: Wider die Unfähigkeit zu trauern
■ Erinnerungsarbeit mit Ralph Giordano in der Stephanigemeinde
Am Samstag, den 11.2. finden in der Stephani-Gemeinde, Faulenstraße 108 zwei Veranstaltungen mit dem Publizisten Ralph Giordano statt. Das Seminar „Der Völkermord an den Armeniern und die Judenvernichtung im Dritten Reich“ (9-17 Uhr) und der Vortrag „Die zweite Schuld“ (18 Uhr). Interessenten können sich beim Bildungswerk der Katholiken (Tel. 3630568) bis Freitagvormittag anmelden.
Die Verfolgung und die Folterung durch die Nazis haben ihn kapitulationsunfähig gemacht. Unter allen Bedingungen, unter allen Umständen wehrt er sich gegen den Faschismus. Und Giordano fragt hartnäckig: Wie kam es zu der Massenverfolgung und -vernichtung? Wer waren die Verfolger, und wer half ihnen dabei? Vor allem aber: Was geschah mit den Verfolgern, mit den Tätern danach? Mit seinen Antwortversuchen auf die Versäumnisse und Verlegenheiten der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft hat sich Giordano als Schriftsteller und Publizist nicht beliebt gemacht.
Ralph Giordano wurde am 23. März 1923 in Hamburg geboren. Seine Mutter, Lilly Giordano, war Jüdin, die Familie fiel daher in Hitlerdeutschland unter die nationalsozialistischen Rassengesetze. Der Vater, Alfons Giordano, war Musiker und erhielt Berufsverbot. 1940 mußte Ralph Giordano die Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg-Winterhude wegen „zersetzender Tätigkeit“ nach Folterverhör durch die Gestapo verlassen. Ende Juli 1943, in Hamburg ausgebombt, entkam die Fanilie in ein kleines Dorf in Mitteldeutschland. Von ortsansäßigen Nazis denunziert, wurde die Familie im Mai 1944 nach Hamburg zurückbeordert, wo Giordano mit seinen Eltern und seinen Brüdern Zwangsarbeit leisten mußte. Im August 1944 nachdem er noch einmal gefoltert worden war, ging Giordano mit seiner Familie in die Illegalität.
Weil er dachte, die Feinde seiner Feinde müßten naturgemäß seine Freunde sein - also die nach den Juden von den Nationalsozialisten am meisten gehaßten und verfolgten Kommunisten - , trat Giordano 1946 in Hamburg der KPD bei. 1957 verließ er sie wieder, nachdem er die Lüge als Lüge, die Unmenschlichkeit als Unmenschlichkeit erkannt hatte. In seiner 1961 erschienen Anatomie des Stalinismus „Die Partei hat immer recht“ schilderte Giordano, wie es der autoritären Kaderpartei leninistisch-stalinistischer Prägung gelang, Menschen zu gewinnen, sie politisch auszubeuten und wie sie solche Menschen durch die inneren Widersprüche zwischen Propaganda und Wirklichkeit wieder verlor.
Zwischen 1961 und 1988 arbeitete Giordano als Fernsehjournalist und beschäftigte sich vor allem mit dem Nationalsozialmus und politischen und sozialen Probleme. 1982 erschien seine Familiensaga „Die Bertinis“, ein autobiographischer Roman vor allem über die Zeit von 1933 bis 1945, der ein großer internationaler Erfolg wurde und im November 1988 vom ZDF als fünfteiliger Fernsehfilm ausgestrahlt wurde.
1986 strahlte die ARD seinen Dokumentarfilm „Die armenische Frage existiert nicht mehr“ aus, der die Tragödie eines Volkes rekonstruiert, das durch von den Jungtürken verübte (und von den deutschen Militärbehörden mitvertuschte) Massaker (1915/16) über eine Million Opfer zu beklagen hat. Eine Tragödie, über deren Bewertung es in Bremen bereits zweimal zu Konflikten gekommen ist. Im April 1985 verbot Senator Horst-Werner Franke die Auslieferung einer bereits gedruckten Broschüre der Landeszentrale für politische Bildung. Und im Oktober 1986 hängte der Leiter des Bremer Staatsarchivs anläßlich einer Ausstellung zum 100. Geburtstag von Armin T. Wegner eigenhändig Plakate ab, mit denen auf das Engagement Wegners zur Aufklärung über den Völkermord an den Armeniern und die deutsche Mitschuld hingewiesen werden sollte.
Martin Rooney
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