: Unter uns Zensuropfern
■ betr.: Uta Stolles Bericht über die Veranstaltung „Literatur unter Druck“ vom 1.2.1989
Da muß Uta Stolle einem Black-out erlegen sein, als sie, meinen Vortrag referierend, folgendes zu Papier brachte:
„Beide Paragraphen (129a Bildung einer kriminellen Vereinigung und 130a Volksverhetzung) werden praktisch kaum, und wenn, oft liberal angewandt, und Goessner weiß das.“
Das ist mir nun allerdings vollkommen neu - und es stimmt auchh schlichtweg nicht.
Zum einen betrifft § 129a StGB nicht „kriminelle“, sondern „terroristische Vereinigungen“ und § 130a nicht „Volksverhetzung“, sondern „Anleitung zu Straftaten“.
Zum anderen habe ich meines Erachtens deutlich ausgeführt, daß diese weitgefaßten Strafvorschriften - insbesondere 129a - sehr wohl umfassend genutzt werden, um Ermittlungsverfahren gegen Verdächtige - zu einem erheblichen Teil auch nur wegen unliebsamer Meinungsäußerungen - einzuleiten. Dabei habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen,
-daß es den Ermittlungsbehörden nicht so sehr darum geht, ob nun das einzelne Ermittlungsverfahren auch zu einer Verurteilung führt („die Gerichte urteilen da durchaus uneinheitlich“),
-sondern daß es vielmehr darum geht, „mit dem Terrorimusverdacht über § 129a als Kristallisationskern ein einzigartiges Sonderrechtssystem zu aktivieren, um mit diesen Sonderrechtsbefugnissen in die anvisierten, politisch verdächtigen Szenen einbrechen, im großen Stil Kommunikationsstrukturen knacken und Soziogramme des Widerstands erstellen zu können.“
Diese umfangreichen staatlichen Ausforschungs-und Verfolgungsaktionen - von der Beschlagnahme über Telefonabhöraktionen, Observationen bis hin zu Verhaftungen
-stehen also in der Mehrzahl der Fälle in keinem Verhältnis zum prozessualen Endergebnis, aber sie zeitigen dennoch gravierende Wirkungen auf die Betroffenen, aber auch auf die politische Kultur in diesem Lande. Ist das nun liberal?
Rolf Gössner
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