: Übersinnliche telefonische Kräfte
■ Um Berliner Schauspieler wiederzusehen, schickte Schweizer Pianistin über 100.000 Mark an Bremer Hellseher / Als Zeugin vor dem Bremer Amtsgericht: „Ich bin total normal“ / War die telefonisch bestellte Telepathie womöglich erfolgreich?
„So möchte ich auch 'mal verliebt sein, daß ich dafür über 100.000 Mark verschenke“, seufzt Staatsanwältin Uhlig van Buren in einer Prozeßpause. Doch auch die Schweizer Pianistin und Hausfrau Eva E. sieht nicht wie eine Traumtänzerin aus. Um so unglaublicher klingt, was sie gestern als Zeugin am zweiten Verhandlungstag im Prozeß gegen den Bremer Hellseher Dieter P. (vgl. taz vom 2.2.) berichtet.
Innerhalb von zwölf Tagen im März vergangenen Jahres hat die Schweizerin insgesamt 95.291 Franken (über 110.000 Mark) an den Bremer überwiesen, von dem sie nichts weiter kannte, als eine Kleinanzeige in der esoterischen Zeitschrift „Neues Zeitalter“ und seine Stimme am Telefon. „Ich bin total normal, ich würde so etwas nie machen“, bestätigt Eva E. vor Gericht, daß sie auch selber
nicht fassen kann, was damals passierte, „ich hab das gemacht, weil ich nicht mehr ich selbst war; ich hatte meinen Willen verloren“.
Angefangen hatte die Geschichte zu Hause vor dem Fernseher. In den Berliner Filmschauspieler B. habe sie sich „irgendwie verknallt“, erinnert sich die Zeugin. (Seinen vollen Namen erfuhr das Gericht nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit.) Ein kurzer Briefwechsel führte zu einem Rendezvous im November 1987 in Zürich: „Wir waren dann die ganze Nacht zusammen. Aber als wir uns am nächsten Tag wieder getrennt haben, wußte ich, er hat wohl kein großes Interesse an mir.“ Vier Monate später sieht Eva E. den Schauspieler wieder allerdings wiederum nur im Fernsehen. Doch die Begegnung wühlt sie auf, noch am gleichen
Abend verlangt sie am Kiosk nach einer Zeitschrift mit Annoncen für telepathische Partnerzusammenführung.
Warum sie denn nicht versucht habe, zunächst „einen normalen Kontakt - zum Beispiel per Brief oder Telefon - mit dem Schauspieler aufzunehmen“, will Richter Hoffmann wissen. Doch Eva E. konnte an ein zweites Zusammentreffen mit dem Schauspieler nur glauben, wenn übersinnliche Kräfte ins Spiel kämen. Sie meldete sich telefonisch bei Dieter P., der als „Kartenleger, Hellseher, Fernheiler“ Partnerzusammenführung „auch in schwierigen Fällen“ versprach. „Seine Stimme hat mich beruhigt, ich habe mich plötzlich wohl gefühlt“, berichtet Eva E. dem Gericht. Auch ihren Mann und die Ehefrau des Schauspielers könne er telepathisch beiseite schaffen, habe der Hellseher versprochen. Nur Geld benötige er dafür - und zwar sofort per telegraphischer Postanweisung. „Telegraphie gleich Telepathie“ sei Dieter P.s Motto gewesen.
Tatsächlich wies Eva E. in den darauffolgenden Tagen größere
Summen an, um die telepathische Partnerzusammenführung zu unterstützen - zunächst 850 Franken, dann 2.000, am achten Tag bereits 10.000, schließlich 20.000 Franken pro Tag. „Ich wurde irgendwie hypnotisiert“ meint Eva E. heute, „ich habe dem Mann alles geglaubt“. Am elften Tag, einem Sonntag, spitzte sich die Situation zu. „Montag wird der wichtigste Tag ihres Lebens“, habe P. ihr am Telefon versichert. Im teuersten Züricher Hotel werde der Schauspieler B. mit Rosen auf sie warten. Dessen Frau sei bereits abgefunden, ihr eigener Mann werde sich in sein Schicksal fügen, habe P. telefonisch geweissagt. Doch als allererstes müsse sie am wichtigsten Tag ihres Lebens zur Bank gehen, ihr restliches Vermögen abheben und telegrafisch nach Bremen anweisen. Gut 50.000 Franken gingen so noch einmal auf die Reise.
„Ich mußte nur noch nach Hause, die Koffer packen und den Zug nach Zürich nehmen“, doch dann kam Eva E. im Bahnhofscafe von Winterthur die plötzliche Ernüchterung. Nach „eini
gen Tassen Kaffee“ sei es ihr „wie Schuppen von den Augen gefallen“. Sie sei nach Hause geeilt, habe ihrem ahnungslosen Mann alles berichtet, sei in der Wohnung gestürzt und mit Gehirnerschütterung ins Kantonspital eingeliert worden. Erst Tage später sei ihr die Erinnerung wiedergekommen. Und nun wolle sie auch ihr in Trance überwiesenes Geld zurück. Von dem Bremer Hellseher fühlt sie sich „geschädigt, betrogen und hintergangen“.
Das wiederum kann der Anwalt des Angeklagten, der von seinem Schweige-Recht Gebrauch macht, überhaupt nicht verstehen. „Sie haben selbst gesagt, daß mein Mandant sie telefonisch hypnotisiert hat“, hält Erich Joester der Zeugin vor, „warum hätte er das nicht auch im Fall des Schauspielers B. schaffen sollen?“ Einen justitiablen Betrug kann Joester in den teuren Telefonaten nicht sehen. Schließlich war Eva E. zum Termin der versprochenen Partnerzusammenführung gar nicht mehr erschienen.
„Schlichte Intelligenz“ und ein „sonderliches Wesen“ hatten
psychiatrische Gutachten dem Angeklagten P. nachgesagt. Andererseits halten seine Bewährungshelfer aus früheren Strafen den Hellseher für „lebensschlau und schlitzohrig“. Einer von ihnen hatte sich sogar selber um einen Gewerbeschein für Dieter P.s magische Angebote eingesetzt, um ihm damit eine Berufschance zu geben. „Mein Mandant lebt sicherlich in einer anderen Welt als Sie und ich“, wendet sich der Verteidiger an das Gericht, „aber das ist noch kein Betrug“. Schließlich hätte Dieter P nicht nur die KundInnen von seinen magischen Fähigkeiten überzeugt, sondern glaube selber daran - von „Vorspiegelung falscher Tatsachen“, die die Staatsanwaltschaft anklagte, also keine Spur.
Und eine Arme hatte P. im Falle der Schweizerin E. auch nicht geschröpft. Gerade hatte sie 400.000 Franken geerbt, ihr Mann fährt einen Maserati, und der Mantel, den sie über den Zeugenstuhl hängt, zeigt außen Leder und innen Pelz.
Dirk Asendorpf
Fortsetzung heute und am 15.9. um 9 Uhr im Amtsgericht, Zimmer 351
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