen“ Flügel auch ein wenig Schadenfreude, weil sie sich vom gemeinsamen Ratschlag mit Ökosozialisten und Radikalökologen ohnehin wenig versprochen hatten.

Unter den roten Faschingsherzen, die wie zum Hohn von der Decke des Saals baumelten, wurden an diesem Wochenende die Differenzen zwischen den Undogmatischen einerseits und den Radikalökologen und Ökosozialisten andererseits tiefer. Während zumindest Teile der Undomatischen nun mit der Berliner AL einen „neuen Traum einer grünen Partei“ verwirklichen und die rot-grüne Option „links besetzen“ wollen, rücken Teile der Ökosozialisten von der grünen Partei ab, bauen verstärkt auf außer-grüne linke Zusammenhänge. Dieser Prozeß ist in beiden Strömungen allerdings noch im Gärungsstadium, und manche fühlen sich wie die Abgeordnete Verena Krieger zwischen allen Stühlen sitzend. Die Undogmatischen beraten in vierzehn Tagen auf einem erneuten Treffen in Bonn unter sich. An diesem Wochenende vermischte sich der Streit um die sogenannte Berliner „Koalitionsbesoffenheit“, die „zum Kater der ganzen Linken“ führen könnte (Jutta Ditfurth), mit den unterschiedlichen Gesamteinschätzungen über die Entwicklung der Grünen Partei in den vergangenen zehn Jahren.

Der Verzicht des Ökosozialisten Rainer Trampert auf eine Vorstandskandidatur (siehe Erklärung in der taz von gestern) war in dieser Situation vor allem ein Test, wie das Abrücken von den Grünen in den eigenen Reihen aufgenommen wird. Und Trampert mußte die Erfahrung machen, daß man mit einer Entscheidung sehr spät kommen kann - und doch zu früh. Seit geraumer Zeit wird von dem Duo Trampert/Ebermann erwartet, daß sie ihrem hoffnungsvollen Buch Die Zukunft der Grünen einen zweiten Band folgen lassen - nämlich die Analyse, warum ihr „realistisches Konzept für eine radikale Partei“, so der damalige Untertitel, nicht aufgegangen ist, sondern als linker Abwehrkampf gegen den realpolitischen Zeitgeist auf dem Parteitag in Karlsruhe ein schmähliches Ende fand. Trampert, der lange in einer politischen Versenkung verschwunden war, kam nach Bonn nun nicht mit einem Buch, sondern mit einer dünnen vierseitigen Erklärung und nahm sozusagen die Konsequenz der Analyse vorweg. Das stieß im eigenen Lager auf Unwillen. „Mir geht das so zu schnell“, widersetzte sich eine schleswig-holsteinische Mitstreiterin. Andere warfen ihm Inkonsequenz vor: Austritt der Linken oder Kampf um die Partei sei die Alternative, aber nicht „Drinbleiben und die Partei rechts liegen lassen“, so formulierte es Martha Rosenkranz, die als Feministin nun für den neuen Vorstand kandidiert. „Trampert hat ein Signal gesetzt, ohne zu sagen, was wir jetzt machen sollen“, schimpfte die Hamburgerin Gaby Gottwalt über derartige „Effekthascherei“.

Eine Stecknadel hätte man im Dottendorfer Ortszentrum fallen hören können, als Thomas Ebermann zur selbstkritischen Vergangenheitsbewältigung ansetzte: Er bezichtigte sich der „unhaltbaren Beschönigung dessen, was mit der grünen Partei möglich ist“, er sei mitverantwortlich gewesen für die „Verparlamentarisierung“, habe doch auch er „ernsthafte“ parlamentarische Arbeit gepredigt, statt „Infos abzocken und den Laden aufmischen“. Die erhoffte Radikalisierung gesellschaftlicher Potentiale, wie nach Tschernobyl, sei nicht eingetreten, und nun stehe man als Linker bei den Grünen da in der lächerlichen Pose, die bei den linken Sozialdemokraten früher goutiert wurde: Man müsse sich andauernd von der eigenen Partei distanzieren und um Rücksichtnahme auf interne Taktierereien bitten.

Doch die Alternative, die Ebermann anzubieten hatte, war vielen zu verschwommen: Neue Gemeinsamkeiten zu suchen mit „politisch bewußten Teilen der Autonomen“, „radikal gebliebenen Bürgerinitiativen“, mit den Unzufriedenen in der DKP, mit dem Kommunistischen Bund und linken Gewerkschaften. Eine erste Konferenz dieses Spektrums solle im Herbst stattfinden, schlägt Ebermann vor. Doch spürte er selbst, daß da noch lange keine Alternative absehbar ist, die an der links-grünen Basis neue Aufbruchstimmung auslösen könnte. Seine vollmundige Zuspitzung des Trampert-Verzichts - „Diese Partei ist zu schlecht für gute Sprecher“ - nahm Ebermann darum am zweiten Tag zurück: Hatte er doch damit alle anderen Linken, die es - wie die Frankfurter Radikalökologin Manon Tuckfeldt und den „Undogmatischen“ Jürgen Reents weiter an die Schalthebel grüner Macht drängt, zu Idioten gestempelt. Gemäßigter warb Ebermann nun um „doppelte Loyalität“ mit linker Politik innerhalb und außerhalb der Grünen - und vermied damit nur knapp den Ausdruck „Doppelstrategie“: Der erinnert zu sehr an das Schicksal der Jusos - und grüne Jusos, das will man doch nicht werden.

Ende einer Ära oder radikale Pose - die Frage wird nur durch die Konsequenzen beantwortet werden, die dem Bonner Ratschlag folgen. Wer Tramperts Erklärung genau liest, findet auffällig häufig die Formulierung „zur Zeit“. Am Ausgang des Dottendorfer Ortszentrums fand jemand den vielleicht passendsten Begriff: „Das ist erstmal ein Moratorium.“

Klarstellung: Betr.: „Ranglistenturnier der grünen Linken“ vom 3.2.'89. Harald Wolfs Aussage zur Sprecher-Wahl der Grünen, die Konstellation Ralf Fücks gegen Rainer Trampert sei eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“, bezieht sich nicht auf die beiden Personen, sondern auf die politischen Konstellationen, die sich hinter den Kandidaturen verbergen. Harald Wolf legt Wert auf die Feststellung, daß er dieses Bild ungeachtet dessen für verunglückt hält.