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Nürnberger Neuheiten und Nürnberger Tand

Spielwarenmesse feiert 40. Jubiläum / Mehr Ausstelleranträge als verfügbare Fläche / Binnenmarkt bietet düstere Perspektive für kleinere Spielwarenproduzenten  ■  Aus Berlin Peter Huth

Weihnachten '88 wurde gefeiert, Silvester '88 wurde gefeiert, und die kommerzielle Vorbereitung auf das Weihnachtsfest 1989 ist den Organisatoren ebenfalls eine Feier wert. Auf die Frage, was denn an der Zahl 40 ein Jubiläum wäre, war die Antwort, man feiere in Nürnberg alle fünf Jahre ein kleines, alle zehn Jahre ein größeres Jubiläum. Na dann, prost!

Mehr Aussteller als je zuvor haben sich zur morgen beginnenden Jubiläumsveranstaltung, der 40. Internationalen Spielwarenmesse mit Fachmesse Modellbau, Hobby und Basteln in Nürnberg, angemeldet. Die nach wie vor größte Spielwarenmesse der Welt wird vom 9. bis 15. Februar 1.952 Aussteller beherbergen, von denen 870 aus dem Ausland kommen. Die Messeleitung registrierte Anmeldungen aus insgesamt 41 Ländern.

Zahlenspiele

In den letzten zwei Monaten des vergangenen Jahres stieg der Spielwarenmarkt der Bundesrepublik auf ein Volumen von 3,6 Milliarden Mark. Eine stolze Summe, aber kein Wunder, denn 80 Prozent der Bundesbürger schenken zu Weihnachten in jedem Fall Spielzeug. Rund 65 Prozent ihres Jahresumsatzes erzielen Spielwarengeschäfte in der Vorweihnachtszeit. Allerdings vermißte ein Sprecher des nach eigenen Angaben größten hessischen Spielwarengeschäftes in Gießen einen ausgesprochenen Schlager beziehungsweise einen speziellen Warentrend. Andererseits gehe aber der Kauf von Taschen -Videospielen kontinuierlich zurück. Statt dessen zeichne sich eine Hinwendung der Käufer zu sinnvollen wie auch zu höherwertigen und langlebigen, damit auch kostspieligen Spielen ab. 'Spiel + Freizeit‘, ein Info-Blättchen der Informationsgemeinschaft Münz-Spiel, entdeckte dann doch den heimlichen Renner der letzten Saison, eine stärkere Nachfrage nach computergesteuertem Spielzeug, dessen Hit die digitalisierte elektrische Eisenbahn war. Man darf gespannt sein, was die Spielzeugindustrie sich dieses Jahr hat einfallen lassen, um auf die rund 30.000 Artikel, zwischen denen die Kunden im letzten Jahr in großen Spielzeuggeschäften und -abteilungen der Kaufhäuser die Qual der Wahl hatten, noch einiges draufzusetzen und den Aufwärtstrend zu bestätigen.

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Das Liebesspiel scheint sich wieder ergiebiger zu gestalten. Folgt man dem Ergebnis einer Marktstudie, die gemeinsam von der Nürnberger Marktforschung GfK und der Arbeitsgemeinschaft Spielzeug e.V., ein freiwilliger Zusammenschluß von Spieleherstellern, Handel und Wissenschaftlern zwecks nichtkommerzieller Förderung des „Spiels“, durchgeführt wurde, darf die Spielzeugbranche wieder mit etwas mehr Optimismus in die Zukunft blicken. Die Studie prognostiziert bis zum Jahr 2000 einen Rückgang des Kundenpotentials der Spielwarenindustrie um lediglich fünf Prozent. Gemeint ist damit, daß die jahrelang rückläufige Geburtenentwicklung sich weitgehend stabilisiert hat. Von 1970 bis 1987 hatte sich die Gesamtzahl der Kinder um fast 35 Prozent auf 9,62 Millionen verringert. Zum Glück für die Spielwarenbranche stieg parallel zum Rückgang der Kinderzahlen die Bereitschaft der Eltern, mehr Geld für Spielzeug auszugeben. 1976 wurden 185 Mark pro Jahr und Haushalt für Spielzeug ausgegeben. 1988 waren es bereits 241 Mark. Gleichzeitig wuchs die Kaufkraft der Kinder selbst. Derzeit verfügen die Sechs- bis 15jährigen durch Taschengeld, Geldgeschenke, Zusatzverdienste und Belohnungsgelder durchscnittlich über 37,80 Mark im Monat, wovon rund ein Zehntel für Spielwaren ausgegeben wird. Geld, das der Spielzeugbranche bei den 13- bis 15jährigen verlorengeht, weil sich dort die Konkurrenz der audiovisuellen Medien bemerkbar macht.

