piwik no script img

Schöneberg bleibt sachlich

■ Bezirke nach der Wahl - Heute: Schöneberg / Die eingespielte rot-grüne Kooperation soll eine rot-grüne Senatskoalition „stabilisieren“ / SPD/AL-Mehrheit geht auf Kosten der CDU / Streit um die Frauenstadträtin / „Hart gegen die REPs argumentieren“

Schöneberg war in den letzten vier Jahren ein rot-grüner Vorreiter, findet Uwe Saager (SPD), alter und wohl auch neuer Baustadtrat des Bezirks. Daß auf Landesebene nun eine rot-grüne Koalition möglich sei, ist für den Stadtrat auch ein Verdienst rot-grüner Praxis in seinem Bezirk. Saager spricht von einem „sehr tragenden Grundkonsens“ zwischen AL und SPD in der bezirklichen Baupolitik. Und auch der bisherige AL-Abgeordnete Karl Himmelmann erinnert sich in schönem Politikerdeutsch an eine „hohe Übereinstimmung in Sachfragen“.

Kurz vor der Wahl rühmte sich die Schöneberger AL-Fraktion für ihre „durchsetzungsorientierte, sachbezogene Politik“. SPD und AL schränkten gemeinsam den Wohnungsbau im hochverdichteten Schöneberg ein; beide setzen sich für Busspuren und Tempo 30 ein und gegen die autobahnähnliche Nord-Süd-Straße. Selbst dort jedoch, wo die AL lieber gar keinen als ein bißchen Wohnungsbau hätte, verzichtet sich auf lauten Protest, „hält die Füße still“, stellt Saager zufrieden fest.

Michael Barthel, bisheriger SPD-Jugendstadtrat und wahrscheinlich der künftige Bürgermeister, sieht die Rolle des Bezirks deshalb als „stabilisierendes Element“ unter einer rot-grünen Senatskoalition. Ihre bislang knappe gemeinsame Mehrheit in der BVV konnten die beiden Parteien stark ausbauen. Überwog die Zahl der SPD- und AL -Abgeordneten bisher die der CDU nur um einen Sitz, haben beide Parteien nun eine komfortable Mehrheit; von 45 Sitzen gehören ihnen 27. Damit gehört ihnen nun auch die Mehrheit im Bezirksamt. Die SPD besetzt drei, die AL zwei Ressorts. Schon wenige Tage nach der Wahl hatten sich die rot-grünen Kooperationspartner relativ geräuschlos über die Aufteilung der Ressorts geeinigt. Der CDU muß das Ergebnis der Kungelei einfach „zur Kenntnis nehmen“ (Jakesch); ihr ergeht es so, wie in den meisten anderen Bezirken der AL.

Den Christdemokraten verbleiben demnach der Sozial- und der Finanzstadtrat. Die SPD stellt mit Saager weiterhin den Baustadtrat; Jugendstadträtin wird die Senatsangestellte Bärbel Hiller, und der bisherige Jugendstadtrat Michael Barthel kandidiert als Bezirksbürgermeister. Die AL will neben dem Gesundheitsressort künftig das Volksbildungsressort besetzen. SPD-Mann Barthel hat keine Bange vor den neuen AmtskollegInnen, die die AL auswählen wird: „Dadurch, daß sie seit acht Jahren einen Stadtrat stellt, geht sie da viel weniger naiv ran.“ Ob allerdings Ulf Preuß-Lausitz AL-Volksbildungsstadtrat wird, wie es sich manche Sozialdemokraten wünschen, ist noch offen. Dieser Kandidat könnte schon gestorben sein, weil ihn die SPD im Munde führte, lästern erfahrene AL-Bezirkspolitiker.

Nur in einem „Randbereich“ (Saager) gibt es noch Streit. Sowohl AL als auch SPD beanspruchen das Frauenressort, das beide Parteien nun gemeinsam schaffen und zusammen mit der Frauenbeauftragten einem der bestehenden Ämter angliedern wollen. „Die Arbeit für dieses Konzept hat die SPD geleistet“, begründet Bärbel Hiller ihren Anspruch, Frauenstadträtin zu werden. Die Idee, statt einer Frauenbeauftragten eine Stadträtin für Frauenfragen zu inthronisieren, kommt dagegen von der AL. „Ich bin sehr stark dafür, daß wir das machen“, erklärt Elisabeth Ziemer, die der neuen AL-Fraktion angehören wird. Sie traut der „Verwaltungstante“ Hiller nicht zu, auch Ideen der autonomen Frauenbewegung aufzugreifen. Die AL macht die „Profilneurose“ (Himmelmann) der SPD für den Ideenklau verantwortlich; Bärbel Hiller wirft der AL dagegen vor, bis zu den Wahlen eine unklare Haltung zum Konzept eines Frauenressorts vorgetragen zu haben. „Jetzt kommt es auf Gespräche mit der AL an“, sagt Frau Hiller. Sie schließt aber nicht aus, gemeinsam mit der CDU und gegen die AL ihren Anspruch durchzusetzen.

Die Gemeinsamkeit der Schöneberger Bezirksdemokraten wird sich vermutlich rasch wieder einstellen. Sogar der Noch -Bürgermeister Jakesch (CDU) lobt die bisherige „sachliche, nicht parteipolitische Zusammenarbeit“ im Bezirksamt, zwischen CDU-, SPD- und AL-Stadträten. Einigkeit herscht auch, was die drei Abgeordneten der „Republikaner“ angeht, die in die BVV einziehen werden. Unter ihnen ist auch der ehemalige Jungunionist Markus Motschmann, der vor Jahren durch einen verherrlichenden Artikel über den Nazi-Oberst Rudel aufgefallen war. Nicht nur in der AL, sondern auch bei der CDU gab es anfänglich den Gedanken, auf Beiträge der Rechtsradikalen gar nicht zu reagieren und sie „zu ignorieren“. Daß das nicht gelingen werde, meint nun nicht nur CDU-Fraktionär Mickeleit, sondern auch die AL-Frau Ziemer; sie will lieber „hart argumentieren“.

hmt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen