„Für eine streitbare Zusammenarbeit von AL und SPD“

Im folgenden dokumentieren wir den Beschluß der Mitgliederversammlung der AL zu den Verhandlungen mit der SPD  ■  I.

Mit den Wahlen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus am 29.Januar 1989 ist eine Situation eingetreten, die die AL gewollt hat:

1. Der CDU/FDP-Senat wurde abgewählt. Er hat die Quittung erhalten für seine unsoziale Politik, für die von ihm praktizierte Einkesselung demokratiscgher Rechte, für seine diskriminierende AusländerInnen- und Flüchtlingspolitik, für die weitere Vernichtung des wenigen innerstädtischen Grüns, für die Korruption. Der Versuch, dies alles durch Glitzer und Glamour zu überdecken, ist gründlich gescheitert. Daß mit dieser Senatsabwahl die FDP ganz aus dem Abgeordnetenhaus verschwunden ist, betrachtet die AL nicht als politischen Verlust.

2. Die AL hat ihren Stimmenanteil von 10,6 auf 11,8 Prozent ausbauen können. Seit ihrer Gründung ist das politische Gewicht der AL damit kontinuierlich gewachsen. Dies ist nicht nur ein Erfolg für die AL in West-Berlin, sondern kann darüber hinaus dazu beitragen, grün-alternative Politik insgesamt wieder zu beleben und weiterzuentwickeln.

3. Die Wahl hat eine numerische Mehrheit für SPD und AL im Abgeordnetenhaus (und den meisten Bezirksverordentenversammlungen) erbracht. Damit besteht die Chance einer größeren Einflußnahme des grün-alternativen Wählerspektrums auf die Politik in West-Berlin.

Gleichzeitig ist die AL darüber bestürzt, daß etwa 90.000 Menschen in dieser Stadt ihre Stimme den rechtsextremen „Republikanern“ gegeben haben. Die Verantwortung dafür liegt nicht zuletzt beim bisherigen CDU/FDP-Senat, dem die realen Probleme eines wachsenden Teils der Bevölkerung (Wohnungsnot, Arbeitslosigkjeit usw.) gleichgültig waren, und der die Ausbreitung von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus nicht bekämpft, sondern mit befördert hat. Die AL hat auf die Gefahren rechtsradikaler Demagogie schon seit längerem aufmerksam gemacht. Sie begreift es als eine der wichtigsten Aufgaben für die nächste Zeit, den Einfluß nationalistischer und rassistischer Parteien - wie zum Beispiel der „Republikaner“ - wieder zurückzudrängen. Dabei ist die AL sich bewußt, daß politische Aufklärung und Abwehrmaßnahmen gegen rechtsradikale Parteien allein nicht ausreichen. In erster Linie muß es darum gehen, reale Veränderungen in der Lebenssituation der Menschen in dieser Stadt zu erreichen.

II.

Der Geschäftsführende Ausschuß der AL hatte Anfang Janaur 1989 auf Grundlage der von der Programm-MVV im Oktober 1988 verabschiedeten Aussage der AL, die Ablösung des CDU/FDP -Senats würde an ihr nicht grundsätzlich scheitern, in einem Brief an die SPD die Bereitschaft deutlich gemacht, im Fall einer rot-grünen Mehrheit Gespräche über eine gemeinsame Zusammenarbeit im Parlament bis hin zur Koalition aufzunehmen.

Nach Meinung der AL steht die Bildung einer Großen Koalition der Entscheidung der WählerInnen entgegen.

Die Mitgliederversammlung der AL spricht sich dafür aus, daß der neue Senat auf Grundlage einer Zusammenarbeit von SPD und AL gebildet wird.

Der AL kommt es bei einer solchen Zusammenarbeit darauf an, die konservative Politik der letzten acht Jahre zu stoppen. Es muß einen Einstieg geben in eine demokratische, soziale und ökologische Politik in der Stadt. Die AL weiß, daß eine Umsetzung von Utopien, rasche und grundlegende Veränderungen durch eine parlamentarische Kooperation zwischen SPD und AL nicht zu erreichen sind, schon gar nicht auf der Basis der jetzigen politischen und gesellschaftlichen Kräfteverteilung. Es geht darum, Schritte einzuleiten, die einen Wandel in der Stadtpolitik bewirken. Die zunächst nur rechnerische Mehrheit von SPD und AL muß in eine politische und gesellschaftliche Mehrheit für Rot-Grün umgewandelt werden, die Akzeptanz grün-alternativer Vorstellungen in der Stadt ausgebaut und erweiterte Möglichkeiten des Sich -Einmischens in die politische Gestaltung geschaffen werden. Eine rot-grüne Kooperation im Parlament und für eine andere Senatspolitik kann nur dann ein Faktor eines langfristig angelegten Wandels sein, wenn der Druck auf die Institutionen, die dieses System tragen, auch und vor allem von außerhalb der Parlamente kommt.

Die AL stellt heute schon fest, daß nur bei beiderseitiger Anerkennung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen SPD und AL und der Möglichkeit, die Identität der jeweiligen Partei zu wahren, eine Zusammenarbeit für einen Zeitraum von vier Jahren denkbar und fruchtbar sein kann. Die AL plädiert für eine streitbare Zusammenarbeit und nicht für eine gemütliche Harmonie. Damit ist nicht gemeint, täglich am Rande des Scheiterns zu operieren. Die AL hat den politischen Willen, die Verläßlichkeit und die Bereitschaft, die Projekte, die SPD und AL sich gemeinsam auf den Zettel nehmen können, auch gemeinsam bis zum Ende der Legislaturperiode zu verwirklichen. Sie muß das gleiche von der SPD erwarten können. Die AL geht aber ebenso davon aus, daß die Unterschiede zwischen SPD und AL nicht wegdefiniert werden dürfen, sondern ausgehalten werden und artikulierbar bleiben müssen.

1. Die MVV beauftragt eine Verhandlungskommsssion:

in Sachverhandlungen mit der SPD auf der Grundlage des AL -Wahlprogramms einzutreten. Ziel der AL ist es, in diesen Verhandlungen eine tragfähige Grundlage für eine demokratische, soziale und ökologische Stadtpolitik zu schaffen.

2. Die AL strebt eine Koalition an.

3. Eine endgültige Bewertung der Verhandlunsgergebnisse, die Entscheidung über die Frage, ob die AL Opposition bleibt oder für eine Kooperation mit der SPD eintritt sowie die Festlegung der Form der Zusammenarbeit erfolgt auf einer weiteren MVV.