Dafür zeigt sich ein finanzstarker Kunde am Spielwarenhorizont, der Erwachsene, der einen immer größeren Anteil seiner Freizeit mit Spielen verbringt. Bei den Brettspielen hat das Familienspiel schon einige Zeit einen großen Stellenwert. Was einst als Kinderkram galt, wird heute begeistert gesammelt. Da werden für erwachsene Bastler Bausätze für Puppenhäuser, Puppenmöbel und Zubehör angeboten. Schneekugeln werden nicht mehr nur mit Märchenfiguren oder Touristikattraktionen, sondern zwecks Glasnost mit dem Konterfei von Gorbatschow bestückt.

Den Spieltrieb

an den Mann bringen

Die Arbeitsgemeinschaft Spielzeug e.V. arbeitet mit Wissenschaftlern und Pädagogen bei der Entwicklung von Spielmitteln zusammen. Sie kümmert sich um Bereiche wie die Stiftung Warentest und entwickelt um das Spielen herum interessante Ideen. So entstand die Aktionsgemeinschaft „Mehr Zeit für Kinder“, finanziert durch Spielwarenfirmen, beschirmt von Frau Süssmuth. Ausgehend von der Tatsache, daß in weiten gesellschaftlichen Bereichen Eltern immer weniger Zeit für ihre Kinder aufwenden, will die Aktionsgemeinschaft über das Spiel diesen negativen Trend umkehren. Allmonatlich kann man anregende und lustige Spieletips beziehen, die auf Jahreszeit, Feiertage, auf Alltag und Urlaub abgestimmt sind. Zusätzlich wird ein Zirkus durch die Lande geschickt, bei dem, betreut von Pädagogen, „Nachwuchsartisten“ Zirkusluft schnuppern können. Bei den Kindertagen der Bundesbahn wird die Aktionsgemeinschaft nicht fehlen und ihr Spiel- und Mitmachprogramm präsentieren.

Spielwiese Binnenmarkt

Daß es sich beim Spielen um handfesten Kommerz handelt, wird gleich wieder klar, wenn man sich mit Werner Nostheide, 'Branchenbrief'-Herausgeber und in Personalunion Spielzeug e.V.-Verantwortlicher, über die Perspektiven der bundesdeutschen Spielzeugindustrie für 1992 unterhält. Er sieht die gleiche Entwicklung zu Fusion, Kooperation und Expansion, wie sie in anderen Industriezweigen bereits stattgefunden hat, lediglich durch die Struktur - 98 Prozent der Betriebe sind Familienunternehmen - verzögert. Nur Firmen mit europäischer Angebotspalette und über die Grenzen gehendem Marketing werden als bedeutende Lieferanten bestehen können. Als Beispiel für internationales Auftreten nennt Werner Nostheide die Ravensburger mit einem Auslandsumsatzanteil von fast 50 Prozent. Der Verlag arbeitet mit fünf Tochtergesellschaften, von denen die französische mit gut 100 Millionen Francs fast schon ein Drittel so groß ist wie der Ravensburger Spieleverlag in der Bundesrepublik.

Sowohl für die kleinen Spielwarenproduzenten als auch die kleinen Spielwarenläden sieht er kaum eine Überlebensperspektive. Dazu kommt noch der harte Konkurrenzdruck aus Ostasien und den USA. Die einzige Chance, um nach 1992 auf der Gewinnerseite zu stehen, liegt nach Nostheide in der Spezialisierung von Produktion und Angebot.

Ein Gewinner dieser Messe steht jetzt schon fest: das Dienstleistungsgewerbe im Großraum Nürnberg. Es wird geschätzt, daß die rund 40.000 erwarteten Fachbesucher - die Messe ist nach wie vor nicht für das breite Publikum zugänglich - rund 100 Millionen Mark während und nach der Messe ausgeben werden.

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