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Durch die Pässe „erheblich gefährdet“

Die Abschiebungen libanesischer und palästinensischer Flüchtlinge nach Beirut sorgen seit Jahren für einen Dauerkonflikt zwischen dem Berliner Innensenat auf der einen Seite und Flüchtlingsgruppen, Oppositionsparteien sowie Kirchen auf der anderen.

Rund 4.000, inzwischen meist abgelehnte Asylbewerber leben derzeit mit einer aufenthaltsrechtlichen Duldung in der Mauerstadt. Bis 1986 konnten sie sicher sein, nicht in den nach wie vor anhaltenden Bürgerkrieg im Libanon abgeschoben zu werden. Nachdem Berlins Innensenator Kewenig jedoch 1986 bei einem Blitzbesuch in Beirut zu der Einschätzung gekommen war, der Libanon sei ein sonniges Mittelmeerland wie jedes andere, wurde der generelle Abschiebestop aufgehoben. Ein Jahr lang mußten die Flüchtlinge daraufhin ständige Wechselbäder über sich ergehen lassen: mal wurde in großem Umfang abgeschoben, mal wurde der Abschiebestop kurzfristig wieder in Kraft gesetzt, weil Feuergefechte am Beiruter Flughafen des Innensenators Bild vom beschaulichen Libanon korrigierten.

In dieser Situation rief eine von der AL, Flüchtlingsinitiativen und kirchlichen Gruppen getragene „Aktion Fluchtburg“ zum Handeln auf. Von der Abschiebung bedrohte Flüchtlinge aus dem Libanon fanden Unterschlupf in Privatwohnungen, erhielten in Kirchengemeinden Asyl, und am Berliner Flughafen Tegel versuchten Flüchtlingsgruppen, die Abschiebungen mit einer Straßenblockade zu verhindern.

Unter diesem öffentlichen Druck entschied sich der Innensenat dann im September 1987, das leidige Kapitel mit einem Zugeständnis zu beenden: Sofern sie vor 1981 eingereist waren, sollten Flüchtlinge aus dem Libanon eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Für die große Mehrheit der Flüchtlinge löste diese sogenannte „Altfallregelung“ tatsächlich das Problem. Doch einige fielen durch das Raster dieses „Gnadenaktes“: all diejenigen, die ohne Familienangehörige und Kinder nach 1981 eingereist waren.

Ausgenommen vom Abschiebestopp sollten auch die rund 300 Straftäter sein, für die sich die Ausländerbehörde dann auf dunklen Wegen um Pässe bemüht hat. Daß man sie nach Verbüßung ihrer Haftstrafe häufig nicht abschieben konnte, weil sie als staatenlose Kurden oder Palästinenser keinen Paß hatten oder ihren Ausweis wohlweislich hatten verschwinden lassen, war der Ausländerbehörde schon lange ein Dorn im Auge.

Der Weg, den man dort jetzt mit der Paßbeschaffung über die „Liste G“ (siehe Artikel oben) gefunden hat, ist jedoch nicht nur äußerst anrüchig. Er ist für die Betroffenen auch gefährlich. Da die Pässe in ihrem Aussehen nicht völlig identisch mit dem „Laissez-passer“ libanesischer Behörden sind, setzen sich die Flüchtlinge bei der Kontrolle durch die von Syrien unterstützten Amal-Milizen dem Verdacht der Paßfälschung aus. Dieser Verdacht wird noch dadurch verstärkt, daß in einigen der Berliner „Laissez-passer“ auch im Libanon unübliche Bezeichnungen zur Staatsangehörigkeit gemacht werden (zum Beispiel „non libanais“ für Staatenlose).

Das gravierendste Gefährdungsmoment dürften jedoch Meldungen sein, die im vergangenen Herbst in den libanesischen Zeitungen zu lesen waren. Unter der Regierung des im letzten Herbst abgetretenen Staatspräsidenten Gemayel, so hieß es dort, seien diverse Blankoreisedokumente abhanden gekommen. Diese seien „ausländischen interessierten Kreisen“ zur Verfügung gestellt worden. Gemayel selber soll etliche dieser Blankopässe in Tunis der PLO zur illegalen Einreise in den Libanon übergeben haben. Die Tatsache, daß man sie als PLO-Mitglieder verdächtigen könnte, argumentieren jetzt Berliner AnwältInnen, setze ihre Mandanten „einer erheblichen Gefährdung“ durch die mit der PLO verfeindeten Amal-Milizen aus. Nicht nur die AnwältInnen fordern deshalb, daß ihre Mandanten deshalb bis zur endgültigen Klärung der dubiosen Herkunft der Pässe nicht abgeschoben werden.

Auch der SPD-Abgeordnete Barthel hat jetzt in einem Brief an Innensenator Kewenig einen Stop der Abschiebungen gefordert, zumindest solange bis der Verdacht der Paßfälschung oder -manipulation nicht ausgeräumt ist. Aufgrund der Intervention von Anwälten und evangelischer Kirche konnte vergangene Woche die Abschiebung zweier Flüchtlinge, die mit dem dubiosen Paß ausgestattet waren, beim Zwischenstop auf dem Frankfurter Flughafen vorläufig verhindert werden.

Anfang März wird sich nun die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg auf Antrag verschiedener Rechtsanwälte mit den umstrittenen Pässen beschäftigen müssen. Dann jedoch, so hoffen viele in Berlin, könnte sich das Problem ohnehin bald erledigt haben. Denn wenn es in Berlin zu einer rot-grünen Koalition komme, sei das Thema Abschiebungen in den Libanon doch wohl ohnehin gelöst - durch einen gerellen Abschiebestopp, meint eine Mitarbeiterin der Aktion Fluchtburg.

Und dann wird man vielleicht auch endlich erfahren, woher sie wirklich stammten, die Pässe der geheimnisvollen „Liste G.“

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